Where the Bees Make Honey Review | Wie bin ich hier bloß gelandet?

Schon wieder sitzt du an diesem stinkenden Schreibtisch und machst genau das Selbe wie gestern. Menschen anrufen, die eigentlich gar nicht mit dir telefonieren wollen. Also auch genau das Selbe wie die ganze Woche, den ganzen Monat und das ganze Jahr.

Wie bist du nur hier gelandet? Wann hast du eigentlich damit aufgehört die Welt ganz unbedarft zu erleben? Den ganzen Tag zu genießen, als wäre er ein einziges Abenteuer und jeder kleinste Einfluss eine hochspannende Angelegenheit?

Es ist spät, alle deine Kollegen haben das Büro bereits verlassen und den Feierabend eingeläutet. Nur du, du sitzt noch immer hier. Willst noch zwei bis drei Dinge erledigen, etwas nacharbeiten, völlig freiwillig. Als gäbe es da draußen nichts, das auf dich wartet. Wofür? Das weißt du nicht mal so genau. Und jetzt klingelt auch noch irgendwo ein anderes Telefon. Du solltest nicht mal mehr hier sein. Aber natürlich gehst du ran.

Imagination

Früher waren die Tage von Sunny unvorhersehbar und aufregend. In ihrem Bienenkostüm konnte sie alles erleben, alles sein… ja, sogar alles verändern. Ihre Phantasie hat sie in die schönsten Erlebnisse ihres Lebens entführt. Doch dieses Leben ist so grau geworden.
Ein Stromausfall bringt Sunny diese Erinnerungen, diese ganzen Erlebnisse zurück. Noch einmal blickt sie auf die Leichtigkeit der Kindheit, in der einfach alles möglich war. Durch die Retrospektive reflektiert Sunny ihr Leben. Sie stellt sich die Frage: möchte ich das alles weiterhin vermissen? Bin ich bereits die Person, die ich sein will oder habe ich noch einen langen Weg vor mir?

Where the Bees Make Honey von Brian Wilson beleuchtet das Innere-Ich und dessen Bedürfnisse, die oft durch den stressigen Alltag vernachlässigt werden. Das verursacht Stress, Unzufriedenheit oder im schlimmsten Falle Depressionen. Sunny schaut zurück auf eine bewegte Kindheit, in der die kleinen Details, die Erforschung der Umgebung und die schier unendliche Kreativität den unbedarften Tagesablauf beherrschten.

Selbstreflexion

Where the Bees Make Honey ist vor allem narrative Erfahrung. Der Künstler Brian Wilson nutzt jedoch verschiedene Elemente und Genres, um seiner Erzählung Dringlichkeit zu verleihen. So passen sich Optik und Variantenreichtum dem euphemistisch geprägten Bild der Kindheitssunny an. Die einzelnen Abschnitte zur Reise ins kindliche Ich werden immer wieder durch einzelne kunstvolle Videoinszenierungen durchbrochen. Was als Walking Simulator in der Ich-Perspektive beginnt, wandelt sich genauso wie die einstigen vielfältigen Abenteuer ihrer Kindheit. Where the Bees Make Honey wird zum Sidescrollung-Platformer, zur abstrakten Inszenierung und zum Third Person Exploration-Game, nur um immer wieder zum eigentlichen isometrischen 3D-Puzzle Kern zurückzukehren, in dem prägnante Szenarien die würfelige Levelform bilden.

Der spielerische Aufwand bleibt stets gering und machbar während Wilson immer die Erzählung in den Fokus stellt. So mutieren nahezu alle Elemente in irgendeiner Art zum Walking Simulator. Nur die Puzzle Welt trennt er strickt von der eigentlichen Erzählung. In diesen kleinen Leveln bist du auf der Suche nach drei Bienenwaben. Um sie zu erhalten, kannst du die Welt beliebig im oder gegen den Uhrzeigersinn drehen. Jeder Dreh verändert die Welt, schafft Zugänge und versperrt andere.

Die Farbwahl des Artstyles legt sich zumeist freundlich, bunt, leicht verzerrt und weichgezeichnet über die gewählten Szenerien. Fast ein bisschen surreal. Details wie der abhebende Entdeckerinnenhut, sind vor allem in den Sidescrolling und isometrischen Puzzleeinlagen enorm liebevoll gestaltet, während das Büro gerne mal im düsteren, gedeckteren grau erscheint. Die generelle Gestaltung wird von der großartigen Musik und der soundtechnischen Atmosphäre wundervoll getragen. Du rutscht tief in eine emotionale Story, in der du all das Erlebte nachvollziehen und nachempfinden kannst. Wenn dich dann doch etwas aus der totalen Trance von Where the Bees Make Honey herausreißen kann, sind es zumeist kleine Erschütterungen der Bildrate, lange Ladebildschirme und die hölzerne Steuerung innerhalb der Third Person Abschnitte, in denen du einen Hasen und einen RC-Truck steuerst. Gerade der Hase bringt dich mit seiner widerwilligen Art an den Rande des Wahnsinns. Jedoch passt dieses Gefühl zum vermittelten Teil der Geschichte. Weshalb sogar Absicht unterstellt werden könnte. Das ferngesteuerte Auto hingegen verhält sich gegen jede physikalische Regel und steuert sich so behäbig, dass du die Konzentration verlierst und eigentlich nur so schnell wie möglich am Ende des Abschnitts ankommen willst. Aber welche kindliche Erinnerung schert sich schon um physikalische Gegebenheiten?

Kleine Ursachen, die jedoch die Wirkung der Erzählung beeinflussen und eine komplette emotionale Bindung vermeiden. Ein Fakt, der dem eigentlich so dringlichen und unglaublich mutig inszenierten Werk einen Löffel Frust mit auf den Weg gibt, der in der perfekten Kindheitsreflexion von Sunny eigentlich keinen Platz haben dürfte. Denn innerhalb dieser regieren vor allem Spannung, Entdeckertum, Kreativität und Spaß. Vielleicht wäre es wirklich zu einfach in diesen speziellen Abschnitten ohne Probleme ans Ziel zu kommen. Denn Probleme sind auch Teil der Erzählung. Die bewusste Wahl einer erschreckenden technischen Steuerung als künstlerische Freiheit? Das Mittel zum Zweck, um die exakte Emotion zu transportieren? Könnte klappen, wenn du denn der eigentlichen Ausgangslage noch folgen könntest. Aber es sind eben auch nur zwei Abschnitte im großen stichhaltigen Gesamtkonzept. Zumeist präsentiert sich die Steuerung solide bis präzise.

Wohlbefinden

Where the Bees Make Honey ist trotz der mechanischen Schwächen ein gutes und beeindruckendes Erstlingswerk, das gerade mit seinen zwei möglichen Enden ein absolut gegenteiliges Gefühl vermittelt und die Ausgangsfrage nach der Gestaltung des Lebens und der Erforschung des Ichs und seiner Bedürfnisse unterschiedlicher nicht beantworten könnte. Denn welche Schlüsse Sunny aus der Selbstreflexion zieht, beeinflusst ihr Wohlbefinden und ihr weiteres Leben.

Der Walking Simulator mit Puzzle Einlagen ist eine wunderschöne Erfahrung und stellt Fragen, die für jede_n Spielende_n in der eigenen Reflexion von Wert sein können. Wie beschäftige ich mich mit Erinnerungen, wie eröffnet oder verzerrt sich das Erwachsene Abbild meiner Kindheit? Wie ordne ich Erinnerungen ein und was sollen sie mir geben? Wie euphemistisch oder pejorativ nehme ich sie wahr?  Wie möchte ich mein Leben gestalten und bin ich bereits die Person, die ich sein will? Was brauche ich, um dorthin zu kommen und vor allem, was brauche ich überhaupt, damit sich ein Gefühl von angenehmen Wohlbefinden und Glück einstellt?

Wenn ein Spiel all diese Fragen innerhalb von 45 Minuten aufstellt und dir dabei hilft, dein Leben ein wenig mehr zu durchleuchten, wurde im Endeffekt alles richtig gemacht und dieses Medium effektiv genutzt. Und irgendwie hebt sich Wilsons Werk mit seiner avantgardistischen Auslegung und den verschiedenen Anlagen der Spielwelt am Ende von konventionellen Spielerlebnissen ab. Es ist so kreativ und vielfältig wie Sunny ihre Kindheit im Gedächtnis verortet.

Wenn du komplexe Anforderungen während deines Spielerlebnisses bevorzugst, dir holprige Techniken auf den Keks gehen und du auf hypothetische, tiefe Fragestellungen innerhalb eines Spiels lieber verzichtest, solltest du das von Whitethorn Digital vertriebene Spiel vermeiden. Where the Bees Make Honey will gar nicht unbedingt in Technik und Performance bestechen, sondern dich zum Nachdenken anregen. Es ist genau das, was Kunst schon immer ausgemacht hat. Sie möchte sich jeglicher Bewertung entziehen und dir lieber eine Erkenntnis mit auf den Weg geben. Und genau das macht das recht kurze aber eindringliche Where the Bees Make Honey. Es erreicht dich zusätzlich mit warmen Tönen und lieblicher Optik. Eine Optik, die ein Herz für Natur vermittelt, ein Gespür für den speziellen Moment, für pointierte Atmosphäre und Musik, die auch Tage danach noch durch die Synapsen deines Gehirns nachhallt.

8/10 <3

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=4PeHCBWrjqM&w=560&h=315]

Developer: Wakefield Interactive
Publisher: Whitethorn Digital
Team: Brian Wilson, Alex Wisner, Jeff Zimmer, Matthew White
Musik: Brian Wilson, AKW, Alexandra Catherine Wisner, Meydän
Veröffentlichung: 26. März 2019 (Steam, PS4, Xbox One)

Autorin: Benja Hiller
Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

Kommentar verfassen