Dap setzt auf einen Inspirationsmix, der sich dem grotesken Horror vollends hinzugeben scheint.
Ich habe einen nicht ganz so starken Kreislauf. Immer wenn mein Immunsystem angeschlagen ist, ich starke Schmerzen verspüre, große Empathie fühle oder irgendetwas anderes schräges in meinem Kopf passiert, sagt mein Kopf: „So mir reichts, mach du mal!“ Aber mein Körper macht dann ebenfalls nichts mehr, drückt auf den Aus-Knopf und klappt zusammen. Doch kurz bevor er das macht, blendet sich die Umgebung visuell langsam aus und geht in so einen dumpfen Geräuschsumpf über. Als würde alles um mich herum mit Hall gefüllt oder auf halber Geschwindigkeit abgespielt. In diesem Zustand ist nahezu alles möglich. Manche sagen, ich habe mich damals beim Sport sogar noch versucht in einem Aufwärmmove vorwärts zu bewegen. Und es stimmt, ich war nicht mehr an dem Ort, an dem sich alles langsam ausgeblendet hat, während mich fragende Gesichter nach dem erwachen anstarrten. In diesen Momenten klingt meine Welt haargenau so wie die in Dap.
Dap erschafft eine audiovisuell unbehagliche Welt
Und wahrscheinlich waren meine Körperbewegungen damals für die, die zusehen mussten, genauso gruselig wie der verwirrende Trailer. Meine Geräuschkulisse in diesen Situationen ist es in jedem Fall. An das, was der eigene Körper kreiert, kommt kaum ein Horror-Film heran. Und doch, Sound-Designer_innen versuchen diese ungreifbaren Phasen des Geistes zu vertonen, Künstler_innen malen sich den Pinsel aus dem Leib, um nur etwas von diesem Grusel zu visualisieren. Eine unbehagliche Atmosphäre erschaffen. Melting Parrot kommt da schon gewaltig nah ran. Was erstaunlich ist, ist Dap doch das erste Videospiel des Entwicklerpaares Antsey aus Sydney, Australien. So sehr, dass es zum BitSummit Event 2021 in Japan nicht nur den Hauptpreis in Form des Vermillion Gate Award gab, sondern gleich den für das Sound Design noch oben drauf.
In meiner kurzen News zur Ankündigung im Juni 2021 schrieb ich, dass Dap in etwa so aussähe, als wäre es von geschundenen Kinderseelen gemalt. Die Art der Zeichnungen, die in Medien oft stolze Eltern zeigen, den Psycholog_innen des Erdenrunds aber die Arme über dem Kopf zusammenschlagen lässt. Ein düsterer Wald aus wirren Pflanzen und abstrakten Wesen. Mitten drin diese lieblichen, unbeholfenen Daps, die dir auf Schritt und Tritt folgen. Ein bisschen Zelda, ein bisschen Philip K. Dickens und auch Prinzessin Mononoke sollen es als Inspiration in das Horror-Erstlingswerk geschafft haben. Eine Mischung aus all den Genres für die die Developer eine Leidenschaft haben. Und während es an der Oberfläche nur schwerlich vorstellbar scheint, dass hier irgendwo Zelda versteckt liegt, scheint der Mix genau das zu sein, was Dap am Ende auszeichnet. Denn auch Mononoke behandelt kindliche Ängste, die sich im künstlerischen Stil verfestigen.
Der beste Horror entsteht in deinem Kopf
In Dap führst du die kleinen verletzlichen Wesen durch eine feindliche, verdorbene Welt, in der eine Infektion den Wald befallen hat. Die Daps können davon vereinnahmt und selbst zu monströsen Versionen ihrer selbst werden. Du kannst dich also nur vorsichtig fortbewegen, denn eigentlich wirst du so viele dieser kleinen Wesen wie möglich sammeln müssen, um ihnen aus dem Wald zu helfen. Ein Wald, der von den schrägen Ideen von Iris und Paul Antsey zum leben und gruseln erweckt wird. Eine karge und doch vielfältige Ebene, in der sich Twin-Stick-Kämpfe gegen Monster in den Momenten einschleichen, in denen du nicht mehr panisch fliehen kannst. Doch deine Truppe lässt sich langsam weiterentwickeln, um den Gefahren forscher entgegentreten zu können. Gemeinsam seid ihr stark, auch in dieser Welt.
Wie sich all das genau anfühlen wird? Schwierig zu sagen. Die Atmosphäre scheint jedenfalls gerüstet für einen gelungenen Rutsch in die Halloween-Zeit. Denn wir wissen ja alle, das gruseligste ist noch immer das nicht greifbare in einer unvertrauten Umgebung. Genau in diesen Fällen sorgt dein Kopf für den Grusel, den kein Bild jemals erzeugen kann. Und genau das scheint im Debut von Melting Parrot mehr als gegeben. Lassen wir uns also auf diese spezielle Welt und ihren eigenartigen Terror ein. Am 29. September 2021 erscheint Dap auf Steam. Dann braucht zumindest mein Körper nicht mehr zusammenzusacken, um dieses dumpfe Gefühl der Hilflosigkeit einmal ganz aufmerksam erleben zu können.
Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.