A Juggler’s Tale Review | Von Abhängigkeit und Selbstbestimmung

Vom Zirkus Direktor in A Juggler’s Tale der Freiheit beraubt, Abby’s Hoffnung jetzt in die Flucht vertraut.

Vor über 30 Jahren muss es gewesen sein,
da musste klein Benja ordentlich wein‘:

Des Püppchens strenger Blick,
bescherte ihr einen ordentlichen Knick.
Die Stimmen so tief und autoritär,
wirkten sie fast parasitär.
Ovale Köpfe und spitze Nasen,
erzeugten bei ihr unbehagen.

Die Erzählungen so düster wie die Nacht,
wurde sie um den Schlaf gebracht.
Puppen verfolgten sie in ihren Träumen,
drauf mussten die Eltern ihr Bett bald räumen.
Geschichten verbreiteten Angst und Schrecken,
das konnte Benja nur schwer wegstecken.

Doch eines Tages war es da,
das Püppchen das recht freundlich aussah.
Aus dem Eis ist es gekommen,
und hat der Benja die Angst genommen.
Mit lieblichem Blick und dicker Nase,
stand es ein für eine entspannte Phase.
Das Urmel konnte Benja sagen,
nicht alle Püppchen sind absolute Plagen.

Doch auch beim nächsten Theater war es nicht zu vermeiden,
klein Benja musste erneut laut weinen.

In A Juggler’s Tale, wird die Benja gar nicht pale

In der Geschicht die ich euch heut‘ vermag zu erzählen, ist es klein Abby nicht einmal vergönnt zu wählen. Gefangen vom Zirkus Direktor höchstpersönlich, sind ihre Nächte doch recht ungewöhnlich. Im Käfig direkt neben einem Bären, kann sie nicht einfach so ihren Rücktritt erklären. Eingemottet, um am Tage die Menschen zu bespaßen, träumt sie des Nachts von in die Ferne reichenden Straßen. Und so packt sie letztendlich doch der Mut, sie greift nach ihrem nicht vorhandenen Hut. Beschließt einen Packt zum Ausbruch mit dem Bären, der wird ihr helfen, um ihr die Zukunft nicht zu verwehren. Doch da draußen lauern Gefahren, die sie jetzt noch nicht vermag zu erfahren. So ganz allein ist unser Abby aber dann ja nicht, denn ich erzähl euch die Geschicht. Denn wo Reime sich aneinanderreihen, wird euch die Erzählerin mit Sicherheit bald einweihen.

Reime sind für Reviews Gift, doch darum schert sich die Benja nicht. Sie macht einfach heiter weiter, sollen doch andere erklimmen diese Leiter. Langsam wird es zunehmend absurd, weshalb jetzt auch ihr Kopf nicht spurt. Die Reime machen alles malle, drum fliegen sie jetzt in die Ausstellungshalle. Weil niemand sonst versteht, was der Benja im Kopf vorgeht.
Meine Fresse ist das schwer da wieder rauszukommen. Einmal angefangen, spukt ein ganzer Sack von ABs im Kopf herum und will rausgelassen werden. Ich kann mir den Spaß, den die Autor_innen Steffen Oberle, Manuel Oswald und Laura Schiereck beim dichten hatten, bildlich vorstellen. Wie verflucht finden wir eine Lösung, um Story und Dichtkunst phonetisch charmant zu vereinen? Es ist eine beachtliche Aufgabe, diese klassische Herangehensweise in einem modernen, digitalen Umfeld zu integrieren. Nicht nur die Reime und der Flow müssen sitzen, Interaktion, Charakterentwicklung und Erzählbogen müssen ineinandergreifen.  

Reich mir doch mal das Wasser, sonst vertrockne ich du Menschenhasser

Nachdem ich in die Recherche zu A Juggler’s Tale abgestiegen bin, habe ich jetzt schon Angst mit jemanden zu kommunizieren, ohne desjenigen Gehirns zu rasieren. Und je tiefer ich grabe, desto tiefer scheinen sich die Köpfe des Developer Studios kaleidoscube aus Süddeutschland in die Dichtung und das Puppenspiel hineinbegeben zu haben. Nicht minder war das Ziel, klassische deutsche Traditionen des Marionettenspiels und der klassischen Lyrik in einen modernen Platformer zu integrieren. Über reichlich Recherche und Begutachtung von modernem Puppenspiel vor Ort – beispielsweise bei der Marionettenbühne Mottenkäfig in Pforzheim – ist so aus einem anfänglichen Studentenprojekt der Cinematic oder eher Theatrical Puzzle-Platformer A Juggler’s Tale entstanden. Und in dem steckt mehr Theater, als es die Dichtung und die Fäden anfangs vermuten lassen.

Doch zu meiner Erleichterung hängen an den Fäden keine grausigen Puppen, die mich im Schlaf verfolgen. Auch wenn sich kaleidoscube am klassischen Marionettentheater orientieren, so ziemlich alle Püppchen verbreiten vorab einen wesentlich sympathischeren Eindruck, als es all die von mir früher besuchten Puppenspiele je konnten. Das liegt unter anderem an den sanften Konturen des Designs, das in seiner Tiefe atemberaubende Sichten auf die Wälder der Theaterwelt freigibt. Hier erinnern wirklich nur die Schnüre daran, dass jemand ganz anderes die Fäden der Geschichte in der Hand hält. Denn das detaillierte Abbild dieser Welt, es ist nur unsere visualisierte Flucht in die Imagination des Marionettenspiels. Ein herausragendes Puppenspiel braucht einen herausragende_n Erzähler_in. Genau diese Rolle übernimmt Erzähler Jack, in einer von ihm erdachten, klassischen Fünfakt-Theaterdrama-Struktur. Jeder Akt startet zudem mit einem Vorhang und dem vollen Blick auf das eigentliche Puppenspiel.

Ohne die Theaterstruktur, muss Jack schon bald in Kur

Und so stürmt die junge Jongleurin Abby in A Juggler’s Tale von der angedachten Freiheit, in die nächste Abhängigkeit. Denn Jack ist zu Anfang Fluch und Segen. Hilft er der jungen Protagonistin gerade noch über einen Fluss, schickt er sie in der nächsten Situation ins drohende Unheil. Doch je weiter die Geschichte voranschreitet, desto aufmüpfiger wird Abby, desto mutiger werden wir. Jack wird urplötzlich in Situationen gedrängt, in denen er sich nicht mehr an die Fünfaktstruktur des erdachten Stücks halten kann, sondern improvisieren muss. A Juggler’s Tale spielt mit Abhängigkeiten, die auch dich mit einbeziehen und in dir Fragen aufwerfen, inwieweit Abby noch immer abhängig von dir ist? Das eigentliche Marionettentheater, es bricht durch den Vorhang, durch die Mattscheibe und macht auch dich zu seiner Marionette. Wer hier am Ende wohl von wem abhängig sein mag? Schon Plato nutze Puppen an Fäden als Bild, um Abhängigkeiten von Menschen darzustellen.

Kaleidoscube überführen diese Abhängigkeit in ein narratives Platformer Umfeld, das auch die Fäden immer wieder mit einbezieht. Und auch Jack weiß hämisch zu kommentieren, wenn du dich abermals am Baum verhedderst und damit erneut vergisst, wer für den Rahmen der Geschichte verantwortlich ist. Die Einschränkung der Fäden fügt sich organisch in ihre Umwelt, in der Puzzle nie absurd wirken und aus der Motivation der Geschichte heraus zumeist zu einer schnellen Lösung führen. So sichert sich A Juggler’s Tale eine kompakt erzählte Erfahrung, die kaum von äußeren Einwirkungen beeinflusst wird. Ein Abtauchen in die Welt der Jongleurin Abby, in das mittelalterliche bühnenhafte Setting, ist hier ohne Probleme möglich. Und das in einer Form, der den Ursprung in seiner Dichtung und die folkloristischen Anlage als Inspiration ehrt, aber den einstigen Schrecken, den ich als Kind verspürte ausklammert.

Klassik funktioniert wohl auch, mit A Juggler’s Tale’s interaktiv positivem Hauch

Denn eines das sei hier gesagt:
Schrecken unter Kindern zu verbreiten ist sowas von betagt!
Ein leichter Grusel hingegen,
der lässt auch bei Kindern eher Spannung erregen.

Und dafür muss dir niemand einen Daumen abkneifen,
sondern einfach nur Atmosphäre verbreiten.
Wo Angst oft zu Traumata führt,
wird im Grusel nur der Mut geschürt.
Denn auch Erzähler Jack kann nicht vermeiden,
dass wir A Juggler’s Tale mit Hoffnung auskleiden.

Also Kinder gebt fein Acht…
nee, das kann ich nicht auch noch bringen.

Und so schallt es aus allen Ecken…
warte, das entstammt in abgewandelter Form so komischen Poesiebüchern.
Geht gar nicht!

Kaleidoscube der Dank gebührt,
in A Juggler’s Tale wurde Marionettenspiel in die Moderne überführt.
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung,
sorgen im Leben für Vorbestimmung.
Und so kann jeder noch so junge Wicht,
genießen dieses wundervolle Gedicht.

8/10 🤹‍♀️

Developer: kaleidoscube
Publisher: Mixtvision
Genre: Cinematic Puzzle-Platformer, Theatrical Puzzle-Platformer
Team: Dominik Schön (Game Design, Gameplay Programming, Level Art), Steffen Oberle, Game Design, 3D Art, Storytelling), Enzio Probst (Game Design, Programming, Shading), Elias Kremer (Programming, Technical Artist), Sven Bergmann (Prototype Producing), Manuel Oswald (Additional Storytelling), David Steffen (Voice), David Maas (English Author), Thomas Conrad (Concept Art), Beate Höller (Concept Art), Lukas von Berg (Animation), Laura Schiereck (Additional Storytelling), Milena Mayer (Motion Design), Ronja Wittke (Art & Animation), Lucas Bruchhage (Simulation)
Musik: Jordan Toms (Sound Design & Music)
Auszeichnungen: Grand Award, Best PC Game, Best Storytelling, Best Art, Best Upcoming Game, Best Casual Game (Game Connection Europe 2019), Winner Newcomer Prototype (Deutscher Computerspielpreis 2019)
Veröffentlichung: 29. September 2021 (Steam, Epic Games Store, GOG, PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One, Switch)


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Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

2 Gedanken zu “A Juggler’s Tale Review | Von Abhängigkeit und Selbstbestimmung

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