Sonic Mania | Game-Review | Der Retro Remix

Sonic besteht wieder aus Pixeln und rennt durch seine vertraute 2D-Umwelt? Das bedeutet Hype pur! Doch kann der Sonic Remix auf LSD diesem gerecht werden?

Was in der Musik klappt, muss doch auch mit Videospielen möglich sein! Wir nehmen das Beste aus Sonic 1, 2 und 3, mischen ein wenig Sonic CD unter und bestellen uns ne Packung LSD oben drauf. Fertig ist der 2017er Sonic Mania Remix. Das Konzept reicht offenbar erst einmal aus, um die gescholtene Sonic-Fangemeinde vor ihren Sega Mega Drives wegzulocken und tatsächlich ein neues Spiel mit dem rasenden Stacheltier anzufassen. Offenbar konnte erst ein Fanprojekt mit Chefprogrammierer Christian Whitehead Sonic liebevoll seine Würde und seinen Charme wiedergeben, die bei Sega-Sonic Projekten schon längst verloren geglaubt war. Ein Fan weiß eben, was Fans wollen. Und so machten sich die Indie-Studios Headcannon und PagodaWest Games an die Arbeit.

Sonic Mania bastelt aus den ersten Sonic Spielen etwas komplett Neues, fügt Details und ganze Stränge hinzu ohne die Umgebung unvertraut wirken zu lassen. Leveldesigns erinnern an die 90er. Du meinst sie auswendig zu kennen, findest in Sonic Mania aber immer wieder Ecken und ganze Abschnitte, die völlig neu erscheinen. Zudem wurden überflüssige Story-Elemente, die Sonic zu einem Werwolf werden lassen oder einen Menschen als seine Freundin integrieren, einfach links liegen gelassen. Sonic macht das, was ein Sonic eben so macht. Möglichst schnell alle Tiere aus den maschinellen Fängen des Dr. Eggman befreien. Inklusive der LSD-artigen, visuell an Negative erinnernden Zeitsprünge. Braucht es mehr Inhalt, als das?

Endgegner findest du nun an jedem Ende eines Abschnitts. Mal relativ simpel, mal etwas komplexer und ein anderes mal ziemlich tetrishaft. Das komplettiert das Gefühl, hier ein eigenständiges und unabhängiges Sonic-Game vorzufinden. Zudem wurden die schnellen Abschnitte des Spiels noch flüssiger integriert, so dass du im Rausch der Schnelligkeit völlig versinken kannst, aber auch immer wieder abwechslungsreiche Platforming-Passagen vorfindest. Ein sehr angenehm ausgeglichenes Leveldesign, in dem auch die Fähigkeiten der verschiedenen Charaktere berücksichtigt werden, um weitere Geheimnisse zu entdecken. In ruhigen Passagen wirkt Sonic bei weitem nicht mehr so träge und unbeholfen. Die Design-Krankheiten der ursprünglichen  90er Serie wurden, so gut es geht, verbessert.

Sonic Mania läuft wahnsinnig rund und sieht in seiner farbenfrohen strahlenden Welt wundervoll aus. Animationen wirken liebevoll und detailreich. Lass deinen gewählten Charakter aus Sonic, Tails und Knuckels doch mal für ein paar Sekunden stehen, auch wenn es schwer fällt. Die Vertonung des ganzen versetzt dich direkt zurück in die 90er, nimmt sich aber die Freiheit, aktuelle Neuinterpretationen immer wieder mit einfließen zu lassen. Eine gelungene, frische Komposition der Nostalgie. Nur manchmal, wenn du mit Sonic und Tails an einer Stelle festhängst, wird sich das ständige Hüpfgeräusch, das der unruhige Tails drogendurchtränkt immer und immer wieder veranstaltet, auf deine Hyperaktivität auswirken. Die Folge? Ein Fehler der das Spiel beendet.

Und genau da sind wir beim krassesten Retro-Aspekt angekommen. Sonic ist nicht Mario. Sonic ist anspruchsvoll, fordernd und, aufgrund der Struktur, oft nicht fair. Der Schwierigkeitsgrad hat sich, im Gegensatz zu anderen modernen Spielen, in keinster Weise geändert. Er ist eher noch etwas angezogen worden. Auch hast du keine unendlich vielen Leben und Versuche. Die Ringe, die du sammelst, schützen dich vor Verletzungen. Hast du keine Ringe, stirbst du. Da du bei einer Berührung der verteilten „Fallen“ und „Gegner“ alle Ringe verlierst, geht das mitunter sehr schnell. Verlierst du alle Leben, gibt es zwar, nach 25 Jahren Sonic, eine Speicherfunktion, doch die setzt dich wieder an den Anfang von Part eins der Welt. Das bedeutet? Wenn du gerade, kurz bevor du den Endgegner der Stage besiegt hast, dein letztes Leben verlierst, geht es nicht wieder zum Endgegner, sondern zurück zum Level Start inklusive erneutem meistern der Parts eins und zwei. Das macht Sonic Mania vielleicht zum Frustbrocken, wenn du solche Spielsysteme nicht gewohnt bist. Eine Einführung von verschiedenen Schwierigkeitsgraden, inklusive „lernbarer und belohnender“ Levelstruktur wäre auch für Sonic sicher eine gute Sache. In den meisten Fällen brauchst du einfach die Reaktionszeit eines Jedi.

Doch Sonic Mania möchte gar nicht allzu modern erscheinen. Es möchte durch gezielte kleine Verbesserungen, wie direktere, agilere Steuerung und flüssigeres Leveldesign, Menschen abholen, die Sonic schon in den 90ern liebten. Die Menschen, die einfach nicht verstehen wollten, warum Sonic bei dem ganzen 3D Hype überhaupt mitmachen muss. Warum Sonic nicht einfach Sonic bleiben kann. Genau für diese Menschen wurde Sonic Mania erschaffen. Von einem Menschen, der eben genau das Selbe wollte. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch eigentlich wünscht du dir einen echten zeitgemäßen Fortschritt. So etwas, wie Rayman schon in Origins und Legends bewältigt hat. Schnell, spaßig, 2D, mit dem Fünkelchen Retro-Verständnis, aber trotzdem modern und wundervoll gestaltet. Sonic Mania ist ein sehr gutes, gelungenes, wunderschönes und detailverliebtes Spiel. Durch die vielen Geheimnisse und die Charakter-Auswahl besitzt es einen hohen Wiederspielwert. Am Ende ist es aber dann doch nur der Remix einer alten Platte, die zwar noch mehr knistert, im Ernstfall aber sogar den Vorzug erhält.

7/10 <3

Developer: Headcannon, PagodaWest Games
Publisher: Sega
Programmer: Christian Whitehead, Simon Thomley
Composer: Tee Lopes
Release: 15. August 2017 (PS4, Xbox One, Nintendo Switch), 29. August 2017 (Windows PC)
Preis: 19,99 € (vorerst nur Digital)

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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