2020 war unglaublich abwechslungsreich. In Teil 1 unseres „Best Of 2020“ prämieren wir die besten Indie Games ihres Fachs 2020.
Knapp drei Stunden haben wir redaktionsintern über unsere Welcome To Last Week „Best Indie Games 2020“ Awards diskutiert. Wir haben gestritten, gelacht, Plädoyers gehalten, alles verworfen und wieder neu aufgestellt. Doch am Ende waren wir alle zufrieden mit dem, was da aus den Nominierten als Gewinner_innen hervorgetreten ist. Aus 110 Reviews und noch viel mehr erlebten Spielen abseits des Magazins, haben sich zunehmend Favoriten herauskristallisiert, die alle ihre Berechtigung verlangten. Drum haben wir uns für eine dreiteilige Berichterstattung entschieden, die nicht nur die Vielfalt unserer Redaktion, sondern auch die des Indie Game Jahres 2020 widerspiegelt. In zwei Artikeln und einer Podcastfolge präsentieren wir euch die besten Indie Games des Jahres 2020. Wir starten heute mit den 20 Kategorien zu den besten Indie Games ihres Fachs 2020, bevor wir dann morgen in Teil 2 zu den Besten Indie Games 2020 und im Podcast über unsere Geheimtipps 2020 reden.
Falls du dich also jetzt fragst, wo dieses oder jenes Spiel abgeblieben ist? Eventuell taucht es in einem der weiteren Teile auf, steht noch auf unserer „zu spielen“ Liste oder wurde gar nominiert, aber hat unseren wilden Diskussionsprozess nicht überlebt. Nun aber ohne Umschweife in den ersten Teil der „Besten Indie Games 2020“. Hier sind „Die besten Indie Games ihres Fachs 2020“ präsentiert von Nina, Tobias, Malte und Benja:
Best Adventure
“Röki”
Polygon Treehouse / United Label (Steam, Switch)
Verschneite Welten, nordische Mythen, geheimnisvolle Bäume und warzenbewachsene Monster. Auch wenn letzteres erst einmal nicht so sympathisch klingt, wird es im Adventure Röki von Polygon Treehouse aber so wunderschön in Szene gesetzt, dass Benja und ich uns komplett in dieser Welt verloren haben. Viele der Monster in Röki sind Freunde – liebenswerte Wesen, die uns auf unserem Weg begleiten. In der Rolle der großen Schwester Tove tun wir alles, um unseren Bruder Lars aus den Fängen eines Ungeheuers zu retten, das uns nicht so wohlgesonnen scheint. Dass Adventure seine Spieler_innen hier und da mal in den Wahnsinn treiben, ist allgemein bekannt. Röki aber schafft eine gute Balance zwischen Haareraufen und dem zufriedenem Glucksen beim Lösen eines Rätsels. Den Controller in die Ecke pfeffern möchte hier niemand. Denn selbst, wenn das Hirn mal hakt und ein Puzzle unlösbar scheint: Wir haben immer noch die Option, in der wunderschönen Welt umher zu spazieren und so den Kopf freizubekommen. (Nina Weidlich)
Best Point-and-Click Adventure
„Nine Witches: Family Disruption“
Indiesruption / Blowfish Studios (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Verzweifelte Nazis beschwören in den tiefen Wäldern Norwegens übernatürliche Mächte, die dem Verlauf des Zweiten Weltkrieges eine entscheidende Wende herbeiführen sollen. Ein russischer Professor im Rollstuhl und sein japanischer Partner ziehen los, um all das zu verhindern. Nine Witches: Family Disruption erinnert sich an all die Absurdität und den schwarzen Humor, die das Genre einst so auszeichneten. Es entfaltet sich eine völlig groteske Geschichte, die immer auch, ob seiner Thematik, schläge in die Magengrube setzt. Eine wundervolle Pixelwelt, innovative Spielmechaniken und storygebundene Rätsel lassen dich nie ratlos zurück. Vielmehr fördern sie ein in sich stimmiges und unglaublich humorvolles Point-and-Click Adventure, das immer wieder auch die Gaming Industrie persifliert. Und das Lachen funktioniert am Ende nur, weil die Auswirkungen des Naziregimes zu jeder Zeit sichtbar sind. Ein kompakter Point-and-Clicker wie ich ihn schon lange nicht mehr erlebt habe. Genau so sollte eine moderne Interpretation des Genres aussehen. (Benja Hiller)
Best Stealth Game
„El Hijo – A Wild West Tale“
Honig Studios / HandyGames (Steam)
Schon in meiner Review zu El Hijo – A Wild West Tale habe ich das Stealth Game der HonigStudios ordentlich abgefeiert. Dass ich es in dieser Kategorie als Sieger sehen wollte, war also für keinen aus der WTLW-Redaktion eine Überraschung. Warum ist El Hijo prädestiniert für diesen Award? Hier bekommen wir Schleichen in seiner ursprünglichsten, kindlichen Form. Wir müssen keinen abmurksen, wir wollen auch nirgendwo einbrechen, etwas stehlen oder sonst irgendwelchen Schaden anrichten. Als El Hijo wollen wir einfach nur: weg. Und zwar zu Mama. Und wer nicht metzeln darf, der muss sich eben kreative Alternativen überlegen, um sich seinen Weg in die Freiheit zu bahnen. Bewaffnet mit Zwille, Leuchtraketen und anderem Kram, den Kinder halt so dabei haben, schleichen wir uns durch die Welt des wilden Westens. Und die ist so schön, dass es auch gar nichts ausmacht, dass El Hijo nicht so flott auf den Beinen ist. (Nina Weidlich)
Best Role Playing Game
„Ikenfell“
Happy Ray Games / Humble Games (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Die Magieakademie von Ikenfell hat uns 2020 besonders verzaubert. Anleihen von JRPGs und eine charmante Pixelgrafik werden in einem zeitgerechten Konzept mit einer zauberhaften Geschichte rund um einen diversen Cast aus Magiebegabten verschmolzen. Rundenbasierte Gefechte und klassische Level-Ups wechseln sich in unserem Best RPG mit tollen Dialogen und den exzentrischen und liebenswürdigen Charakteren ab. Besonders ans Herz gewachsen ist mir die schüchterne Petronella, die trotz ihrer Angst immer für ihre Freund_innen in die Bresche springt. Schnell merkten wir, dass nicht alles so ist wie es scheint und die Story von Ikenfell mindestens so vielschichtig ist wie die Scharmützel gegen strange Zauberwesen. (Tobias Idinger)
Best Racing
„art of rally“
Funselektor (Steam)
art of rally mag dich durch sein kunstvolles Low Poly Design vielleicht anlocken. Es ist aber die konsequente Simulation, die dem so putzig wirkendem Rennspiel innewohnt, die dich verweilen lässt. Eine Mischung aus Spielzeugteppich Vogelperspektive und authentischem Fahrgefühl. Brutale einstige Rallyemaschinen rasen durch die schönsten Kulissen der Welt. Es ist die Zusammenführung der Kunst und ernstzunehmender Fahrphysik, die Funselektors Racing Game zu einem der außergewöhnlichsten Rennerlebnisse der letzten Jahre macht. Eine längst vergangene Ära des Motorsports eingehüllt in zeitloses Design. Während Simulationen mit möglichst realistischer Optik nur noch älter werden, reift art of rally wie ein edler Wein. Es funktioniert vor allem deswegen, weil es bei seiner arcadig scheinenden Optik genau das Gegenteil vermittelt. Oft endet der schier brutale Vorwärtsdrang an einem der vielen Bäume am Wegesrand. Wenn aber Fahrer_in, Fahrstil, Maschine und Strecke perfekt zusammen arbeiten, genau dann wird art of rally zur Ekstase. (Benja Hiller)
Best Rougelike
„Hades“
Supergiant Games (Steam, Epic Games Store, Switch)
Von vielen als eines der besten Spiele des Jahres bezeichnet, kommen auch wir nicht drumherum, Hades als bestes Rougelike zu küren. Was das Spiel der Supergiant Games so besonders macht, ist vor allem die erzählerische Ebene, die jeden neuen Run in Kontext setzt. Während andere Vertreter des Genres euch einfach immer wieder neu starten lassen, hat in Hades jeder Versuch, ob erfolgreich oder nicht, Einfluss auf die Beziehungen zu den Charakteren des Spiels. Als Zagreus lernt ihr so alle Bewohner_innen des Hades und des Olymps immer besser kennen, baut Beziehungen auf und findet eure ganz eigenen Lieblinge, während ihr außerdem immer mehr Möglichkeiten bekommt das Gameplay zu verändern und stärker zu werden. So habt ihr ein Spiel, das euch Stunden über Stunden an den Bildschirm fesselt, weil ihr mit jedem neuen Versuch wieder etwas Neues schafft, freischaltet oder entdeckt. Ein rundum gelungenes Gesamtpaket! (Malte Küppers)
Best Metroidvania
„Ori and the Will of the Wisps“
Moon Studios / Xbox Game Studios (Steam, Xbox Series X|S, Xbox One, Switch)
Ich mochte ja schon Oris erstes Abenteuer, der zweite Teil ist jedoch besser in jeder Hinsicht. Genretypisch könnt ihr immer mehr von der Welt entdecken, je mehr Fähigkeiten ihr freischaltet. Doch trotzdem habe ich hier das Gefühl, relativ frei entscheiden zu können, welche Gebiete der großen Karte ich zuerst erkunde. So erlebe ich eine unfassbar rührende Geschichte um Ori und seine kleine, befreundete Eule voller dramatischer Wendungen, hervorragender Musik und atmosphärischer Umgebungen. Besonders hervor sticht hierbei der Spielfluss, der sich irgendwann einstellt, wenn ihr alle Fähigkeiten des kleinen Lichtwesens kombiniert und wie der Wind durch die Abschnitte fegt, sodass die Schnellreisefunktion nicht mehr nötig ist. Das Kampfsystem, eine vernünftige Speicherfunktion und große Bosskämpfe geben Ori and the Will of the Wisps den nötigen Feinschliff, der dem ersten Teil noch gefehlt hat. Ich habe mich absolut verzaubern lassen und kehre immer wieder gerne in diese Spielwelt zurück! (Malte Küppers)
Best Platformer
„The Pedestrian“
Skookum Arts (Steam)
Wenn du gerne schnell fährst, bekommst du mitunter gar nicht mit, was auf Verkehrs- und Warnschildern so abgeht. Doch lass dir sagen, ein genauerer Blick lohnt sich. Denn innerhalb des undurchsichtigen Schilderwaldes offenbart sich eine Welt, die aus Kisten, Plattformen, Türen, Schalter, Hebeln, Widerständen, Kabeln und Batterien besteht. Und das Beste? Alle können miteinander verbunden werden, damit die Protagonist_innen der Schilder zu ihren Sets gelangen. Der beste Platformer in diesem Jahr heißt The Pedestrian (Der/die Fußgänger_in). Klingt logisch oder? Und der beste Platformer integriert sein Puzzle-Element dermaßen innovativ, dass du nicht nur präzise durch diverse Schilder hüpfst, sondern innerhalb derer und im Gesamtgefüge mehrerer, clevere Rätsel lösen musst. Außergewöhnlich, wunderschön, fordernd und charmant in seiner Inszenierung. Wie Fußgänger_innen nun mal so sind. (Benja Hiller)
Best Visual Novel
„If Found“
Dreamfeel / Annapurna Interactive (Steam, Switch, iOS)
If Found erzählt seine Geschichte innerhalb eines Tagebuchs, das am 31. Dezember 1993 zerstört wird. Zeitgleich machen sich zwei Astrophysiker_innen auf den Weg ein schwarzes Loch zu finden, das an einem bestimmten Tag die ganze Welt auslöschen wird. Seite für Seite radierst du Einträge, Erinnerungen und Geschehnisse aus. Verschwindet die eine Szene entsteht unter dem Wegradierten eine neue. Dreamfeel nutzen die visuelle Ausdrucksstärke mit ihrem minimalistischen Artstyle aus wenigen Farben dermaßen stark, dass du durch das ständige Radieren in den sensiblen Sog der Geschichte eintauchst. Fortan übernehmen, Expressionismus, Gefühlschaos, Atmosphäre, Musik, Storyline und Design das Kommando. Eine diverse Geschichte mit irischen Wurzeln und Eigenheiten hinterlässt tiefe Spuren, auch weit nach dem Genuss. Besser kann eine Visual Novel nicht wirken. (Benja Hiller)
Best Action
„Maneater“
Tripwire Interactive (Epic Games Store, PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One)
Ein Hüpfer an den Sandstrand, das Schreien der Badegäste in den Ohren, wird nach und nach jede Person vor meiner Schnauze weggesnackt, bis die großen Haijäger_innen auf mich aufmerksam werden, um dann ebenfalls das Meerwasser rot zu färben – so ungefähr habe ich meine Zeit in Maneater verbracht. Tripwire Interactive haben hier sicher kein tiefgründiges Meisterwerk geschaffen, doch manchmal muss es eben der trashige Actionfilm aus der Videothek sein, der den Abend füllt. Da kommt es doch gerade recht, dass das Spiel wie eine Trash Reality Show auf DMAX aufgezogen ist. Kaum etwas beschreibt Maneater so gut wie die Reaktion meiner Partnerin, die gerade ins Zimmer kam und einfach nur schallend loslachen musste, als mein großer, von Panzerplatten übersäter Hai plump aus dem Wasser platschte, um auf Menschenjagd zu gehen. Vergesst Sharknado, wenn ihr auch einfach Maneater spielen könnt! (Malte Küppers)
Best Narrative
„Wintermoor Tactics Club“
EVC / Versus Evil (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Wintermoor Tactics Club lebt vom Plot, der in nuancierter Manier vielfältige Themen aufgreift. So klappern wir als Alicia den Campus ab, um Freund_innen und Mitschüler_innen bei vielfältigen Problemen beizustehen. So eine diverse und schöne Coming-of-Age Geschichte gab es selten. Mithilfe des DnD Verschnitts „Kulte und Katakomben“ finden die Schüler_innen zu ihrem wahren selbst und fassen zusammen den Mut zu sich zu stehen, was letztendlich das Schicksal des ganzen Internats beeinflussen wird. Wer hier nicht jede noch so kleine Nebenaufgabe mitnimmt, um die verzweigten Beziehungen der Kids zu erforschen, verpasst etwas! Und selbst die rundenbasierten Gefechte in Wintermoor Tactics Club, die an Tabletop-Rollenspiele angelehnt sind, wurden von den Entwickler_innen bei EVC Games geschickt in die Narrative eingeflochten. Denn durch die Abenteuer, die die Mitglieder des Clubs meistern, wachsen sie zusammen und finden das Selbstvertrauen, das sie benötigen, um den Feinden der Schule entgegenzutreten. (Tobias Idinger)
Best Puzzle Game
„Kosmokrats“
Pixel Delusion / Modern Wolf (Steam)
Die Puzzleausrichtung von Kosmokrats ist dermaßen plausibel, dass du dich ständig fragst, warum das nicht schon viel früher umgesetzt wurde. Wahrscheinlich war es zu offensichtlich. Tetris im All sagt der Genosse dazu und genau das trifft es perfekt. In der Schwerelosigkeit puzzelst du mittels einer ferngesteuerten Drohne Raumstationen und -schiffe zusammen. Umgebung und Umstände sorgen für Komplikationen und Druck, der Kommunismus für abermals erschwerende Einschränkungen. Und als wäre die logische Weiterentwicklung und dessen innovative Umsetzung eines etablierten Puzzlesystems nicht schon genug, legt sich Pixel Delusions Werk sanft in ein narratives Netz aus satirischen Absurditäten um ein fortgeführtes Wettrennen im All der 1980er Jahre. Kapitalismus, Kommunismus und Kartoffeln. Es könnte hanebüchener nicht sein. Ganz großer Puzzlespaß. (Benja Hiller)
Best Serious Game
„Through the Darkest of Times“
Paintbucket Games / HandyGames (Steam, PS4, Xbox One, Switch, Android, iOS)
Through the Darkest of Times ist mir wirklich schwergefallen. Die Organisation des antifaschistischen Widerstandes gegen das Naziregime nach Hitlers Amtsantritt ist mühsam, niederschmetternd und alles andere als unterhaltsam. Aber wie soll solch ein Thema anders dargestellt werden? Paintbucket Games haben sich einer unfassbar schweren Aufgabe gestellt, die ich nie adäquat hätte lösen können. Und trotzdem ist ein Spiel entstanden, dass sicher der ein oder anderen Schulklasse an die Hand gegeben werden kann, um ihre ganz eigenen Erfahrungen mit einem faschistischen Regime zu machen. Through the Darkest of Times verlangt, sich über die eigenen Entscheidungen und die Konsequenzen Gedanken zu machen. Dabei hilft es, sich über diese Erlebnisse auszutauschen und sie gemeinsam zu reflektieren, gerade weil die aktuelle Gesellschaft oft zu vergessen scheint, wie wichtig eine antifaschistische Grundhaltung doch ist. Es geht daher kein Weg an diesem Spiel vorbei, wenn wir über die besten und eindrücklichsten Spiele des Jahres sprechen! (Malte Küppers)
Best Open World
„Paradise Killer“
Kaizen Game Works / Fellow Traveller (Steam, Switch)
Eine offene Welt weiß vor allem dann zu überzeugen, wenn es viel zu entdecken gibt, ohne es wie Arbeit wirken zu lassen. Paradise Killer hat genau das. Ihr könnt die paradiesische Insel erkunden, viele Gegenstände finden, die euch mehr Hintergründe über diese seltsame Welt bieten oder ihr findet wichtige Hinweise, die euch helfen, einen Mordfall zu lösen. Das alles schafft das Spiel von Kaizen Game Works, ohne euch mit Markern auf der Karte zu nerven. Es werden nur die Personen angezeigt, die ihr zum Mordfall befragen könnt, alles weitere liegt einzig und allein an eurer Orientierung und eurem Entdeckungsdrang. Ein Verdächtiger erzählt, dass er etwas interessantes am Strand gesehen hat? Geht zum Strand, schaut euch um und ihr findet tatsächlich etwas. Das alles ohne eine genaue Anzeige zu schaffen wo ihr hingeht, ist unheimlich befriedigend. So macht Erkunden Spaß, so hat eine offene Welt gestaltet zu sein! (Malte Küppers)
Best Simulation
„Death and Taxes“
Placeholder Gameworks (Steam, Switch)
Ihr simuliert den Arbeitsalltag des Sensenmannes. Braucht es mehr Gründe, um hier den Award zu rechtfertigen? Ich glaube ja nicht. Sollte doch noch jemand zweifeln, hier eine kleine Erklärung des Spiels. Ihr sitzt Tag für Tag am Schreibtisch, vor euch die Dokumente einiger Menschen, über deren Schicksal ihr entscheiden müsst. Wer soll überleben, wer muss sterben? Euer Chef gibt euch immer wieder Anweisungen, zum Beispiel nur Menschen mit wissenschaftlichen Berufen zu töten, die jünger als 55 Jahre sind. Hört ihr auf die Anweisungen, gibt es Gehalt, das ihr abends in einer Kneipe oder in Deko für euer Büro investieren könnt. Oder entscheidet ihr euch, nach eigener Schnauze zu agieren oder vielleicht sogar niemanden zu töten? Auch das ist möglich. Fordert das Schicksal heraus oder gebt euch gefügig, Death and Taxes hat für jeden Verlauf ganz eigene Konsequenzen. Genau so stelle ich mir den Alltag als Sensenmensch vor! (Malte Küppers)
Best Survival Game
„The Red Lantern“
Timberline Studio (Epic Games Store, Xbox One, Switch)
Survivalspiele überfordern mich oft. So viele Mechaniken, die es zu beachten gibt, Sachen wollen gecrafted werden, überall lauern Gefahren. The Red Lantern schraubt diese Mechaniken auf das Notwendigste herunter und setzt seinen Fokus eher auf die Beziehung zwischen einer Schlittenfahrerin und ihren Hunden. Der Versuch, durch eine eisige Schneewüste zu reisen, wird bei den ersten Versuchen noch scheitern, bis die Heldin des Abenteuers immer mehr notwendiges Werkzeug wie eine Angel oder eine Axt mitnimmt. Durch die ständige Frage, wann ihr den Hunden Nahrung gebt, wann ihr selbst etwas essen müsst und wann Pausen eingelegt werden müssen, bevor die Kälte euch dahinrafft, entsteht eine einzigartige Bindung zu den Tieren, die ihr anfangs aus eigener Hand ausgewählt habt. Das hebt dieses Survivalerlebnis deutlich von herkömmlichen Spielen des Genres ab und hat selbst mich als eingefleischten Stubenhocker dazu gebracht, Sehnsucht nach den kalten Gebieten des Planeten zu bekommen. (Malte Küppers)
Best Genremix
„Spiritfarer“
Thunder Lotus Games (Steam, Epic Games Store, GOG, PS4, Xbox One, Switch, Stadia)
Spiritfarer war einer der Überraschungshits des vergangenen Jahres im Indiebereich. Eine wirklich schöne Story, die uns gefühlvoll-melancholisch werden lässt, schafft es, das ein oder andere Tränchen zu entlocken. Aber nicht nur die Themen Tod und Freundschaft sind umsichtig in diesem Genremix verpackt. Besonders spaßig war das Ausbauen des eigenes Schiffes, das wir nach und nach an die Bedürfnisse der Passagiere angepasst haben. Ein angenehm zu bedienendes Crafting-System erlaubte es uns jederzeit den Überblick zu behalten, während wir in Metroidvania Manier die Lande nach Zutaten für Leibgerichte und Material für neue Kabinen absuchten. Die narrative Ader von Spiritfarer darf dabei auch nicht unterschätzt werden und vor allem die unterschiedlichen Charaktere entlockten uns ein Lächeln nach dem anderen. Spiritfarer ist also ein absolut stimmiger Allrounder. (Tobias Idinger)
Best Horror
„Visage“
Sadsquare Studio (Steam)
Ich glaube, es hat keine 15 Minuten gedauert, bis ich mich gefragt habe, wieso ich dieses Spiel gerade spiele. Dabei war noch nicht mal etwas passiert. Visage schafft es, durch Geräusche und Lichtstimmung ein verlassenes Haus so unfassbar gruselig zu gestalten, dass das Herz ohne Unterlass rast. Wenn dann irgendwann unerwartet Mädchen mit langen Haaren oder alte Frauen im Schatten am anderen Ende des Flures stehen und regungslos in meine Richtung starren, ist es ganz gut, eine Ersatzhose im Haus zu haben. Visage zieht große Inspiration aus dem Playable Teaser zu Silent Hills, der leider aus dem PlayStation Store entfernt wurde. Dieses geistige Erbe wurde jedoch mehr als würdig angetreten und sorgt für ein schauriges Horrorerlebnis, ohne auf unsägliche Jumpscares zu setzen. Denn manchmal reicht es einfach, alleine in einem großen Haus zu sein, um sich wieder wie ein ängstliches, kleines Kind zu fühlen! (Malte Küppers)
Best Short Game
„Stilstand“
Niila Games (Steam, Android, iOS)
Ca. eine halbe Stunde fesselt dich Ida Hartmann mit ihren kritzeligen, grotesken schwarz/weiß Zeichnungen an den Bildschirm. Eine Geschichte um Isolation und zu hohe Erwartungen in einem viel zu heißen Sommer. Ein Eis wäre nicht schlecht, doch dafür rausgehen? Lieber nicht! Zwischen absurd komischen Momenten und tiefer Melancholie. Zwischen Partynacht und völliger Inhaltsleere verbringst du als einsame Kopenhagenerin dein Leben mit einem Schattenwesen, das immer wieder gut zuredet. Interaktive Szenen ziehen dich in die reduzierten Comicpanels. Nachrichten, der Social Media Feed und ein Messenger sorgen für Projektionsfläche. In kürzester Zeit schafft es Stilstand ein sensibles Bild um das Thema psychische Gesundheit zu zeichnen. Eine Visual Novel, in der Verlangen auf völlige Hilflosigkeit trifft. Grotesk, witzig und wunderbar inszeniert. Eine lange nachwirkende digitale Erfahrung, erlebt in kürzester Zeit. (Benja Hiller)
Best Publisher
„HandyGames“
Schon weit bevor wir uns überhaupt Gedanken zu den jährlichen Magazin Awards machen mussten, war für die WTLW-Redaktion eines beschlossene Sache. Wenn wir einen Best Publisher Award verteilen sollten, es würde absolut kein Weg an HandyGames vorbeiführen. Allein drei Lieblingsindies des Jahres für Nina, Malte und Benja. Mit Through the Darkest of Times, Chicken Police – Paint it RED! und El Hijo hat der Publisher aus Bayern nicht nur drei der besten Indie Games des Jahres geliefert, sondern gleichzeitig unsere digitalen Erlebnisse des Jahres 2020 maßgeblich beeinflusst. Und das mit einer Bandbreite aus gesellschaftlicher Relevanz, unglaublichem Storywriting, herausragenden Inszenierungen, einzigartigen Welten, vorzüglichem Audiodesign und perfekt ineinandergreifenden Spielsystemen. Schauen wir dann noch auf das, was da zum Beispiel mit Endling und Airhead in diesem Jahr noch kommen mag, wird sich unsere Diskussion Anfang nächsten Jahres erneut um den Namen HandyGames drehen. Vielen Dank nach Giebelstadt für ein dermaßen stilsicheres und unvergessliches Jahr 2020. (Benja Hiller)
Autor_innen: Nina Weidlich, Tobias Idinger, Malte Küppers und Benja Hiller