Mutropolis Review | Zwischen Ausgrabung und Rettungsmission

Im Jahr 5000 kommt in Mutropolis ein Forschungstrupp vom Mars zurück auf die verwilderte Erde. Viel Potenzial für skurrile Funde.

„Vor ein paar Tagen sind wir mit unserer Forschungsgruppe auf der Erde gelandet. Zusammen mit dem von mir sehr geschätzten Professor Totel wollen wir einer Spur folgen. Einer Spur zum Eingang in die Stadt Mutropolis, von dessen Existenz der Professor absolut überzeugt ist. Über 3000 Jahre nachdem, bis auf wenige verbleibende, alle Menschen die Erde verlassen haben, stehen wir in einer Höhle vor einer Art Tür mit Schriftzeichen und versuchen sie zu öffnen. Wenn die Vermutung des Professors richtig ist und sich die Existenz der Stadt als wahr herausstellt, bedeutet das einen massiven Durchbruch in der Forschungsarbeit über die Erde. Ich bin so dermaßen aufgeregt, dass meine Kolleg_innen in Gesprächen schon äußerst genervt klingen. Dabei ist das hier doch alles super spannend. Manchmal wünsche ich mir einfach ein wenig Verständnis für meinen Enthusiasmus. Vor allem für meine historische Kelle. Wer ich bin? Dr. Henry Dijon, Archäologe und Expeditionsleiter.

Mutropolis, wir kommen!

Beim heiligen Kraken! Wir haben die Tür tatsächlich aufbekommen und blicken auf die ersten Hinweise zur Existenz von Mutropolis. Antike Wandmalereien, dessen Ursprung wir noch genauer analysieren müssen. Von wegen „Ach Henry!“ Der Professor und ich hatten Recht. Jetzt bloß ganz ruhig und sachlich bleiben, mein Analysegerät hervorholen und… HEY! Wer hat das Licht ausgemacht? Wo sind, wo sind?… Hö? Licht wieder an? Aber wo ist… wo ist… Professor Totel? Sie haben Professor Totel entführt! Unsere Planungen, die Katalogisierung der Schätze der Erde, all die möglichen wissenschaftlichen Errungenschaften. All das muss warten. Wir müssen Totel finden. Doch wie? Wir haben nicht mal die Ausrüstung für eine derartige Expedition dabei. Eine überhastete Verfolgung? Viel zu gefährlich. Niemand kennt die Gefahren der verwilderten Sektoren der Erde. Du bist Wissenschaftler Henry! Wir müssen zurück zur Forschungseinrichtung und unsere Schritte genaustens Planen. Nur so können wir unserem Professor noch helfen.

Es ist kaum möglich in dieser Situation einen klaren Gedanken zu fassen. Also was müssen wir jetzt noch mal besorgen, damit wir endlich Aufbrechen können? Ich muss Luc noch einmal fragen, Cobra und Carlata scheinen keine große Hilfe zu sein. Cobra wirkt einfach nur genervt und sitzt in ihrem Bürostuhl, ohne etwas zu tun und Carlata nippt abwesend an ihrem Mojito. Micro spielt wieder Videospiele und Max… Hey, wo ist Max überhaupt abgeblieben? Und dann ist auch noch meine ID-Karte für den Gebäudekomplex abgelaufen. Na danke Leute, ihr seid mir ne schöne Hilfe. Würde ich wenigstens dran denken, mir alles Wichtige zu notieren, um es später schnell parat zu haben, aber selbst das klappt nicht. Manche Informationen vergesse ich in dieser Situation dann einfach. Ich sollte das wirklich alles aufschreiben, denn einige meiner Kolleg_innen wollen nachher nicht mal mehr mit mir reden. Alles muss ich alleine machen.“

„By the supreme Squid!“

Ach Henry! I feel you! Mutropolis macht es dir auch echt nicht leicht zu wissen wie genau du etwas Verknüpfen sollst. Auch wenn das Problem vielleicht in Dialogen vorher aufgeworfen wurde. Eine kurze Unachtsamkeit, kurz an der Mate genippt und zack, die Information ist weg. Es wäre wirklich hilfreich wenn dir die Informationen beim Ansehen deiner Gegenstände wieder einfielen oder du dein Notitzbuch wirklich auch für wichtige Notizen nutzen würdest. Viele aufkommende Probleme gleichzeitig in Akt 2 lösen zu müssen vernebeln zunehmend deine strukturierte Herangehensweise. Und dann stehst du in einem voll ausgerüsteten Labor der Zukunft und musst doch durch die gesamte Einrichtung tapern, um Alternativen zu sammeln und zu kombinieren, die dann am Ende wirklich nur eine geringe Auswirkung auf das Fortschreiten der Story besitzen. Als könntest du dich drei Stunden später an einen klitzekleinen eingeworfenen und super vagen Hinweis erinnern. Das ist schon echt zäh manchmal.

Es ist das immer wieder auftauchende Point-and-Click Paradoxon. Das Gemächliche in einer eigentlich hektischen Situation. Vor allem aber trauen sie dir zu viel zu. Wir beide wollen unabhängig in unserem Lösungsweg sein, sind aber freundlichen Hinweisen nicht abgeneigt. Da hilft es auch nicht, dass Personen oder du selber manches Mal dann doch wiederholen was zu tun ist. Wir haben doch keine Ahnung wie wir ans Ziel kommen sollen. So entsteht Frust in dir, weil du deinem geschätzten Professor nicht helfen kannst und Frust in mir, weil ich dich abermals durch die Szenerie jage. Und dann passiert es eben doch, wir verknüpfen willkürlich Dinge und hoffen, das uns das irgendwie weiterbringt oder zeigen allen vorhandenen Personen jeden gesammelten Gegenstand deines Inventars. Pure Vernunft darf niemals siegen.     

Unsere Erde

„Ach Benja! Fehlende Richtungsweisung ist doch nur ein Teil von Mutropolis. Du hörst dich ja schon fast so an wie die ständig genervte Cobra. Ich jedenfalls bin stolz auf meine gesammelten Funde, die in unserer Einrichtung an der Wand hängen. Immer wieder schaue ich sie an und frage mich, was die Menschen auf der Erde mit all den Steckern wollten? Ernsthaft, wozu sind die Dinger gut? Weißt du wer all das gefunden hat? Henry Dijon, Archäologe und Expeditionsleiter. Wobei ich dauernd sage, dass das Expeditionsleiter weggelassen werden kann. Nur Henry reicht! Und jetzt wo Professor Totel nicht vor Ort ist, kann ich wenigstens ganz in Ruhe durch seine wissenschaftliche Büchersammlung gehen. Da stehen Dinge drin, du wirst es kaum glauben. Frida Kahlo zum Beispiel. Wir gehen davon aus, dass sie eine angesehene Königin war, die über mehrere Länder regiert haben muss. Ich meine, warum soll es sonst so viele Portraits von ihr geben?

Und sieh es mal so. Je langsamer wir voranschreiten, desto mehr können wir uns den seltsamen Funden widmen, die wir auf der Erde gefunden haben und noch finden werden. Der Weg ist das Ziel! Also schieb den Frust zur Seite und konzentriere dich auf die wunderbare Welt, die erst noch ergründet werden will. Meine beiden Moms sind schon Expertinnen des Genusses. Dann schaffst du das doch auch. Jetzt mal ehrlich, ich fühle mich schon viel weniger allein, seitdem ich weiß, dass du mir in dieser aufregenden Zeit beistehst und in vielen Fällen fehlende Anweisungen ausgleichst. Guck wie wunderschön die Erde ist mit all ihren Wildtieren, die unbeschreibliche Dinge in den Pfoten halten, die einzigartige Landschaft. Und sobald Roboter Max ins Bild gefahren kommt, ist dir doch eh alles andere egal! Vielleicht vernebelten der sich anfänglich eingeschlichene Frust und meine Angst um Professor Totel einfach unsere Wahrnehmung.“

Niemals mehr ohne Henry, Head of Expeditions!

Ach Henry! Wahrscheinlich hast du Recht. Wie immer! Ich mag eure kuschelweich gezeichnete Welt wirklich gerne. Wie das bunte Erscheinungsbild der Erde meine Augen mit vertrauter Harmonie verwöhnt. Eure staksigen Bewegungen und den fragenden, nach vorne geschobenen Blick, den dir Isis bei jeder deiner Ausführungen entgegen wirft. Und dann haben wir über die strangen Einwürfe unserer rätselhaften Popkultur und der ägyptischen Gottheiten-Mythologie noch nicht mal gesprochen! Mal ehrlich, alle anderen werden bei jeder Unklarheit definitiv keinen Frust schieben, sondern einen der wohl bald zahlreich vorhandenen Walkthroughs nutzen, um dich gar nicht erst in solche Situationen hineinlaufen zu lassen. Dann haben sie die Möglichkeit dir und deinen verschrobenen Kolleg_innen und den ganzen Leuten ungestört zuzuhören, die reichlich vorhandenen Details zu genießen und eurer Expedition zur Rettung von Totel zu folgen.

Ich hätte wirklich gerne die Möglichkeit gehabt all das auch genauso genießen zu können. Dazu hätte ein straightes Rätseldesign und die Integration von immer zugänglichen Hinweisen in welcher Form auch immer gereicht. „Ach Benja! Schon wieder?“ Ach Henry! Ich weiß, ich weiß. Die positiven Dinge zum Schluss! Immer die positiven Dinge. Ich vermisse euch nach dem Abspann auch irgendwie schon sehr. Und würde ich euch nicht wirklich mögen, hätte ich mich wohl kaum durch anhaltende Frustphasen gekämpft. „Siehst du, gar nicht so schwierig! Wenn du wüsstest was noch alles abseits unserer Geschichte möglich ist! Ich sag nur so viel: Mülleimer! 😉🤣 Ach Henry! Du weißt wirklich immer wie du mich zum Lachen bringst. Weißt du noch der Calavera? 🤣 Lass uns bald mal losziehen und anfangen die Schätze von Mutropolis zu finden und zu katalogisieren. Ich hab nämlich noch lange nicht genug von dieser irren Erde. „Ach Benja! Gerne doch!”

7/10 😭❌❌🤣🤣

Developer: Pirita Studio
Publisher: Application Systems Heidelberg
Genre: Point-and-Click Adventure
Team: Juan Pablo González (Programmer, Concept Artist, Sound), Beatriz Gascón (Script, Game Design, Art, Animation, Marketing)
Auszeichnungen: Best Game Art (Casual Connect London 2019), Indie[MAD] Award (Madrid 2018)
Veröffentlichung: 18. Februar 2021 (Steam, GOG)

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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