Hotshot Racing balsamiert deine so gebeutelte Arcade-Racing Wunde – mit saftiger Geschwindigkeit und Hall in der Stimme.
Die Wahrnehmungen und Interpretationen des Arcade-Racing haben sich seit der Jahrtausendwende immer weiter verschoben. Gerade die großen Brocken der Industrie – namentlich Need for Speed, Forza Horizon oder auch die reguläre DiRT Reihe – suggerieren, Arcade hätte irgendetwas mit realtitäsnaher Grafik, Social Media Auswüchsen und locker leicht beschwingten Fahrphysik-Modellen zu tun. Was zur Zeit als Arcade bezeichnet wird, ist eher eine Popart-Weichspülsimulation, in der die Anpassungsmenüs der Fahrzeuge größere Speicherkapazitäten fordern, als ganze Spiele reinrassiger Arcade-Racer. Mit ihren brachialen Kampagnen verdrängten sie den Zweiminutenfahrspaß nahezu komplett. Vorbei der Spirit kurzer, schneller und kompakt inszenierter Drifteskapaden auf überschaubaren Kursen. Die Hetzjagd zum nächsten dramatisch ablaufenden Checkpoint. Doch es gibt da wen, der sich an deine leuchtenden Augen vor den Arcade-Automaten Anfang der 1990er Jahre erinnert. Die Faszination Autorennen schon innerhalb seiner euphorischen Ankündigungsline verbreitet – „Hooootshooot Raaaciiiing!“
Bei 260km/h durchs Seitenfenster schauen
Sumo Nottingham und Lucky Mountain Games wissen genau, wie es damals war vor diesen mächtigen Automaten zu stehen, die ihre dynamischen Intros, unterlegt von fetziger Musik, abspielten, um dich an das Lenkrad zu locken. Schneller, kurzweiliger und perfekt inszenierter Rennspaß ohne Bremse. Leicht zugänglich aber schwierig zu meistern. Mit einem Driftmodell, das nicht völlig ad absurdum geführt wird, aber trotzdem leicht kontrollierbaren Fahrspaß versprüht. Keinen überflüssigen Killefitz, nur das Auto, die Strecke, der Countdown und du. Hotshot Racing erinnert sich an die Daytona USAs, an die SEGA Rallys und die Out Runs der Automatenhallen. Puristische Rennen nahe der Zweiminutengrenze, die du zu jeder Zeit einfach dazwischenschieben kannst. Fordernde Gegner_innen, markante Protagonist_innen, ikonische Strecken und handverlesene Rennwagen. Wozu das Spektakel künstlich aufpumpen, wenn es doch in seiner Ursprungsform schon spektakulär genug erscheint? Geschwindigkeit ist eben alles was du brauchst.
Und deshalb gibt es im Retro Arcade-Racer ganze acht Fahrer_innen mit jeweils vier Autos im Gepäck, die sich auf 16 Strecken in vier Regionen austoben dürfen. Ein schnelles Rennen, ob allein, auf der Couch mit bis zu vier oder online mit bis zu acht Menschen? Ein kompakter Grand Prix auf vier Strecken der jeweiligen Regionen in drei Schwierigkeitsgraden? Wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei oder eine Reinkarnation des Speed Themas, in der du eine gewisse Geschwindigkeit halten musst, um nicht zu explodieren? Hotshot Racing weiß wie Arcade geht. Es nimmt klassische Modi, schaltet leicht zugängliche online Abteilungen hinzu und reichert sie mit frischen Ideen an. Ein Rennen dauert nie mehr als drei Minuten, ein Grand Prix kann innerhalb einer viertel Stunde komplett beendet werden. Gut dosiertes Häppchen-Racing für zwischendurch.
Hotshot Racing – der Arcade-Überflieger
Du fühlst dich sofort zu hause auf den Strecken der verschiedenen Regionen. Ob nahe der Küste wie in Out Run, durch den Dschungel, die Alpen oder die Wüste von Las Vegas. Streckendesigns akzeptieren die Rahmenbedingungen des Racers zu jeder Zeit und stellen dir kein unfaires Bein. Sie wissen, wenn sich deine Mundwinkel im Fluss aus Geschwindigkeit und Drift anheben, dann bist du glücklich. Wozu das künstlich kaputtmachen wollen? Und so kommst du super schnell auf allen Strecken klar, merkst aber ebenfalls, dass es in höheren Schwierigkeitsgraden mehr braucht, als bloßes Klarkommen. Hotshot Racing hat die einstige Formel verstanden. Verderbe niemandem sofort den Spaß, gib ihm Erfolgsmomente, dann bleibt er auch dran. Und schnell werden aus einem Rennen auch mal vier, oder acht. Du bemerkst, dass ein schnelles Spiel in jeder freien Minute keine Utopie darstellt. Wer kurze Sprints erst möglich macht, beweist am Ende den längeren Atem.
Markante Protagonist_innen werben nicht nur mit flotten Sprüchen oder individuellen Modellpaletten, sondern ebenfalls mit kleinen Backgroundstories nach erfolgreich abgeschlossenem Grand Prix um deine Gunst. Die Inszenierung von Hotshot Racing setzt dort an, wo dich die blinkenden Automaten in den Neunzigern verlassen haben. Eine euphorische Stimme mit viel Hall stellt kurz die Strecke vor, dann übernehmen die Fahrer_innen mit Einzeilern zum Renngeschehen den Kommentar. Retroinfizierte Elektrosounds mit leichtem Midieinschlag ebnen den Weg, die Low-Poly Optik setzt das Sahnehäubchen obendrauf. Der Arcade-Racer sieht genauso aus, wie dir deine geliebten alten Vertreter durch Retrobrille und Nostalgiecharme in Erinnerung geblieben sind. Um ehrlich zu sein… nur viel schärfer, konstrastreicher, detaillierter und wundervoller als jemals zuvor. Und eben auch von Fahrgefühl her wesentlich stimmiger, direkter, schneller und mit seinen 60 Bildern pro Sekunde ebenfalls viel flüssiger als damals.
Der Arcade-Racer ist tot! Es lebe der Arcade-Racer!
Sumo Nottingham und Lucky Mountain Games haben hier einen durchgestylten, perfekt funktionierenden Arcade-Racer geschaffen. Ein Genre, das es im klassischen Sinne eigentlich gar nicht mehr gab. Hotshot Racing besinnt sich auf die Ursprünge des Genres, wirft überflüssiges ab und bastelt ein stimmungsvolles Bild um sein Rennspektakel herum. Gameplay und Inszenierung greifen so perfekt ineinander, dass du die doch in die Jahre gekommene Technik der Alten nicht mehr brauchst. Vergiss Remasters oder Remakes! Wenn eine alte Genreformel so dermaßen gut in die Moderne überführt wird, braucht es keine alten Titel mit Re-Whatever Anhängsel im Titel, um Menschen zu mobilisieren. Das schafft die neuinterpretierte Formel des klassischen Automatenrennspiels in Hotshot Racing schon ganz allein. Es braucht mehr solcher neuen IPs, die es schaffen deine nostalgische Gefühlsduselei auch ganz ohne aufgewärmte Mikrowellenkost zu ködern.
Acade-Racing bedeutet leicht zugänglicher Fahrspaß. Die Balance muss stimmen. Nicht nur innerhalb der Anlagen des Fahrzeugs, sondern auch innerhalb deiner Zeiteinteilung. Kannst du die Zeit, bevor du zur U-Bahn hechten musst, nicht mit einem kurzen Rennen füllen, ist es kein Arcade-Racer. Genau das lassen viele Rennspiele, die sich dieser Kategorie eigentlich zugehörig fühlen, vermissen. In einer Zeit, in der jedes Spielerlebnis immer größer, pompöser und ausladender, deine Zeit aber immer knapper wird, sind Spiele wie Hotshot Racing ein Segen. Eine zu jeder Zeit erreich- und genießbare Wohlfühl- und Ablenkungsinsel. Nicht zu fordernd, um den kurzen Kick zu erleben und auch nicht zu ausufernd, damit du entspannt das Ziel erreichen kannst, bevor du los musst. Ohne auch nur eine Sekunde in unnötigen Einstellungskapriolen zu verlieren. Einsteigen und Spaß haben. Das funktioniert in riesig angelegten Kampagnen und ausufernden Ladebildschirmen absolut nicht. In Hotshot Racings kurzweiligem Driftwahnsinn jedoch perfekt.
9/10 🕹️ 🏎️
Developer: Sumo Nottingham, Lucky Mountain Games
Publisher: Curve Digital
Genre: Rennspiel, Arcade-Racer
Veröffentlichung: 10. September 2020 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.