Genesis Noir | Zwischen Urknall, Universum, Jazz und Krimi

Du hast gerade zwei Sekunden des E3 Trailers von Genesis Noir gesehen und weißt, es wird außergewöhnlich. Dabei hast du tatsächlich „nur“ gesehen. Genesis Noir einzig auf den Artstyle zu reduzieren wäre jedoch fatal!

Noir, eigentlich nur französisch für schwarz. Sobald dieses Wort im Zusammenhang mit Medien und Film auftaucht, springt in deinem Gehirn ein ganzer Apparat angenehmer Assoziationsketten an. Dabei besteht in der Filmwissenschaft nicht einmal Einigkeit über die Begriffsdefinition. Ein Genre? Nein, das ginge zu weit. Eine abgeschlossene Epoche? Vielleicht. Verschiedene Merkmale? Ja, aber die variieren so stark, dass sie nicht immer treffend beschrieben werden können. Eine Stilrichtung? Nun, darauf konnten sich zumindest die Filmtheoretiker Raymond Durgnant und Paul Schrader einigen. Eine Stilrichtung, in der der Film Noir als ein zeitlich begrenztes und vorrangig durch motivische und stilistische Merkmale gekennzeichnetes Phänomen zu sehen sei.

Es gibt sie also doch, diese Merkmale, die häufiger wiederkehren als andere. Stark davon beeinflusst ist der visuelle Stil, der zumeist von kräftigen Hell-Dunkel-Kontrasten geprägt ist. Schräge Perspektiven, Unter- und Aufsichten, Weitwinkel und natürlich die überproportionale Verwendung von Schwarzweißfotografie.

Genesis Noir und die Visualität

Natürlich ist es die Optik, die dich diesen unmittelbaren Drang verspüren lässt mehr erfahren zu wollen. Die einen Vorboten vorbei schickt, der weiteres Interesse abklopft und vorsichtig fragt, ob du dich nicht vielleicht auch noch für vielschichtige, zwiegespaltene Persönlichkeiten interessierst, die im Sog der Kriminalität und der verworrenen Gesellschaft weder schwarz noch weiß gezeichnet erscheinen, sondern ihre ganz subjektive Sicht auf all die  Dinge dieser Welt richten wollen. Sozialkritisch, unkonventionell, vielleicht brutal, jedoch künstlerisch wertvoll inszeniert und von ausweglos erscheinenden Situationen durchzogen. Situationen, die dir ein Erzähler nur zu gerne darlegen möchte.

Natürlich war dieser einzigartige visuelle Stil auch bei Genesis Noir dafür verantwortlich, dass der Vorbote nicht nur leise anklopfte, sondern gleich deine Haustür eintrat. Zu stark erschien das stilisierte Spiel der Hell-Dunkel-Kontraste, zu verführerisch die starke Reduktion auf zarte weiße Outlines inmitten flächendeckender Dunkelheit. Genesis Noir nistete sich mit seinem frischen E3 Trailer, der auf der PC Gaming Show gezeigt wurde, in deinen Schädel ein und wollte da auch vorerst nicht wieder weg, bis du mehr über dieses Werk erfahren hattest.

Die Lesung

Feral Cat Den – die Entwickler_innen hinter Genesis Noir aus New York, USA – stiegen an einer anderen Stelle ein. Jedoch, die Faszination als Motivation blieb dieselbe. Sie hatten gerade ihre Ohren von der Radiosendung Radiolab nicht mehr lösen können als diese Faszination langsam hervor kroch. Sie lauschten einer Geschichte, die ihre Lebenswege massiv beeinflussen sollte. Liev Schriber erzählte von einer Dreiecksliebesbeziehung von Menschen, die zwischen Erde und Mond umherhüpften, um sich gegenseitig zu besuchen. Doch als der Mond sich immer weiter von der Erde entfernte, driftete auch diese intensive Dreiecksbeziehung auseinander. 

Die Geschichte, die Liev Schriber da im Radio las, war „The Distance of the Moon“ und diese Teil einer zwölf Erzählungen umfassenden Kurzgeschichtensammlung des Italieners Italo Calvino. Zwischen 1964 und 1965 hatte er sie unter dem Namen Cosmicomics veröffentlicht. 1968 wurden sie ebenfalls in englischer Sprache auf den Markt gebracht. Für jede Geschichte nahm sich Calvino einen wissenschaftlichen Fakt und bastelte eine phantasievolle, nahezu poetische Erzählung um diesen herum.
Even Anthony (Creative Lead), Jeremy Abel (Technical Lead) und Mercy Lomelin (Design) machten sich unmittelbar auf den Weg zur Bücherei und saugten all die anderen Geschichten Calvinos auf. Eine Fragestellung sollte sich entwicklen, die die drei Developer von Feral Cat Den nicht mehr los lies. Wie könnte diese Art von Erzählung aussehen, wenn sie interaktiv im Stil des Film Noir gestaltet würde?

Neo Noir

2014 bastelten sie einen ersten Prototypen mit Unity, um ihre Ideen auszutesten. Offenbar erfolgreich, denn 2016 folgte der Wechsel zur Unreal Engine und der wohl bedeutendste Schritt: Die volle Konzentration auf die Entwicklung von Genesis Noir in Vollzeit als Game-Designer_innen. Bereits 2017 konnte ihr Spiel im ersten Schwung der Vorstellungsrunde einige Preise entgegennehmen, bevor es dann lange wieder ruhig um das Projekt werden würde.

Genesis Noir ist ein poetisches Adventure, in dem du den Urknall verhindern musst, um deine große Liebe zu retten. Offenbar konnte der narzisstische Künstler Golden Boy wieder nicht an sich halten und verspürte den Drang einen neuen Planeten zu erschaffen. Durch die Ausbreitung des neuen Planeten wird jedoch das Leben einer Gottheit bedroht. Der Urknall muss verhindert werden, auch wenn er schon geschehen ist. Du durchsuchst das Universum nach Hinweisen wie diese Kreation wieder rückgängig gemacht werden kann.
In Genesis Noir liegt der Fokus auf Erkundung, Interaktion und generativer Kunst. Eine Erfahrung, die dir unvergessliche Momente bescheren will. Sollte mit der einzigartigen visuellen Gestaltung in Verbindung mit der außergewöhnlichen Erzählung mehr als gelingen.

Du wirst Teil eines interaktiven Kunstwerks, das sich mit seiner Erzählung und deinem Einfluss ändert. Du selbst wirst kreativ. Zwischen Universum, Asteroidenfeld, Schwarzen Löchern und der ursprünglichen Erde ist immer noch Platz für einen Besuch im Jazz Club. Denn der Jazz fungiert schon immer als treibende auditive Kraft innerhalb einer Film Noir Erzählung.

Die Kunst in Genesis Noir

Feral Cat Dens Adventure Genesis Noir ist eines dieser faszinierenden Ereignisse während einer E3. Ein Ereignis mit dem du absolut nicht gerechnet hast, das allein durch seine außergewöhnliche visuelle Energie aus der Masse der Cinematic Trailer hervorsticht und doch in Kombination mit all seinen Elementen noch so viel mehr zu erzählen hat als das stumpfe: „Boa ey, guck ma wie krass!“
Die Entwickler_innen spielen mit Perspektiven, visueller Veränderung und visuellen Erzählweisen. Aus 2D wird 3D. Aus tiefschwarzen Flächen, hell weiß beleuchtete Fragmente. Ein Meer aus Emotionen und verschiedenen Atmosphären, die durch punktuell eingesetzte Farbpigmente unterstützt werden. Aus der für abgeschlossen erklärten Film Noir Ära wird ein weitergewebtes Neo Noir Netz von Stilmitteln.

Genesis Noir ist ein weiteres kleines Element der Bedeutsamkeit von Inspirationsquellen. Sie können zu jeder Zeit ungefragt aufploppen und etwas ganz eigenes, kreatives anschubsen. Es ist nicht minder die Wirkungsweise von Kunst, die auf ihre Weise mit deinen Emotionen spielt und immer wieder neue Kunst entstehen lässt. Die Lebenswege in völlig andere Richtungen anschiebt und Erlebnisse kreiert, die auch lange nach ihrer Entstehung noch Nachwehen erzeugt.
Aus einer Lesung entsteht Faszination. Aus Faszination entsteht eine Fusion aus Interaktivität, Erzählung und Stilmittel. Film Noir trifft auf Poetik innerhalb eines Entertainment Imperiums wie der E3. Genesis Noir besitzt noch immer kein genaues Veröffentlichungsdatum. Kunst nimmt sich die Zeit, die Kunst braucht. Ein schlichtes 2019 für PC und Mac muss noch immer reichen.

Update 17.03.2021:

Genesis Noir erscheint am 26. März 2021 auf Steam, im Epic Games Store, auf Xbox Series X|S, Xbox One und Switch. Den frisch veröffentlichten Trailer siehst du genau hier über dem Update.

Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

Kommentar verfassen