Heavenly Bodies Review | Unkontrollierte Gliedmaßen im Weltraum

Die beste Idee, die du haben kannst? Spielenden volle Kontrolle über die Gliedmaßen eines Kosmonauten zu geben, wie in Heavenly Bodies.

Bisher ging ich davon aus, eine wirklich gute Koordination zu besitzen. Sowohl die physische Balance, als auch die Hand-Auge-Koordination funktionieren recht gut. Klar, mit stetig fortschreitendem Alter ist das Jahr für Jahr ne abnehmende Sache, aber eigentlich besitze ich seit der Kindheit gefestigte Grundlagen. Ich habe geturnt und meinen viel zu kleinen Körper über viel zu hohe Stangen beim Hochsprung gehievt. Ich rannte und stand (manchmal auch nasebohrend) auf dem Fußballplatz, bin Kart gefahren und habe später sogar bei einem Marathon teilgenommen. Wenn ich mein Rennrad nur langsam bewegen darf, bin ich leicht genervt. Auch im Sim-Racing und bei weiteren Spielen funktionieren Präzision und Reaktion auf nem zufriedenstellendem Niveau. Doch dann kam 2pt Interactive mit Heavenly Bodies daher und lachte einmal herzlich über meine ungelenk aussehenden Taten. Und ich? Ich lachte herzlich mit.

Lachanfall garantiert

Wir hätten also klargestellt, dass ich meine Arme und Beine recht gut bewegen kann. Auch wenn ich mir dann und wann mal ne Schramme abhole. Bloß, im Weltraum habe ich all das noch nie gemacht. Wir haben hier unten auf der Erde etwas, das manchmal nervt, generell aber ne gute Sache ist: die Schwerkraft. Auch wenn Dinge runterfallen, die eigentlich an ihrem Platz bleiben sollten, zumeist kommen wir klar. Weil wir die Umstände gewohnt sind. Weil alles Gewicht besitzt und von physischen Gesetzen umgeben ist. Letzteres ist wahrlich auch im All der Fall, erstes jedoch nicht. Ohne die Schwerkraft ist nichts unbeweglich. Einmal angestupst, ist ein Schraubenschlüssel auf ewig in eine Richtung unterwegs. Und jetzt verlangt Heavenly Bodies von mir, dass ich mich in dieser Umgebung nicht nur anständig bewegen kann, sondern eine ganze Raumstation aufbaue und verwalte?

Und als wäre das nicht genug, bewege ich Arme, Hände und Beine getrennt voneinander über Analog-Sticks und Schultertasten? Ein frischgeborenes Baby bewegt sich eleganter als mein 1970er Kosmonaut durch die Raumstation. Ca. 10 Minuten verbringe ich damit, meinen ersten Auftrag aus dem Terminal entgegenzunehmen. Statt es einfach aus dem Drucker zu greifen, drehe ich mich fünfmal um die eigene Achse. Dem Drucker komme ich dabei nicht näher. Ich fliege einfach unkontrolliert durch die Station. Stoße an das Klappbett, dass ich nicht mal eingeklappt bekomme. Es gibt kein Gegengewicht. Der Kosmonaut führt dabei Armbewegungen aus, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Ich lache… Abends, 22:30 Uhr, allein vor einem Fernseher in dem sich ein Kosmonaut hilflos im Kreis dreht. Verantwortlich dafür: ich selber.

Spiele in denen ich schlecht bin und trotzdem Spaß habe: Heavenly Bodies hinzugefügt ✔️

Ich greife hilflos nach Halt, trudele durch Räumlichkeiten, stoße mit dem Kopf immer wieder an Wände oder stecke in Eingängen fest. Zum Glück hat mein Kosmonaut auch in der Station einen Helm auf. Die Mission Raumstation aufbauen wäre ansonsten schnell vorbei. Nach 15 Minuten habe ich die Mitteilung und damit meinen Auftrag entgegennehmen können: Solarpanel ausfahren, Station mit Strom versorgen! Es sollte insgesamt 30 Minuten dauern, bis ich diese Aufgabe erledigt habe. An der zweiten Mission hänge ich eine ganze Stunde. Ich sitze angespannt auf dem Sofa, die Zunge in den Mundwinkel geklemmt. Dieses Bild, unterbrochen von immer wiederkehrenden Lachkrämpfen, ob meines Unvermögens. Ich verkrampfe. Noch nie hatte ich beim Spielen solche Schmerzen in den Händen. Noch nie hatte ich derart große Probleme klarzukommen. Niemals hatte ich mit einem Spiel, in dem ich so schlecht bin, so viel Spaß.

Und das liegt vor allem am durchdachten Spielsystem. Die Steuerung über den Dualsense Controller der PS5 ist unglaublich präzise. Aktionen und Aufgaben wirken dermaßen poliert, dass die Fehlerquelle schnell auszumachen ist. Ich bin es, die es verkackt. Und ich habe Spaß dabei. Ich habe Walkthroughts von Menschen gesehen, die Heavenly Bodies innerhalb derselben Zeit komplett  durchspielen, die ich für die ersten zwei Missionen benötigte. Ist mir egal! Ich habe den Kosmonauten-Puzzler sogar noch immer nicht durchgespielt. Und auch das ist mir egal! Wenn ich unkontrolliert mit schmerzenden Händen durch das Weltraumsetting stolpere, habe ich ne gute Zeit. Und daran sind die beiden Entwickler_innen aus Australien schuld, die sich alle Zeit der Welt genommen haben, um ihre Vision des Puzzlers in der Schwerelosigkeit umsetzen zu können. Wenn ich eines schätze, dann sind es vollumfänglich funktionierende Steuerungen. Ein Frustausschlusskriterium, das mich allein für meine Aktionen verantwortlich macht.

Zwischen präzisem Puzzler und unkontrolliertem Schabernack

Egal wie ungelenk ich mich durch das wundervolle All bewege, ich ignoriere sämtliche Hilfen, die mir 2pt Interactive anbieten. Es ist eine komplizierte Aufgabe so eine Raumstation zusammenzubauen. Ich will sie genauso bewältigen, wie sie angedacht war. Ohne Schwerkraft ist nichts unbeweglich, sicher oder einfach schreiben die Developer im Begleittext auf Steam. Ich wette, ich würde genauso unglaublich ungelenk aussehen, wenn ich tatsächlich eine Weltraumstation aufbauen sollte. Dass mir Heavenly Bodies dieses Gefühl über einen Controller* auf die Erde holen kann, ist das schönste Geschenk, das mir passieren konnte. Es ist ein haptisch herausragendes Erlebnis. Ich mag kontrollierte Koordination. Es fuchst mich, nicht ebenso elegant durch die Station zu gleiten, wie Alexander Gerst. Dafür sehe ich genauso glücklich aus.

„Wir haben uns bemüht, die Magie dessen einzufangen, wie es sich unserer Vorstellung nach anfühlt, wenn man sich in der Schwerelosigkeit bewegt. Einerseits wirkt alles so elegant und mühelos, andererseits ist es die ungewohnteste Situation, in der sich der menschliche Körper befinden kann“, sagen Alex und Josh von 2pt Interactive. Aber bevor ich jetzt weiter an meiner Weltraumaufgabe arbeite und genüsslich über mich selbst lache, warte ich lieber noch auf eine_n Kosmonauten-Kolleg_in, die_der mit mir zusammen wild umher fuchtelt. So gerne ich alleine über meine Aktionen lache, im Falle von Heavenly Bodies hätte ich gerne die ganze unkontrollierte Dröhnung. Einen Lachanfall Deluxe im lokalen Koop. Geteiltes Chaos ist doppelter Spaß. Falls ich dann jemals Kontrolle gewinnen und elegant statt verloren aussehen sollte, möchte ich wenigstens jemanden an meiner Seite haben, den ich mit einem Feuerwerkskörper ins All schießen kann.

9/10 👨‍🚀 💪

Developer/Publisher: 2pt Interactive
Team: Alexander Perrin, Joshua Tatangelo
Genre: Puzzler
Auszeichnungen: Rising Star Award ( Indie Arena Booth, gamescom 2019)
Veröffentlichung: 7. Dezember 2021 (Steam, PS5, PS4)

*2pt Interactive empfehlen dringend das Spielen mit einem Controller, im besten Fall den Dualsense der PS5.


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Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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