Wir Menschen haben im besten Fall viel Liebe zu verteilen. Liebe für die Eltern, Liebe für die Kinder, Liebe für die Freunde und natürlich Liebe für den/die Partner_in. Doch was, wenn das Herz für mehr als eine_n Partner_in schlägt?
Polyamore Beziehungen werden von vielen Menschen immer noch äußerst skeptisch betrachtet. Doch warum? Wenn wir alle ohnehin schon so viel Liebe zu teilen haben? Was ändert dann der simple Fakt, dass es sich um Liebe zu einem weiteren Menschen als Partner_in handelt und nicht zu einem weiteren Menschen in der Familie oder dem Freundeskreis?
Liebe ist zu kostbar und geliebt zu werden fühlt sich viel zu gemütlich an, als dass dieses Gefühl durch schnöde Besitzansprüche und Eifersucht in der Toilette heruntergespült werden sollte. Viel mehr scheint eine gesunde Reflexion von Nöten, um dieses Thema gesellschaftlich zu festigen. Es muss bei weitem nicht dein Lebensmodell sein, aber Polyamorie für andere Menschen zu akzeptieren und ihnen mit ihrem individuellen Entwurf nur das Beste zu wünschen, wäre ein weiterer, wundervoller Ausdruck der Liebe.
Damit das irgendwann umgesetzt wird, haben die Menschen von Triple Topping die Erfahrungen mancher Team-Mitglieder als Basis für Spitkiss herangezogen, um ein kurzweiliges, buntes und liebevolles Spiel über Polyamorie, offene Beziehungen und Liebe zu basteln. Eine Version der Liebesgeschichte, die – auch wenn Videospiele inzwischen von einer breiten Masse gespielt werden – in diesem Medium absolut unterrepräsentiert scheint.
Was passiert also, wenn dich nicht nur ein Spitkisser-Pfeil mitten ins Herz trifft, sondern gleich noch ein zweiter? Spitkiss erzählt genau das leichtfüßig und quietsche bunt. Die Spitkisser wohnen in einem fremden Körper und kommunizieren nicht nur über ihren Speichel, sie tauschen auch Gefühle und Zärtlichkeiten in dieser Form aus. Damit das unfallfrei funktioniert, bist du für die Navigation der kostbaren Fracht (Spucke) durch die liebevoll gestalteten, minimalistischen Level zuständig. Ganz intuitiv benutzt du deinen Finger, um die Richtung des Spucke-Balls festzulegen. Zwischen Zeitlupe und flummiartigen Abprallern musst du deine Gehirnzellen ein wenig in Schwung bringen, um im Mix aus Puzzle und Jump & Run voranzuschreiten. Hast du eine Reihe von Level erfolgreich abgeschlossen, wirst du mit zuckersüßen Comicpanels belohnt, die die Liebesgeschichte von Ymer erzählen und weiter ausschmücken – die Person, in der die Spitkisser wohnen. Ein kunterbunter Hybrid aus narrativer Comicerzählung und Präzisionsplattforming.
Spitkiss verbindet ein inhaltlich wichtiges, zu wenig angesprochenes Thema mit spaßigem, ausgefallenen Gameplay und Augenzwinkern. Das Art-Design ist eigenwillig, die Story hinreißend und emotional. Die Levelstruktur fördert deine persönliche Lernkurve. Vom simplen Einstieg an, wird der Anspruch unglaublich ausgeglichen gesteigert und vermeidet so, dass du geforderte Aufgaben nicht nachvollziehen kannst.
Spitkiss ist ein absolut ausgereifter und wunderbarer Platformer, der durch liebevolle musikalische feel good Unterstützung ein wohliges Gefühl vermittelt. Wenn du allerdings nicht unbedingt auf Geräusche von Körperflüssigkeiten stehst, könnte dir die etwas aufdringliche Vertonung der Spucke ein wenig den Wohlfühlfaktor nehmen. Doch das ist dann natürlich absolutes persönliches Ermessen. Im Kontext der Protagonist_innen und der Form der Kommunikation ist das Geräusch des Spuckens ein völlig plausibler Begleitsound.
Spitkiss ist ein angenehmer Zeitvertreib mit wundervoller Message, die nicht nur Polyamore Beziehungen thematisiert, sondern auch Non-Binary- und Genderfluide Persönlichkeiten. Ein durchgeknalltes Spielkonzept mit beeindruckender Präzision. Spitkiss wäre eigentlich das perfekte Spiel für Zwischendurch, für die kurze U-Bahnfahrt von der Innenstadt nach Hause. Doch es ist so Sucht fördernd, dass du es innerhalb kürzester Zeit komplett durchspielst, weil du wissen magst, wie die Liebesgeschichte ausgeht. Weil es einfach Spaß macht, den Austausch der Liebe zu verfolgen. Und im Zweifel kannst du Spitkiss ja einfach noch einmal oder immer wieder spielen. Schließlich gilt es die Wege der Spucke-Bälle zu perfektionieren.
8/10 <3
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Developer/Publisher: Triple Topping / Playdius
Team: Astrid Refstrup, Simon Stalhandske, Morten Brunbjerg
Art-Direction: Anne Sigismund, Murray Somerville, Line Schmidt
Audio-Design & Musik: Troels Nygaard
Veröffentlichung: 7. November 2018 (Android, iOS, Steam)
Autorin: Benja Hiller
Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.