Hue Game Review | Das Spiel mit der Farbpalette

„Jump & Runs und Platformer sind so altmodisch! Was willst du da noch neues bringen?“ Fiddlesticks integrieren genau acht Farben in ihr schwarz/weißes Werk und beweisen, dass dieses Genre noch immer innovativ und neuartig erscheinen kann. 

In Hue spielst du, wie es treffender kaum sein könnte, als Hue. Auf der Suche nach deiner Mutter, die in der Mono-Welt gefangen gehalten wird, bekommst du ein Farbtool in die Hand gedrückt. Dieses dient dazu die Hintergrundfarben der Welten zu wechseln und Gegebenheiten zu verändern. So bekommst du zu Anfang des Spiels die Farbe hellblau vom netten Kapitän im Hafen. Mit dieser änderst du den grauen Hintergrund zu hellblau. Hindernisse wie Steine, welche die selbe Farbe besitzen, verschwinden in der Farbenpracht des Hintergrunds. Hast du einen Abschnitt gemeistert, bekommst du die nächste Farbe „geschenkt“. Gleichzeitig werden dir Briefe hinterlassen, die dich tiefer in die Hintergründe des Spiels und die Absichten des Doctor Gray ziehen. Mit jeder weiteren Farbe steigen die Möglichkeiten der Veränderung. Ebenfalls aber auch die Hindernisse. Du kannst Plattformen erschaffen oder verschwinden lassen, gefährliche Laser mit dem Hintergrund verschmelzen und unschädlich machen, oder fallende Steine beseitigen, um im nächsten Moment auf ihnen zur nächsten Ebene zu schweben.

Als wäre die Vermischung von Kwirk und Super Mario Land nicht schon Grund genug für durchaus kurzweiliges Gameplay in der minimalistischen 2D-Welt, ergänzt Fiddlesticks eine komplett neue Dimension. Eine neue Sichtweise auf die Spielwelt, die nun nicht mehr starr erscheint, sondern voller Optionen wirkt und somit deinen Denkapparat um ein vielfaches mehr fordert. Schiebe ich diese Kiste dort hin, muss ich vorher die andere Kiste verschwinden lassen? Was ist mit dem Boden, der verschwindet wenn ich den Laser wegknispse? Fragen, die bei Mario und auch bei Kwirk so einfach  nicht vorkommen und in Hue zum herausfordernden aber erfüllenden Element verschmelzen. Immer wieder wechseln sich Kisten mit Jump & Run Parts ab, oft hast du Zeit zum Überlegen und Durchdenken der Situation. Ein anderes mal musst du rasend schnell durch deinen Regenbogen wechseln, um keinen Stein auf den Kopf zu bekommen oder in der Schlucht zu verschwinden.

Hue verbindet einzigartiges Gameplay mit einer wunderschönen und dennoch minimalistischen visuellen Ebene. Die Welt erscheint im ersten Moment einfach gestaltet, offenbart aber immer wieder kleinste, liebevolle Details und Verspieltheiten, wie die Skelette, die von der Decke hängen und auf sich aufmerksam machen, wenn du sie berührst. Ein wenig Witz vermengt sich mit der tiefgehenden Atmosphäre des Spiels. Gerade durch die Farbwahl ändert sich der Eindruck oft von wohl bekommend über aggressiv bis ängstlich und bleibt durch das einzigartige Sounddesign doch immer in irgendeiner Weise mysteriös. Gerade in den Wechseln zwischen den neuen Spielabschnitten und dem Vortragen der Briefe stellt sich zum Teil ein angenehm, warmes Gefühl ein, dem du aber nicht so recht trauen magst, ob der Fallen und Gefahren, die da im nächsten Abschnitt warten.

Hue ist ein nahezu kompletter und perfekter Platformer, der mit seiner direkten und präzisen Spielmechanik zu überzeugen weiß. Wenn du versagst kannst du sicher sein, dass es an dir liegt und nicht am System. Hue ist fair gestaltet, führt dich langsam in seine Welt ein und entfaltet das volle Potential erst, wenn du alle Farben gesammelt hast. Es fordert, kann aber dennoch mit reifer Überlegung und dem ausgiebigen Rumprobieren von jedem/jeder gemeistert werden. Und genau das ist so unglaublich bestätigend, wenn du ein unlösbar geglaubtes Rätsel, einen unmenschlichen Abschnitt letztendlich doch gemeistert hast und in der Folge mit weiteren Story-Krümeln auf dem Weg zum kompletten Kuchen belohnt wirst. Hue ist einzigartig und offenbart, dass Innovationen in einem über 40 Jahre alten Genre noch immer möglich sind. Hue ist ein kleiner Mensch mit einer Schmalzlocke aus minimalistischer Kunst, einem großen Herz Spielmechanik, einem Wohlfühlpullover aus Atmosphäre und sehr großen Puzzle-Platformer Schuhen.

9/10 <3

Developer: Fiddlesticks
Publisher: Curved Digital
Release/Preis: 30. August 2016 (Steam, Xbox One), 29. November 2016 (PS4, PS Vita), 6. Juni 2019 (Nintendo Switch)
Auszeichnungen: Develop Indie Showcase 2015, Develop Indie Showcase People’s Choice 2015, Game of Show – Casual Connect USA 2015, Best Art – Casual Connect USA 2015, Best Design – Casual Connect Europe 2016, Best Kids & Family – Casual Connect USA 2015, Most Creative – Reboot Develop 2015

Autorin: Benja Hiller
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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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