Ein eingefahrener Autor muss seiner Buchreihe neues Leben einhauchen. Jungdetektivin Jenny LeClue steht vor ungeahnten Aufgaben.
37 Bücher hat der Autor Arthur K Finkelstein seiner Jungdetektivin Jenny LeClue schon gewidmet. Zufrieden mit seinem Werk der Stetigkeit macht er sich an das 38. Buch der Reihe. Bloß keine Experimente. In Arthurton (Was für eine grandiose Visualisierung. Die Gedanken des Autors Arthur als Stadt Arthurton. Herrlich!) soll alles so friedlich und harmonisch bleiben wie immer. Doch dann offenbart ihm sein Verlag, dass sich an der LeClue Reihe dringend etwas ändern muss, weil sie sonst, dank drastisch sinkender Verkaufszahlen, die Detektivin für immer in den Ruhestand schicken müssen. Das Ende für Jenny LeClue naht.
Der Verlag fordert mehr Spannung, mehr Mysterien und Morde. All das würde der Detektivgeschichte sicher gut bekommen.
Ein Mord? In Arthurton? Das passt nicht! Widerwillig setzt sich Arthur ans Werk. Ein plötzlicher Mord am Dekan der Universität stellt Jennys Leben auf den Kopf. Die Verdächtige: Ihre eigene Mutter.
Jenny LeClue und die Macht des Schreibens
Im Detektiv Adventure Jenny LeClue entwickelt sich eine Geschichte innerhalb einer Geschichte. Ganz so wie in Titanic, wenn die gute alte Rose von ihren Erlebnissen auf dem mächtigen Schiff erzählt und innerhalb der eigentlichen Erzählung von James Cameron in eine weitere Erzählung eintaucht. Oder wenn Leonardo DiCaprio in Once Upon a time in Hollywood den Schauspieler Rick Dalton verkörpert und innerhalb der Geschichte einen weiteren Charakter am Filmset mimt. Jenny LeClue ist ein einziger Metanarrativ.
Genau auf dieser Metaebene muss sensibel agiert werden, damit die, die die Geschichte erleben, nicht völlig aus dem Tritt geraten und verzweifelt die Segel streichen. Während du selber in Jenny LeClue also Jenny LeClue spielst, dient Arthur K Finkelstein als Erzähler der Geschichte. Und da seine Schreibfähigkeiten 37 Bände „Einfach weiter so“ hinter sich haben, wehrt er sich zu Anfang der Erzählung vehement gegen Veränderung.
Zwar besitzt Jenny in Konversationen die Wahl der Antwort, doch schubst sie der stiesige Finkelstein immer wieder in ihre alten Muster zurück. Und so erscheint auch das Spiel selber zu Anfang äußerst langatmig, zäh und repetitiv. Denn Arthur will es so… noch. Während das Narrativ hier also durchaus plausibel erscheint, eröffnet sich das auf der eigentlichen Spielebene als etwas Kontraproduktiv.
Die eigentlichen Mysterien und Eigenheiten des Schreibens entwickeln ihre Macht oft erst nach einiger Zeit. Nicht immer passiert mit Charakteren was vorher angedacht war. Nicht immer lässt sich alles vorausplanen. Doch das dauert. Die Frage ist, warum wir in Buch 38 überhaupt so eine lange Einführung benötigen. Liegt es vielleicht daran, das es Spiel Nr. 1 ist? Und das nicht so ganz zusammengeht?
Ja komm jetzt… äh… mach
Jenny LeClue vereint vereinfachtes, simples Point & Click mit immer wiederkehrenden Minigames und Light-Platforming. Es gibt keine sinnlosen Kombinationsmöglichkeiten. Schlussfolgerungen funktionieren halbautomatisch inklusive Multiple Choice Auswahl zum Ende der Aufgabe. Herausgefordert wirst du in einzelnen Rätselparts zumeist nicht, denn im Vordergrund steht die Erzählung, die ihre Zugänglichkeit nicht verlieren soll. Und so komm ich über die ersten vier Stunden nur schwer in Tritt, trotz der liebenswürdigen Charaktere, die in manchen Persönlichkeiten wohlgeformte Tiefe offenbaren.
Joe Russ vom Developer Mografi legt größten Wert auf die durchgängige Fokussierung der Detektivarbeit. Jenny ist eine junge Detektivin aus Leidenschaft. Jeder noch so kleinste Hinweis auf eine mögliche Enthüllung treibt sie in die Analyse und dich damit in immer wiederkehrenden Spielmuster. Hinweise sammeln, Fragen stellen, Kombinieren, Schlussfolgerung ziehen. Manch einer würde behaupten, ja nun, das ist halt der Job einer Detektivin. Doch der musikalische Einspieler nach erfolgreicher Kombination des Ganzen wird mich noch Jahre verfolgen.
Autor Arthur weiß einfach nicht wohin mit seiner Geschichte, weswegen er Jenny in Nichtigkeiten verstrickt. Jenny LeClue nimmt erst Fahrt auf, als Arthur sich und seinen Gedanken freien Lauf lässt. Er lässt Jenny den Raum sich zu entwickeln. Er gesteht der Geschichte ihre Eigenheiten zu. Wenn er sich auch immer wieder dagegen sträubt und anmerkt, dass das aktuelle Geschehnis ja durchaus gewagt erscheint für ein kleines Mädchen.
„It’s too long, too dark, too violent!“
Jenny LeClue heimst malerische Szenerien im Kosmos der wundervollen Gestaltung ein, gibt immer wieder der Kameraführung einen gewitzten, dramatisierenden Touch und webt Mysterien und Abgründe in die Story ein. Mografis Detektiv Adventure braucht viel Anlauf, kommt dann aber zunehmend auch spannungstechnisch zu Potte.
Und genau das haben wir der Rebellion der Protagonistin zu verdanken. Immer wieder lehnt sie sich gegen Arthurs eingefahrene Sichtweisen auf. Nicht nur Jenny entwickelt sich, auch der Autor der Detektivgeschichte selber. Coming Of Age funktioniert offensichtlich auch im Alter. Und noch besser bei unserer Ermittlerin. Die immer wiederkehrenden Diskussionen zwischen Jenny und Arthur erwärmen mein Autorinnenherz.
Mografi entwickelt gerade noch im richtigen Moment ein Gespür für passend eingeworfenes Konfliktpotential, Überraschungen und visuell erfrischende atmosphärische Kniffs. Alle zusammen erinnern dich immer wieder daran, dass du gerade eine Geschichte innerhalb einer Geschichte erlebst. Eine Geschichte jedoch, die du selbst mitgestalten kannst. Denn laut Aussage des Developer Teams hat hier jede deiner Entscheidungen Einfluss. Auch das Ende, das dein Ende mit in Teil zwei nimmt. Denn Jenny LeClue – Detectivu soll erst der Einstieg in eine geplante Trilogie werden.
Der Strohhalm im Adventureglas
Auch wenn Jenny LeClue lange braucht, um aus dem Quark zu kommen, lohnt es sich am Ende. Auch wenn manch Melodie einen zu kurzen Loop und eine zu große Wiederholungsrate besitzt, manch wiederkehrendes Spielelement ermüdend erscheint und jede Wendung oder Auflösung nicht immer mit gewünschtem Effekt plausibel erklärt. Mografis Adventure ist ein liebenswertes Abenteuer, das seine Kraft hauptsächlich aus der Entwicklung der Protagonistin und der des Metanarrativ schöpft.
Ich hatte zumeist große Freude zu sehen, wie zwiegespalten Autor Arthur seine Gewohnheiten versucht zu vertreiben und doch immer wieder im Clinch mit der Protagonistin endet. Jenny LeClue ist eine gelungene, metaphorische Darstellung des Entwicklungsprozesses eines Buches. Das sich innerhalb dieser jedoch noch ein nettes und in großen Teilen funktionierendes, mysteriöses Adventure mit genug Eigenheiten befindet ist nahezu absurd, aber außerordentlich erfreulich. Das muss sich den Eigenheiten des fiktiven Autors zwar zuerst unterordnen, gewinnt aber mit seiner ausgiebigen Laufzeit von 10 bis 15 Stunden durchaus an Potenzial und Charme.
Das Metanarriv bildete meinen Strohhalm, an dem ich mich gerade noch so festhalten und mich Richtung strafferer Spannungskurve im eigentlichen Adventureteil hieven konnte. Ich hoffe, dass andere Spieler_innen und gerade auch Kinder ihren eigenen Strohhalm finden, der sie auf die eigenen Stärken und die Entwicklung der Persönlichkeit stoßen lässt. Denn auch das kann Jenny vermitteln, leider nur etwas zu langsam und spät. Die visuelle Gestaltung dieses Adventures aber ist in jedem Fall über alle Zweifel erhaben und absolut meisterhaft in Szene gesetzt.
7/10 <3
Developer: Mografi
Publisher: Mografi
Team: Joe Russ, Ben Tillett, Syd Weiler
Veröffentlichung: 19. September 2019 (Steam, iOS), PS4 und Switch sollen folgen
Autorin: Benja Hiller
Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.