Filme, die niemand gesehen hat #3: NORD | Film Kritik

„Und Jomar, was hast du in dnord_plakater letzte Woche unternommen?“ „Auf National Geographics zeigen sie gerade eine Doku-Reihe über die schlimmsten Tunnel-Katastrophen der Welt. Das habe ich geguckt.“ 

Jomar ist Wärter an einem Skilift in Norwegen. Die Arbeit macht ihm keinen Spaß. Wer eine Karte will, kann sie sich selbst verkaufen. Spaß hat Jomar schon lange nicht mehr. Früher war er einmal Skifahrer, doch nun erscheint jede noch so kleine Aktion unmöglich. Als er aber von seinem vier jährigen Sohn erfährt, beginnt eine völlig skurrile Reise durch Norwegen mit dem Ziel „Norden“. Ein 80-minütiges Antidepressivum.
Nach dem Tunnel-Katastrophen schauen und Essen kochen gleichzeitig – aufgrund von Unachtsamkeit – ein Feuer in Jomars kleiner Hütte entfachen, gibt es nur eine Lösung: Hütte brennen lassen und ab Richtung Norden. Mit fünf Litern Alkohol begibt er sich mit seinem Schneemobil auf eine einzigartige Reise durch eine schneebedeckte, beeindruckende norwegische Kulisse.

Rune Denstad Langlo gibt vor allem der Landschaft eine große Plattform, die Jomars Einsamkeit bildgewaltig unterstützt. Hauptcharakter und Erzählweise des Films bilden eine wunderbare Symbiose. Denn nur langsam schreiten sie voran und werden in ihrem Vorhaben aufgehalten oder zurückgeworfen. Immer wieder trifft Jomar einzigartige und ebenfalls sehr einsame Gestalten. Oft bleibt es bei wortkargen Konversationen, doch diese erscheinen ohnehin zweitrangig. Handlungen und Bilder lassen sie liebenswert erscheinen. Diese skurrilen Personen treiben Jomar an und helfen ihm, sein Ziel tatsächlich zu erreichen, auch wenn er alles dafür tut, dieses nicht geschehen zu lassen. So zeichnen Drehbuch-Autor Erlend Loe und Regisseur Rune Denstad Langlo ein detailreiches Bild einer ausgewachsenen Depression, die sich vor allem in den Handlungen der Protagonist_innen und Szenerien widerspiegelt.

Nord ist sperrig, langsam und anstrengend, versorgt dich aber durch seine feine Skizzierung immer wieder mit einem Schmunzeln. Dieser Film erreicht trotz aller Absurditäten eine ungeahnte Nachvollziehbarkeit, auch wenn Erläuterungen oft ausbleiben. Manche Dinge sind nicht zu erklären. Irgendwann konnte Jomar einfach nicht mehr aufstehen. Doch das Zusammentreffen von ungeahnten Ereignissen, Entschlossenheit und die Stärkung durch Menschen, die dich in irgendeiner Weise verstehen, kann am Ende der fehlende Antrieb sein. Auch eine Schnecke kommt an ihr Ziel. Irgendwann!

8/10 <3

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=g3hH94JK_I0&w=560&h=315]

  • Besucher: Unbekannt
  • Regie: Rune Denstad Langlo
  • Drehbuch: Erlend Loe
  • Schauspieler: Anders Baasmo Christiansen (Jomar Henriksen), Kyrre Hellum (Lasse), Marte Aunemo (Lotte), Mads Sjogard Pettersen (Ulrik)
  • Preise: Europe Cinemas Label Ex Aequo (Berlin Film Festival 2009), Transilvania Trophy (Transilvanian International Film Festival 2009), Best New Narrative Filmmaker (Tribeca Film Festival 2009), Special Mention for best Scene ( Brussel Film Festival 2009) + mehrer Nominierungen bei Amandaprisen 2009 und einen Preis für Mads Sjogard Pettersen als bester Nebendarsteller
  • Anschauen: Netflix

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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