Main Assembly Preview | (Un-)begrenzter Fahrzeugbau

In Main Assembly sollst du bauen was auch immer du willst. Der Weg ist im Early Access jedoch noch steinig.

Es gab eine Zeit, da saß ich völlig vertieft einfach nur so da und zeichnete Autos. Am Küchentisch, auf dem Teppich in meinem Zimmer, vor dem Fernseher, auf dem Fliesentisch bei meiner Omma, im Urlaub, am Strand oder in der Schule. Überall das gleiche Bild. Benja malt Autos, zumeist platte Draufsichten von hinten oder von der Seite, um der ekelhaften dritten Dimension aus dem Weg zu gehen. Ich zeichnete und zeichnete auf Blättern, Rändern von Aufgabenzetteln oder der Innenseite einer Schokoladenpappverpackung. Irgendwann werde ich selber Autos designen oder zumindest konstruieren, so der tollkühne trübe Plan in meinem Kopf. Aus diesem Plan ist offensichtlich nichts geworden. Spiele, die mir genau diese Möglichkeit des Designens und Kreierens an die Hand geben, fand ich jedoch schon immer spannend. Die unendliche Freiheit genau das zu bauen, was dir so in den Sinn kommt? Das sollte doch genau mein Ding sein! Oder etwa nicht?

Main Assembly und seine freundliche Drohne

In Main Assembly übernimmst du die Rolle einer ziemlich ausgefuchsten umherfliegenden Drohne. Mit ihrer mächtigen KI ist sie in der Lage so ziemlich alles zu bauen. Dabei sind popelige Autos noch die leichteste Übung. Zwischen Rennwagen, Motorrädern, Flugzeugen, Robotern, achtbeinigen Animatronics, Raketen oder der vollelektromechanischen Laufhose wird deiner Phantasie kein Sand ins Getriebe geworfen. Die freundliche kugelige Drohne erbaut alles und setzt sich danach liebend gern ans Steuer deiner Kreation, um vorgefertigte Herausforderungen anzugehen, Möglichkeiten auszutesten oder im Sandboxmodus umherzutollen. Gemeinsam mit anderen oder allein? Kein Problem. Einzig, du musst ihr sagen was sie zu tun hat, sonst macht auch die Drohne lieber nen Tag frei.

Bad Yolk Games stellt dich ohne Umschweife in eine hypermoderne Fertigungshalle. Das Werkzeug fein säuberlich auf den Lochtafeln an den Wänden sortiert, das Lager voll mit den edelsten Materialien, modernste Programmierungstechniken warten darauf eingesetzt zu werden. Kreationen frisch aus dem 3D-Drucker. Du kannst jedes kleinste Teil individualisieren und an deine Bedürfnisse anpassen, Chassiskonstruktionen optimieren, Karosserien dengeln, Motoren abstimmen und Ablaufprogramme schreiben. Ein Tutorial zeigt dir die ersten Schritte in deinen Alltag des Fahrzeugbaus und doch, ich fühle mich wie Hein Blöd, nachdem mich Käpt’n Blaubär wieder einmal einen Dösbattel genannt hat. Es ist alles vorhanden, nur anzufangen weiß ich nichts damit.

Alles eine Sache des Blickwinkels

Dabei bin ich bei weitem kein Technik-Vollhonk. Ich habe sogar irgendwann mal eine Ausbildung in der Welt des Kraftfahrzeugs abgeschlossen, nur das, was mir Main Assembly da zur Verfügung stellt, kann ich absolut nicht zu meinem Vorteil nutzen. Viel zu undurchsichtig erscheint mir das gesamte Kreationstool. Vor allem aber viel zu unbrauchbar die schreckliche Kameraführung. Da ist sie wieder, diese unsägliche dritte Dimension. Nicht nur setzen die Developer voraus, dass du dich im Fahrzeugaufbau und in der visuellen Programmierung auskennst, sie werfen dir einen First-Person Blickwinkel vor die Füße, der mir jegliche brauchbare Anpassung meines Fahrzeugs verwehrt. Da komme ich nicht mal mehr über den Punkt der Chassiszusammenführung im Tutorial hinaus, weil die Kameraführung es einfach unmöglich macht, exakt zu erkennen, was ich da in welche Richtung zerre. Jetzt fühle ich mich, als hätte ich meinen N64 wieder entstaubt.

Meine Kreativität, im Keim erstickt durch unbrauchbare Ansichten des zu erschaffenden Models. Da waren meine 2D-Zeichnungen damals doch wesentlich simpler zu handhaben. Und nun, da ich dieses Ungetüm von Creationtool selbst erlebt habe, bin ich noch erstaunter darüber, was andere Menschen hier tatsächlich schon erschaffen haben. Wie zum Teufel haben die das geschafft? Ich muss zugeben, wenn mir Mechaniken in Spielen schnell übermäßig komplex und undurchsichtig erscheinen, verliere ich schnell die Motivation mich überhaupt noch darum zu kümmern. Doch scheinbar bin ich nicht die einzige, die Probleme mit der Ansicht, der zu sperrigen Steuerung und der zu komplexen Herangehensweise an das Bauen hat. Auch wenn andere durchsteigen und in der Folge durchaus Spaß in der Welt von Main Assembly haben, auf Steam kritisieren viele die unsägliche Kamera. Und das nicht nur im Kreationsmodus.

Das Limit in Main Assembly ist nicht dein Kopf, sondern das Creation-Tool

Main Assembly soll ein bunter Spielplatz zum Ausleben deiner Fortbewegungsphantasie sein. Doch mir nimmt es jede Chance darauf, in der durchaus fröhlich bunten Welt herumzutoben, mein Fahrzeug auszutesten, es zu crashen, anderen vorzuführen oder Crash Dummies umzunieten. Dort wo Main Assembly Kreativität fördern will, setzt es zur Zeit noch deutliche Barrieren, die für viele einfach nicht zu überwinden sein werden. Erstaunliche Kreationen wachsen vor allem dann, wenn du dir um das „WIE“ keine Gedanken mehr machen musst. Wenn du aber dauernd den optimalen Blickwinkel suchst, um überhaupt ein Teil an dein Fahrzeug zu bauen, das dann aber neben der eigentlichen Plattform in der Luft schwebt, bist du noch weit davon entfernt unbedarft zu erschaffen.

Der Vorteil an Early Access Phasen von Spielen ist jedoch, dass das Team mit den Spielenden zusammen weiterentwickeln kann. So werden eventuell hinderlich scheinende Mechaniken oder problematische Ansätze schneller erkannt. Kritik der Community kann aufgenommen und noch vor der Veröffentlichung im Spiel integriert werden. Ich hoffe, dass Bad Yolk Games sich mit Team17, bei all dem positiven Feedback, auch die geäußerten Kritikpunkte der Community ansehen werden und im Laufe des Early Access valide Lösungen finden. Denn wenn du einmal durchgestiegen bist, vielleicht aber noch eher nicht von der Entwicklungsumgebung in deinem Schaffen behindert wirst, kann mit Main Assembly ein sehr starkes Creation-Game entstehen. Die Voraussetzungen dafür sind in jedem Fall gegeben.
Ich bin jedenfalls froh, dass ich nur über den Fahrzeugbau schreiben und mich bei der Entwicklung von Autos nicht mit den mir vorgesetzten Gegebenheiten rumärgern muss. Die richtigen Tools dafür zu kreieren scheint gar nicht so einfach.

Developer: Bad Yolk Games
Publisher: Team17
Genre: Sandbox, Aufbausimulation, Creation-Game
Veröffentlichung: 11. Juni 2020, Early Access auf Steam

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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