Mighty Goose Review | Michael Bay im Gansanzug

Mighty Goose ist eine fabelhafte Hommage an die klassische Run&Gun Riege. So zumindest würde das Michael Bay wohl sagen.

Raumkapsellandung… Rattatatatat… Fokus auf Achse… Rattatatatat… Ente… Boom! Massive Explosion… Teile fliegen in Zeitlupe durch die Luft… Rattatatatat… alles gelb… Fliegerbrille… Geschnatter… Rattatatatat… Massiver Metalwurm dringt durch Boden… Zweirädriges Kampfgefährt erhalten… Boom!… Zeitlupe… Ganskampfschrei… Augenflimmern… Rattatatatat… tot, nochmal… Rattatatatat… Waffenlieferung… auf die Schnauze… Boom! Noch massivere Explosion… Schnatter, Schnatter!… Verbandskasten… gelber Strahl… Gänsebraten… Boom! Noch mehr Gelb… Zeitlupe… Gansfokus… Alles verschwimmt… Kopfschmerzen.

Einfach nur rennen und ballern, nur rennen und ballern

Nein, das ist nicht der neuste Michael Bay Film, sondern eine Kopfgeldjäger Gans in Aktion. Der intergalaktische Despot VOID-King hat all seine Freund_innen eingekerkert und hetzt nun seine besten Tiere auf die mächtige Gans, um auch sie ein für alle Mal auszuschalten. Die Kopfgeldjäger Gans mit dem so klingenden Namen Mighty Goose hat jedoch anderes im Sinn. Sich durch die Galaxie ballern, um nicht nur ihre Freund_innen zu befreien, sondern diesen unsäglichen VOID-King ein für alle Mal auszuschalten. Und das ist vermutlich sogar schon mehr Geschichte, als Michael Bay in all seinen Skripten zusammen verfasst hat. Nur haben Blastmode und MP2 Games hier eben auch keinen Kino-Blockbuster kreiert, sondern einen ha(h)nebüchenen Run&Gun Shooter, der vor allem eines vorzüglich beherrscht. Das Rezitieren.

Ich bekomme ja immer ein wenig kribbelige Hände, wenn das nächste Retro Run&Gun angekündigt wird. Eines, das dich ganz klassisch rennen und schießen lässt. In der Vergangenheit schienen nahezu alle Developer den Drang zu verspüren Genres zu kreuzen. Immer musste ein Schuss Metroidvania hier noch mit rein oder ein Messerspitze Roguelike dort untergebracht werden. Leute, lasst mich doch einfach mal nur rumlaufen und mein Magazin in den Körpern der Gegner verteilen. Einfach mal unbedarft losstürmen ohne an die nächstbeste Waffen-Gegner Kombi denken zu müssen, mein Waffenarsenal mit Updates zu fluten oder mir Wege oder Vorankommen zu verwehren. Mighty Goose versprach genau das. Mit seiner rücksichtlosen aufgeplusterten Rambo-Gans sollte ich die Pixellandschaften und Gegner zu einem Explosionsbrei verschmelzen lassen können. Bullet Hell Run&Gun ich komme!

Mighty Goose – oder einmal alles bitte!

Und genau das ist eingetreten. Mighty Goose stürmte los… und wurde zu Gänsebraten verarbeitet. Wieder… und wieder… und wieder. Meine Augen leuchteten, mein Ehrgeiz war geweckt. Mit meinem nutzlosen Freund, der Ente (Nein, das ist nicht degradierend, die kann wirklich nichts), machte ich mich auf… um zu sterben. An eine Befreiung des Schweins war vorerst nicht zu denken. Großartig! Doch Abschnitt, um Abschnitt ballerte ich mich voran, wich Kugeln in einer derartigen Eleganz aus, sodass der nächste Schwanensee Intendant glatt ne Gans als Schwan eingestellt hätte. Ein Run&Gun Ballettstück wie ich es gerne habe. Unwissend, dass die Gegner schon bald herzlos über mich lachen würden. Denn schon der erste Boss zeigte das ganze Ausmaß der Baypokalypse. Ich liebe Indies dafür, dass sie ihre Konzepte knallhart durchziehen können und wollen. In manchen Fällen überwiegt dann aber das wollen. Michael Bay hatte diesen Moment mit seinem 6 Underground auf Netflix.

Wenn du Michael Bay machen lässt, was Michael Bay will, kommt halt Pommes mit Schokosauce von Smarties garniert an Leberwurst-Crispies mit Bärchenwurst-Sahne raus. Alles muss rein, egal ob das nachher schmeckt. Mighty Goose schnattert aus all seinen Federn, Bomben und Pixeln völlig ungeniert heraus: Seht her, ich habe schon als Kind vor meinem Neo Geo gesessen und alle Teile Metal Slug im Kopfstand Fritten essend einhändig auf Ultraschwer locker durchgespielt. War ja nun wirklich auch kaum was los dort. Die anrauschenden Kugeln? Ein Witz! Die kannste ja allesamt erkennen. Und komm mir nicht mit Contra! Pippifax! Mighty Goose ist so Retro und doch mit ausuferndem Wahnsinn garniert, dass es ihm die einzelnen Pixel aus den Fugen haut. Wie ein aufgedrehtes Kind, das sein komplettes Lieblingspielzeug in den Wrestling Ring wirft, es mit Explosionen aus seinen Lieblingscartoonserien garniert, mit den Armen wild fuchtelt und mit aufgeblasenen Lippen „Prrrrrrchhtttt“ Geräusche produziert.

Schnittgewitter ohne erkennbaren Schnitt

Das sieht dann vielleicht Ultra Cool aus und macht für die involvierten Menschen sicherlich unglaublich viel Spaß, aber ich als außenstehende Blicke auf das gelbe Explosionsgewitterergebnis und frage mich, „wem oder was soll ich denn da jetzt ausweichen?“ Eigentlich sollte mir diese Anlage des Gameplays als Harakiri-Spielerin entgegenkommen. Aber in diesem Brei aus Explosionen, Kugelhagel und Bullet Hell Anleihen, die alle in derselben Farbe auf dem Bildschirm preschen, verliere selbst ich zunehmend den Überblick. Da kommt es nicht gerade gelegen, wenn völlig willkürlich Waffen abgeschmissen werden, die mich manches Mal wieder zurückwerfen oder mir ein Kumpane völlig hilflos hinterher rennt. Lustig? Definitiv! Hilfreich? Nicht wirklich! Auch weitere Teamplayer sind eher Bildfüller als ausgewachsene Robins.

Zwar verschaffen mir Aneinanderreihungen von Treffern die oft zitierte Zeitlupe, in der Mighty Goose schreiend über den ganzen Bildschirm gelegt wird und… ja was genau passiert da eigentlich? Zur Beruhigung der aktuellen Lage trägt das jedoch nur mäßig bei. Mighty Goose fehlt nicht nur Übersicht, sondern auch Balance und Fairness. Keine Chance irgendetwas zu erkennen, keine Chance zu reagieren. Und das bei Gegnern, die in Vielzahl oder völlig übermächtig auf den Bildschirm regnen. Der Schwierigkeitsgrad schwankt zwischen lapidar und unmöglich. Im Sekundentakt. Das war bei den Vorbildern definitiv anders. Ein Michael Bay Schnittgewitter ohne Schnitte, bei dem sich dein Kopf irgendwann vor Überhitzung verabschiedet. Zugegeben mit wesentlich größerem Charme.

Mighty Goose ist einfach zu cool für diese Welt

Und trotzdem stößt mein inneres Kind bei jeder massiven Explosion, jeder absurden overpowerten Zeitlupe ein tief beeindrucktes „Yeah!“ aus. Mighty Goose ist definitiv wesentlich cooler als das Bay-Standardmachwerk. Es scheint wie bei Bay-Filmen in Häppchen durchaus etwas mit mir zu machen. Zu viel davon und ich will mir so schnell wie möglich den Finger in den Hals stecken, weil der Geschmack von Kotze erträglicher erscheint, als das zusammengewürfelte Kindermenü. Nach zwei ausgiebigen Sessions und dem Vordringen in Level drei von neun bin ich erstmal fertig mit der coolsten Gans des Universums. Abgeschlossen aber habe ich definitiv noch nicht. Vielleicht ist Mighty Goose auch einfach nur zu cool für mich. Ich hatte halt nie ein Neo Geo, auf dem ich Metal Slug im Kopfstand Fritten essend einhändig auf Ultraschwer locker durchspielen konnte.

5/10 🦆💥

Developer: Blastmode, MP2 Games
Publisher: PLAYISM
Genre: Run&Gun Shooter
Musik: Dominic Ninmark
Veröffentlichung: 5. Juni 2021 (Steam, PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One, Switch)


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Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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