GRID Preview | Das Element des unberechenbaren Motorsports

Die GRID-Serie fährt erneut an die Startlinie. Wir durften das Reboot mit Fokus auf dem Überraschungsmoment schon anspielen.

Zwei Runden noch. Du liegst einige Sekunden hinter den beiden Führenden aussichtslos auf Platz 3. Vorne an der Spitze kämpfen sie Rad an Rad um den Sieg. Innerhalb des unmenschlichen links, rechts, links, rechts, links Maggotts, Becketts und Chapel Kurvenkomplexes von Silverstone berühren sich die beiden. Der Porsche GT3 von Chung Ho Choi überschlägt sich während Emiliano Flores noch ausweichen kann und geradewegs auf das Kiesbett driftet.
Das hier ist deine Chance. Flores kämpft um die Kontrolle seines Ferraris, kann ihn jedoch fangen und auf die Strecke zurücksteuern. Mit deinem Geschwindigkeitsüberschuss schiebst du dich zwischen den Kotflügeln seines Rennwagens und den rot/weiß gestreiften Curbs an ihm vorbei. Eineinhalb Runden Zeit deinen Platz aufs ärgste zu verteidigen. Für Flores jedoch die verzweifelte Chance diesen Platz unter einem saftigen Motivationsschub und ganz viel Wut im Bauch zurückzuerlangen.

„Motorsport ist vor allem eines. Absolut unvorhersehbar!“

Die Rennserie GRID wagt fünf Jahre nach GRID Autosport, dem letzten Teil der Serie das Reboot. In diesem Jahr soll es zurück zu den Wurzeln gehen. Zurück an den Anfang als Race Driver: GRID 2008 eine gute Balance zwischen Zugänglichkeit und Rennsimulation fand. Doch ein schnödes zurück zur Startlinie erschien Codemasters dann doch zu plump. Schließlich gibt es viele Spiele, die den Balanceakt wagen. Etwas Eigenes sollte her. Etwas, das bisher noch niemand wirklich mitgedacht hat. Etwas, das das neue GRID von allen abhebt. Die Entwickler_innen stellten sich die Frage: Was macht den Motorsport aus? Warum sind wir fasziniert von ihm und warum bleiben wir während eines Rennens begeistert vor der Mattscheibe kleben? 

Vermutlich nicht weil wir unseren Blick nicht von der perfekt arrangierten Perlenschnur lassen können, an der das ganze Feld akkurat aufgefädelt um die Strecken der Welt kreist. Doch genau das ist zumeist das gezeichnete Bild der Rennspiele innerhalb eines Genres, das Zugänglichkeit vermitteln will. Wenn du nicht für Action sorgst, macht es nach dem Start vermutlich niemand mehr. Das ist dann für die Purist_innen, die auf der Suche nach der Perfektion um die Kurven hasten absolut kein Problem, doch kann in der Breite je nach Auslegung für Frustration und Langeweile sorgen. Doch genau das ist Motorsport eigentlich nicht.

Der Motorsport ist actionreich, spektakulär und vor allem absolut unvorhersehbar. Reifenplatzer, Unfälle, Ausfälle der Technik, der schlechte oder herausragende Tag der Fahrer_innen, das Wetter und weitere  Einflüsse innerhalb des Rennens. Diese Faktoren beeinflussen das Renngeschehen. Es ist das Element der Unvorhersehbarkeit, die dich ein Rennen anschauen lässt. Du weißt nicht was passieren wird. Hättest du bei den 24 Stunden vom Nürburgring in diesem Jahr schon von vornherein erkennen können, dass alle Favoriten ausscheiden und ein BMW mit offener Motorhaube in Zeitlupe auf die Leitplanke am Anfang der Boxengasse zusteuert und sich dort verhakt, du hättest vermutlich nicht zugesehen. Dieses Bild des Unvorhergesehenen wollen Codemasters in GRID abbilden und genau damit übertreffen sie sich vermutlich abermals in der Weiterentwicklung der Fahrer_innen KI innerhalb des Racing Genres.

„Und über allem steht der Spaß!“

Dabei ist das neu erdachte GRID erst einmal keine bitterernste Rennsimulation. Sie hat jedoch die Chance dazu, genau dies zu sein. Codemasters stellen die Zugänglichkeit in den Mittelpunkt und wollen vor allem, dass es jedem möglich ist mit dem Renngeschehen Freude zu entwickeln. So lässt sich GRID für jede_n genauso einstellen, wie es die Bedürfnisse verlangen. Du spielst nur dann und wann, magst ein paar Runden Spaß haben und nicht zu sehr gefordert werden? Die einfache Grundeinstellung mit weitreichenden Fahrhilfen (Traktion, Bremse, Stabilität) und weniger aggressiven Fahrer_innenfeld ist für dich. Es lässt dein Auto locker um Kurven kurven und im Feld einfach vorankommen. Niemand soll mit GRID Frustration spüren.

Fühlst du dich jedoch unterfordert und möchtest die verschiedenen Auslegungen der Fahrphysik spüren? Die Anpassung der Fahrhilfen und Stärke der KI lässt sich schnell in die gewünschte Richtung schieben bis das GRID Gefühl ganz knapp vor der puren Rennillusion angekommen ist. Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, dass auch du als Gelegenheitsfahrer_in in den Rausch des „Immerbesserwerdens“ und des Anspruchs  gerätst. Denn durch das pure, actionreiche Motorsportgefühl ist nicht mehr nur Platz 1 das Optimum deines Spielerlebnisses. „Es ist in GRID so viel los! Das Renngeschehen sorgt dafür, dass es für Spieler_innen zweitrangig ist, ob sie überhaupt gewinnen“, so Christopher Smith – GRID Game-Director.

Was übrigens auch unsere ausgedehnte Testfahrt gezeigt hat. Ich habe mich im Kampf mit dem Feld superwohl gefühlt und deshalb die Einstellungen soweit angepasst, das dies als trainierte Simfahrerin möglich ist. “Und wenn ich dann so an die Gelegenheitsspieler denke, die auf dem Schwierigkeitsgrad Normal ziemlich gut sind, kann ich mir vorstellen, dass sie die Fahrhilfen von fünf auf drei runterstellen, um etwas mehr Kontrolle zu spüren und immer besser zu werden. Vielleicht ist GRID eine Art Wegbereiter vom Gelegenheitsspieler zum Rennsimulationsliebhaber. Aber genau das macht GRID aus. Du musst es nicht.“ so Smith weiter.

Das bestmögliche Abbild des Motorsports

Damit das Rennen vom ersten bis zum letzten Platz von Überraschungen lebt, haben Codemasters abgesehen von der beeindruckend agierenden KI verschiedene Pfeiler im Rennspiel installiert, die das Renngeschehen bestimmen. Neben den technischen Defekten und Unfällen gibt es Rivalen innerhalb der verschiedenen Rennserien mit denen du um Platzierungen und Punkte streitest. Zudem kannst du dir aus unzähligen verschiedenen Teamkollegen genau den raussuchen, der für deine Art zu fahren am effektivsten erscheint. Einmal ausgesucht, kannst du mit ihm im Rennen kommunizieren, ihn zum Überholen oder Blocken animieren. Doch allein ob er auf deine Anweisungen hört, vom Team zusammengestaucht wird oder einfach sein eigenes Ding macht bleibt ganz allein seine Sache. 

Der auffälligste Pfeiler scheint jedoch das Nemesis System. Durch verschiedene Gegebenheiten innerhalb des Rennens wie scharfe Überholmanöver, Touchieren oder Kollisionen werden deine Mitstreiter_innen angestachelt. Einmal überholt oder gerempelt, baut sich in ihnen eine sonderbare Willenskraft auf Geschehenes zu revidieren. Sie bekommen einen Motivationsschub, heften sich an deine Slicks, provozieren dich, versuchen dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu überholen oder in Fehler zu treiben. Codemasters integrieren eines der wichtigsten Merkmale eines_einer Rennfaher_in. Den puren Willen das eigene Können zu beweisen und das nicht auszuhaltende Gefühl gerade überholt worden zu sein. Die KI reagiert auf deine Manöver statt seelenlos hinzunehmen. Ganze fünf davon sind innerhalb eines Rennens möglich. Dein erlebter Druck im Cockpit steigt.

Langzeitmotivation GRID

Und als wäre das alles noch nicht genug, sitzt ein ständiger imaginärer Begleiter auf dem Tourenwagensitz neben dir und belohnt dich für jede Aktion, die du dir im Rennen so leistest mit Punkten. „Gutes Überholmanöver, gutes Windschattenfahren, perfekte Einhaltung der Rennlinie, oh, tolle Verteidigung. Wow, unter den ersten zehn! Wahnsinn Podium! Digger was geht, du hast gewonnen.“ Punkte über Punkte, die nicht nur bei einem Sieg ausgeschüttet werden, sich in der Variation addieren und dich im Level steigen lassen. Und mit den ganzen Punkten gehst du dann Individualisierungen einkaufen oder Patches anfertigen, die dein großes Talent auch nach außen raushängen lassen. Du bist schließlich Rennfahrer_in. Soll doch jede_r wissen was du kannst.

Und so addieren sich nicht nur Punkte, sondern insgesamt auch 104 Events, die sich auf unterschiedliche Tourenwagen,  Abschnitte, Rennserien und 2on2 Showdown-Rennen aufteilen. Tourenwagen Sport, GT Sport, Muscle Cars, Tuner, spezialisierte Fahrzeug Veranstaltungen und eine Rennserie im Namen des dreimaligen Formel 1 Weltmeisters Fernando Alonso, der im Übrigen ebenfalls mit seinem ganzen Rennfahrerwissen den Entwickler_innen von Codemasters zur Seite stand. Dazu wird jeder je erscheinende DLC kostenlos zur Verfügung stehen.

Tourenwagenglanz auf und neben der Strecke

Da der Motorsport zwar vor allem von Gefühlen und Überraschungen lebt, jedoch ohne visuelle Ebene eventuell etwas aus der Balance geraten würde, haben Codemasters ein optisch wertvolles Design umgesetzt. Es baut auf der exzellenten Beleuchtung von F1 und DiRT auf, kann jedoch durch seine Auslegung noch einmal deutlich kreativer agieren, denn neben real existierenden Strecken wie Silverstone oder Brands Hatch sind auch erdachte Stadt Kurse in z.B. San Francisco im Spiel enthalten.

Neben den stylisch glänzenden Kisten scheint vor allem des Nachts das Potential von GRID zu knistern. Wenn du mit deinem Muscle Car durchs Japanische Gebirge driftest und am Streckenrand die Blätter der zart rosafarbenen Wildkirsche im zentrierten Scheinwerferlicht zu Boden fallen, ist es nahezu unmöglich sich auf das Renngeschehen zu konzentrieren. GRID entfaltet sein Können nicht durch übergenau, hyperrealistische Looks, sondern in seiner Gesamtatmosphäre. Was natürlich nicht bedeutet, dass alle Rennwagen nicht zum sofortigen Hineinsetzen faszinierend gestaltet wurden. GRID wirkt vor allem dynamisch, sowohl in der Optik, als auch im Handling. Es basiert auf einem Fahrzeug Grundkonstrukt, das innerhalb der Rennserien und mit der diversen Auslegung der Fahrzeuge angepasst wird, aber immer vertraut wirkt.

GRID scheint mit dem Reboot der Tourenwagen Rennspielserie einen authentischen, innovativen und doch zugänglichen Weg einzuschlagen. Knapp drei Stunden durften wir uns in der Testversion austoben. Knapp drei Stunden fühlte sich GRID plausibel und durchdacht an. Drei Stunden, in denen sich die Eigenheiten des Motorsports durchaus bemerkbar machten und unserer Tourenwagenfahrerin ein ständiges Grinsen ins Gesicht fräste. Gerade mit der actionreichen Auslegung, der abermals innovativen und kreativen Weiterentwicklung der KI und der realistischeren Abbildung des Motorsports wird GRID seine Nische innerhalb des Racing-Genres finden, die so vermutlich noch niemand betreten hat.
Codemasters GRID Veröffentlichung wurde von September auf den 8. Oktober 2019 geschoben und erscheint für PS4 und Xbox One und am 12. Oktober 2019 für PC

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=dUiwECiyxGU&w=560&h=315]

Autorin: Benja Hiller
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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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