Als Gamer bist du mit Epidemien und Pandemien bestens vertraut. Oder vielleicht doch nicht? Können wir von Videospielen lernen?
Schon zigmal hast du dieses Szenario durchgespielt. Ein Virus breitet sich aus. Rasant erobert er Menschen und Gebiete. Entfaltet seine spektakuläre Unaufhaltsamkeit in exponentiellem Wachstum. Niemand ist vor dieser unsichtbaren Gefahr sicher! Niemand kann sie aufhalten! Niemand?
Doch, ein_e Held_in stellt sich der Gefahr und durchwandert finsterste Territorien voll von ungeahnten Gefahren. Wenn diesen Wahnsinn eine_r aufhalten kann, dann du!
Endzeitstimmung
Kommt dir bekannt vor? Videospiele machen sich oft nicht einmal mehr die Mühe den Anfang oder den eigentlichen Ausbruch einer Pandemie zu thematisieren, wenn das was hinten rauskommt doch so viel spannender, angsteinflößender und heldenhafter erscheint. Videospiele setzen oft dort an, wo es für die Gesellschaft schon viel zu spät ist. Ausbruch, Verlauf, Höhepunkt und Point-of-No-Return wurden bereits hinter sich gelassen.
Videospiele beschäftigen sich im Gegensatz zu anderen Medien seltener, gar nicht oder nur in ihrer Einführung mit den drögen Maßnahmen, die es zum Schutze der Menschen braucht, bevor das Virus nicht mehr zu stoppen ist. Sie wollen dich in Welten entsenden, die du nicht kennst. Faszination, Angst und Action geleiten dich durch solche Erlebnisse, nicht Besonnenheit und Weitsicht. Das interaktive Medium verbeißt sich in Postapokalypsen und zerbrochenen Gesellschaften. Das Spektakel gibt den Ton an.
Wenn du also deinen Blick auf bloß diesen Teilbereich richten würdest, bliebe nur eine Antwort auf die Frage, ob du von Videospielen in deiner jetzigen Situation lernen oder profitieren kannst. Nein, denn diese Szenarien haben mit deinen aktuellen Lebensumständen absolut nichts am Hut.
Die Pandemie als Spiel
Doch es gibt eine Ausnahmen. Wie Plague Inc. von Ndemic Creations zum Beispiel. Das Strategiespiel aus dem Jahre 2012 behandelt den Ausbruch eines Virus. Bloß, ist der Blickwinkel ebenfalls um 180 Grad gedreht worden. Denn nicht du als Mensch versuchst das Virus einzudämmen und in der Schlussfolgerung eine medizinische Lösung dagegen zu finden. Du bist das Virus und versuchst ab Patient Eins möglichst viele Wege zu finden, um dich auszubreiten, den menschlichen Widerstand auszutricksen und alle zu infizieren.
Seit fast zehn Jahren flattert Plague Inc. in unseren digitalen Shops auf mobilen Plattformen, auf dem PC, auf der PS4, auf der Xbox One und natürlich inzwischen auch auf der Switch umher. Wenn du aus diesem Werk etwas herausziehen möchtest, musst du deine Schlussfolgerungen quasi umkehren. Für das Sammeln von Informationen scheint es gänzlich ungeeignet.
Mit jedem Ausbruch neuartiger Viren feiert das Spiel eine abermalige Renaissance. Zur Ebola-Epidemie ab 2014 beispielsweise. Und auch in China zum SARS-CoV-2 Ausbruch Ende 2019 war dieses Phänomen wieder zu beobachten, als Plague Inc. erneut zum meistverkauften Spiel in den AppStores wurde. Das war der Chinesischen Regierung jedoch zu makaber. Menschen, die von einem sich ausbreitenden Virus bedroht werden, spielen einen sich ausbreitenden Virus? Plague Inc. wurde verboten.
Hätten sie die Menschen vielleicht doch lieber spielen lassen in ihren Quarantäneumständen. Denn Menschen suchen gerade in ungewöhnlichen Situationen, in Krisenzeiten nach Informationen, nach einem Abbild ihrer Lebenssituation, nach Gewohnheit im Außergewöhnlichen. Nicht umsonst ist auch Die Pest von Albert Camus gerade nicht nur in Deutschland restlos ausverkauft. Können wir also doch etwas von Videospielen lernen?
Die Bildsprache
„Um das Unsichtbare des Virus sichtbar, womöglich begreifbar zu machen, illustrieren wir unsere Ängste mit Versatzstücken aus erfundenen Geschichten“, schrieb Johannes Franzen in seinem Artikel „Niemand ist immun gegen Bilder“ auf Zeit Online am 29. Februar 2020.
Ängste spielen eine große Rolle in pandemischen Szenarien. Angst kannst du nur bearbeiten, indem du dich ihr stellst und in der Folge auch mit ihr spielst. So entwickelst du ein besseres Gefühl für Angst und Paniksituationen, auch im realen Leben.
Denn wie auch Franzen schreibt, sind die Bilder, die wir gerade ständig zu sehen bekommen, die selben, die auch in Filmen und eben Videospielen benutzt werden. Bilder von Menschen in Schutzanzügen, explodierende Graphen, sich ausdehnende oder einkreisende rote Markierungen, die Visualisierung des Virus.
Die Medien bedienen sich zur bestmöglichen Unterhaltung an jenen Bildern, die am besten unterhalten. Da sind Berührungspunkte mit der Herkunft dieser Bilder, etwaige Sensibilisierung für die Auswirkungen und das reale Einschätzen von Bedrohungen ein Vorteil im Umgang mit der Ansteckungsangst.
Denn damit sich deine aufzufüllenden Bildern aus dem kulturellem Umgang mit derartigen Ängsten tatsächlich auch in reale verwandeln, muss schon verdammt viel schief laufen. Bevor du dich allein durch ein verlassenes Dorf mit Bazooka im Anschlag durch aufkommende Zombiehorden schlägst, um den letzten Schokoriegel der Welt aufzugreifen, werden wir wahrscheinlich erst tatsächlich noch in selbstfliegenden, kostenlosen Flugtaxen sitzen.
Was du mitnimmst ist Medienkompetenz und die beruhigende Sicherheit, dass es so schlimm schon nicht kommen wird. Diese Analysefähigkeit schafft Vernunft.
Besonnenheit und Verantwortung
Doch damit ein Pandemieverlauf auch tatsächlich eingedämmt und unter Kontrolle gebracht werden kann, braucht es wachsames, besonnenes Handeln. Ein von Panik und Ängsten geleitetes Handeln führt zu abwegigen, wenig weitsichtigen Konsequenzen. Denn auch das kennst du bereits aus so vielen Erzählungen. Immer wieder gab es diesen einen Menschen, der doch nur mal kurz etwas austesten wollte, sich nicht an Empfehlungen oder bereits kommunizierte Anweisungen halten wollte.
Immer dann wenn du deine Aggressionen gen Bildschirm gerichtet hast, um dieser Person entgegen zu schreien, „jetzt sei doch nicht so dumm, so verhält sich doch niemand in einer solchen Situation“, genau jetzt musst du erkennen, doch, so handeln Menschen. Sei es aus Egoismus, aus Gewohnheit oder Einsamkeit, aus Unwissenheit, Trotz oder vorgeschobenem Freiheitsgedanken.
Es gibt sie, diese zunächst von dir als unplausibel geschrieben bezichtigten Charaktere. Sie werden entgegen aller Empfehlungen absurd handeln, sich eventuell nicht solidarisch zeigen. Doch du kannst auch aus erlebten virtuellen Erfahrungen lernen und dein Verhalten den außergewöhnlichen Bedingungen anpassen. Halte dich an Hinweise und Auflagen, hilf Risikogruppen, vermeide es übermäßig zu hamstern, unterstütze Menschen/kleine Unternehmen/Künstler_innen oder dein Lieblingskino oder -restaurant finanziell, um Ausfälle zu kompensieren, wenn du es kannst und wahre die Soziale Distanz, haltet Skypediskussionsrunden ab. Mit deinem Verhalten motivierst du auch andere die Kurven des Spektakels so klein wie möglich zu halten.
Denn eines ist schon gewiss. Entgegen all deiner bekannten Infektions-, Pandemie- und postapokalyptischen Videospielerlebnisse, war es noch nie so einfach ein_e Held_in zu sein. Denn anstatt unter enormen Aufwand, herumballernd einzelne Menschen aus Gefahrensituationen zu retten, musst du einfach nur mit deinem Arsch zu Hause bleiben. Und dabei lässt sich dann ganz prima der nächste postapokalyptische Ausflug voller Angstlust erleben. Aus dem ‚Nein, wir können nichts von Videospielen lernen‘ wird ein ‚Wir können etwas von Videospielen lernen‘.
Bleib verdammt noch mal Zuhause! #flattenthecurve
Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.