Cosmophony Review | Der Grat zwischen Fordern und Frustrieren

Am 18. Februar 2016 flimmerten zum ersten mal die hypnotischen Bilder von Cosmophony durch dein abgedunkeltes Wohnzimmer. Am 9. September 2018 konntest du zum aller ersten mal Level drei abschließen. Was ist da los? 

Frustration und Freude sind bei Cosmophony schwer voneinander zu trennen. Sie besitzen eine Abhängigkeit und profitieren voneinander. Freude entsteht hier nahezu nie ohne unmittelbar zuvor pure Frustration empfunden zu haben. Die Frustration überstehst du aber nur mit der frohlockenden, winkenden Freude, die am Ende eines jeden Levels auf dich warten. Viele Entwickler_innen nutzen diese Beziehung, um das Erlebnis erlebenswert zu gestalten. Gerät diese Abhängigkeit allerdings aus der Balance, überwiegt die Frustration. Das Erlebnis leidet eklatant.

9. September 2018, 21:48 Uhr

Du hast das Herz der gefallenen Göttin elegant an nahenden Barrikade vorbei manövriert und ins Ziel gebracht. Auch herannahende Gegner konnten dir nichts anhaben. Du hast nicht alle vernichtet, aber sie konnten dir immerhin keinen Schaden zufügen. Ein spontaner, lauter Freudenschrei ertönt, die Anspannung fällt aus allen Gliedmaßen. Du richtest deine Arme zur Siegespose empor, der Controller gleitet aus deinen erschöpften Händen, die imaginäre Trophäe streckst du allen Zweiflern entgegen. Vornehmlich aber nur einem. Diesen verfluchten Entwickler, der dir das Leben seit zweieinhalb Jahren mit diesem verfluchten dritten Level zur Hölle macht. Du hast es ihm gezeigt. Du bist an dessen Anspruch nicht gescheitert, zumindest nicht mehr. Du hast deine Reputation vor einem Kollaps bewahrt.

9. September 2018, 22:40 Uhr

Jetzt hält es dich nicht mehr auf dem Sofa. Du springst auf und lässt ein lautes „Yaaaaahhhh bi…!“ ertönen. Der Sprachgebrauch des Jesse Pinkman ist ungefiltert aus deinem tiefsten Inneren durch den Mundraum entflohen. Du hast das Herz der Göttin nicht nur bis an das Ende des Tunnels gebracht, sondern zusätzlich alle Gegner beseitigt, ohne auch nur einen einzigen Kratzer abzubekommen. Auszeichnung mit Sternchen, Emotionen sprudeln heraus! Als hättest du in aller letzter Sekunde durch einen Schnatzfang mit 10 Punkten Vorsprung die Quidditch WM gewonnen.

9. September 2018, 22:50 Uhr

Zehn Minuten reichen aus! Zehn Minuten um das Frustrationslevel bis über die Schwelle des auszuhaltenden Maßes hinaus zu tragen. Zehn Minuten, in denen du im Übungsmodus von Cosmophony das Herz der Göttin nicht einmal über ein Zehntel des geforderten Weges hinaus bekommst. Gerade dachtest du noch du wärst der junge Anakin Skywalker, der seinen unglaublich rasanten Pod Racer sicher an jeder Barrikade vorbei steuern kann. Jetzt glaubst du nicht einmal mehr daran, deinen kleinen Golf sicher in der zu großen Parklücke unterbringen zu können. Level 4 erscheint unmöglich. Wieder einmal! Dieses mal mit großer Wahrscheinlichkeit für immer. Deine Reputation ist beschädigt. Danke Bento Studio.

Das Herz der Göttin

Eine Göttin wurde damit beauftragt die Harmonie im Universum zu wahren. Doch sie scheiterte und das gesamte Universum kollabierte. Nun ist sie Tod und wird in einem mächtigen Kristall so lange gefangen gehalten, bis ein neuer Hüter des Universums gefunden wird. Du bist also gefragt, um das Unmögliche zur Realität werden zu lassen. Nur du kannst und sollst die Harmonie des Universums wieder herstellen. Dafür bekommst du das Herz der Göttin, um in diesem die fünf fundamentalen Wellen zu überstehen und das Universum zu retten.

Danke liebe Göttin. Wenn du es schon nicht schaffst, kann das sicher eine einfache Videospieljournalistin schaffen, die am 18. Februar 2016 auf der Suche nach wundervoll anzuschauenden Alternativen für ihre neu erworbene PlayStation 4 ist.

Cosmosphony ist ein Musik Shoot em Up. Um das zu präzisieren fällt es sogar in den Bereich der Rhythmus Spiele. Ein Rhythm-Shooter also, bei dem die Wellen der Gegner und Barrieren im Takt der elektronischen Drum & Bass Klänge von DJ Salaryman zu meistern sind. Ein buntes, minimalistisches Spektakel, das genau einem Zweck dient. Dich bis aufs äußerste zu fordern. Deine Reaktion zu testen und dein Taktgefühl herauszukitzeln. Vor allem aber ist es erschaffen worden, um deine Fähigkeit der Memoration zu hinterfragen.

Jedes Level besitzt zwei Abschnitte. Der Erste ist zum Erlernen der Strukturen und des Songs gedacht, um das Raumschiff-Herz sicher durch Gegner und Hindernisse zu manövrieren. Es gibt Speicherpunkte und eine Spulfunktion. Du kannst demnach in eine Barriere knallen und an einem bestimmten Punkt wieder einsteigen. Im zweiten Abschnitt wird es dann etwas fordernder. Schaffst du es hier nicht den kommenden „Wellen“ auszuweichen oder „Gegner“ zu zerstören, ist es vorbei und du wirst zum Anfang zurück versetzt. Der Zwang zur Perfektion wird nur dadurch gesteigert, keinen der dreieckigen Gegner auf der Strecke zu lassen und sie alle zu beseitigen.

18. Februar 2016 21:08 Uhr

Nach der ersten überstandenen Welle, die deine visuellen Reize zur vollkommenen Zufriedenheit stimuliert, bist du dir sicher, dass du zu den sphärischen, aber druckvollen Klängen sicher durch die restlichen kommen wirst. Schließlich hast du ja ein sicheres Rhythmusgefühl und jahrelange Spielerfahrung. Deine Reaktionen sind nicht die schlechtesten und im Memorieren warst du schon in Latein ganz gut. Zumindest genau dann, wenn es auch gebraucht wurde.

19. Februar 2016 13:03 Uhr

Dein Raumschiff, das eigentlich das Herz der Göttin ist, hat auch die zweite Welle mit den sieben Bahnen – auf denen du wie beim Sat.1 Superball hin und her pendelst, um auszuweichen – mit Auszeichnung überstanden. Der Anstieg des Schwierigkeitsgrads war spürbar, aber nicht unmenschlich fordernd. Optimistisch blickst du in die Zukunft, in der die Harmonie des Universums endlich wieder hergestellt sein wird und du als Hüterin die bestmögliche Balance im Blick behältst.

Frustration frisst Autorin auf

Doch dazu wird es so schnell nicht mehr kommen. Das Ende des dritte Levels von Cosmophony wirst du nur einmal nach dem Übungslauf sehen. Mit gefühlten 2451 Toden und einer guten Portion Glück. Der Lauf ohne zu Kollidieren ist zu diesem Zeitpunkt schlicht unmöglich. Du bringst das Herz auf einen Betrag von 43% des komplett zu beherrschenden Abschnitts. Danach wird es unübersichtlich und schnell. Dazu das wirre Gelb mit der Hintergrund-Animation. Der Spaß etwas Forderndes zu schaffen weicht der Frustration etwas unfaires niemals schaffen zu können. Wie auch immer die wenigen Menschen auf YouTube es bis zum Ende des fünften und damit letzten Levels geschafft haben. Ist dir völlig egal, zumindest für heute, für die nächsten Monate und die nächsten Jahre.

9. September 2018, 16:10 Uhr

Durch einen seltenen Zufall begegnet dir wieder dieses Cosmophony. War doch eigentlich ganz cool? Oder, schwierig, aber Fordernd! So wie du es eigentlich magst. Das dritte Level muss doch irgendwie zu schaffen sein. Wenn du nur diesen Song und seinen Rhythmus analysierst. Genau dann kannst du es doch schaffen oder nicht?

Cosmophony ist für anspruchsvolle Spieler_innen, die eine große Herausforderung suchen. Cosmophony ist stimmig und präzise, harmonisch und vollkommen einzigartig. Sogar in Teilen des dritten Levels hast du noch minimale Chancen, kurzweilige Fehler auszugleichen oder optionale Routen zu wählen. Doch verzeiht es dir auch hier schon kaum noch etwas. Im vierten der fünf Level wirkt das Leveldesign dann einfach nur noch unfair. Du schaffst es selbst im Trainingsmodus nicht weiter als 7%. Zu unvorhersehbar, zu schnell, zu wenig Reaktionszeit, zu drastisch die Steigerung. Keine Chance es auch nur ansatzweise zu erlernen. Die, die es geschafft haben, sind entweder der Komponist der Songs, oder die Menschen, die am Entwicklungsprozess beteiligt waren. Anders kannst du es dir nicht erklären, wie du je das Ende des Spiels zu Gesicht bekommen sollst. Dafür sprechen auch die Quoten auf der Website PSN Trophy Leaders. Von 562 Menschen, die sich das Spiel auf der PS4 angetan haben, schafften nur noch 123 das perfekte Ende des dritten Levels. Das Ende des Spiels sahen jedoch nur noch 34. 34 Menschen, die entweder ihren ganzen Urlaub verballert oder den ganzen Tagesablauf daraus ausgerichtet haben, dieses Spiel zu meistern.

Wenn der Raum zum erlernen in einem Spiel nicht mehr gegeben ist, wird nicht nur die Harmonie des Universums nicht wiederhergestellt, es zerrüttet auch die Balance zwischen Frustration und Fordern. Das Geforderte erzeugt nur dann auch Freude, wenn es zu meistern und zu erlernen ist. Ist es das nicht, erscheint das Erlebnis sinnlos, unfair und frustrierend. Der eigentliche, erstrebenswerte Grat der Aufrechterhaltung dieses Prinzips wurde in Cosmophony überspitzt. Die Freude über erreichtes weicht viel zu schnell der Ablehnung.

Cosmophony erfüllt dennoch einen Aspekt. Es kitzelt deine Motivation, deinen Willen, wenigstens die Hälfte des Spiels zu erreichen. Es lässt dich niemals los! Wenn auch über Jahre als brachliegendes, unerreichtes Monster. Cosmophony hätte ein visuelles, sehr hartes Skillspektakel werden können, doch es verfranst sich leider in unaufrichtigen Leveldesign, das für den eigentlichen Zweck der Freude am Spielen nicht mehr geeignet erscheint und gerade in der zweiten Hälfte zur absoluten Farce verkommt. Das hat dann auch mit der Zielgruppe der Spieler, die nach einer Herausforderung suchen absolut nichts mehr zu tun. Wenn Herausforderungen unmöglich erlernbar scheinen, sind es keine Herausforderungen sondern Illusionen. Der Grat zwischen Fordern und Frustrieren ist nicht mehr vorhanden.

6/10 <3

Developer: Bento Studios
Publisher: Froggames
Erscheinungsdatum: 6. Mai 2015 (PS4/PS3/PS Vita), 9. Juli 2015 (Steam) / 4,99€

Autorin: Benja Hiller
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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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