FAR: Lone Sails Review | Eine postapokalyptische Schiffsbahnreise

Eine Abenteuerreise, für die du nicht einmal deine Wohnung verlassen musst. Eine Reise, die dich aufwühlt, entspannt und deinen Entdeckungsdrang stillt. Kein Wunder dass du drei Monate brauchst, um zum Verfassen des Textes zurückzukehren. 

Offensichtlich hat dich die Reise so sehr fasziniert und in ihre Welt entführt, dass du die Zeit völlig vergessen hast. FAR: Lone Sails ist das entspannendste Abenteuer, für das du weder Auto, noch Zelt brauchst. Du kannst es sogar mit völligem sozialen Unvermögen bestreiten, denn die Angst irgendwem zu begegnen ist unbegründet. Erstens musst du deine Wohlfühlblase nicht verlassen und zweitens spielt das Vehicle-Adventure-Game in einem postapokalyptischen Setting, dass auf alle Klischees pfeift und dich ganz alleine an den Rand eines riesigen ausgetrockneten Sees setzt. Nun darfst du mit deiner Dampfsegelschifflokomotive die einzigartige Landschaft durchstreifen und nach Hinweisen Ausschau halten, die die Geschichte der Welt erzählen. Auf der Suche nach dem Warum. Ganz ‚I am Legend‘ like immer mit der Frage auf den Lippen: „Bin ich wirklich das einzige Lebewesen hier?“

Deshalb begibst du dich auf eine außergewöhnliche Entdeckungsreise. Zu deinem Glück aber nicht gänzlich allein. Auf deiner Reise durch die endlosen Weiten des angestaubten Meeresgrundes wirst du von deinem futuristischen, steampunkigen Hybrid-Fahrzeug begleitet. Während die perfekt erscheinende Symbiose aus Segelschiff, Auto und Lokomotive dir vor allem Fortbewegung, Unterschlupf und Sicherheit bietet, versorgst du sie immer wieder mit Upgrades, Treibstoff und nötigen Reparaturen.

Kümmern bedeutet Sorgen

Durch intensive Pflege entsteht ein tiefes Band. Ist dein eigenartiges Fahrzeug beschädigt, stellt sich das sofortige Helfersyndrom ein, das deinen Blutdruck in die Höhe treibt und schnellste Versorgung verlangt. Feuer wollen gelöscht, Antriebe instandgesetzt und Reifen gewechselt werden. Ohne einander kommt ihr keinen Schritt weiter. Eine Abhängigkeit, die sich in Mitgefühl äußert. Ihr sorgt füreinander. Ihr seid Freunde.

Auf dem Weg schiebt ihr euch gemeinsam vorbei an rostigen, unglaublich großen Schiffswracks, die unmotiviert und ungeliebt im Hintergrund herum vegetieren. Einst stolze Wohlfühloasen türmen sich zu riesigen Bergen auf. Übertrieben, fast herablassend stellen sie deine winzige Erscheinung in dieser Welt heraus. Tages- und Nachtrhythmus beleuchten die wundervolle Szenerie in düsteren, ungesättigten Farben und Tönen, die in ihrer ganzen Dramatik trotzdem auch eine gewissen Raum der Schönheit überlassen und wohlige Momente vermitteln, wenn sie denn wollen.

Wetterveränderungen vermitteln tiefe Entspannung oder Unbehagen und Angst. Doch auch leichte Hektik kann sich durchaus einstellen, gerade in Verbindung mit der „Bewirtung“ deines Vehikels. Kraftstoff besorgen, nachtanken, Kessel befeuern, Druck entweichen lassen, Segel aufstellen, Brand löschen, Defekt reparieren. Auch auf längeren Abschnitten, die ohne Probleme befahren werden können, bist du stets in Bewegung. So schleicht sich zwischen den „Puzzle-Stationen“, die durch die postapokalyptische Welt entstanden sind, eine gewisse Routine in der Versorgung deines Fahrzeugs ein. Sie gibt dir Sicherheit für die abwechslungsreichen Hindernisse, die auf euch warten und nach Problemlösungen verlangen. Denn der Weg ist nicht immer frei. Alte Gebäude, Schiffe oder Natur versperren die Durchfahrt und verlangen nach Lösungen, damit du nicht ohne deinen Fahrzeug-Buddy weiterziehen musst.

FAR: Lone Sails ist ein Entdeckungs-Survival-Puzzle-Abentuer-Mix, der dich vor allem durch seine Atmosphäre packt. In Verbindung mit der großartigen musikalischen Begleitung, die bei der Erzeugung deiner Gefühle eine gewichtige Rolle einnimmt, entsteht eine unglaublich packende, intensive Atmosphäre in einer kunstvollen, stimmigen Welt. Diese saugt Inspirationen von Werken wie „Das Boot“, „Mad Max II“, „Journey“ und in großen Teilen Stephen Biesty’s „Incredible Cross-Sections“ auf und bindet sie in ihrer Eigenständigkeit bewusst und liebevoll ein. Die wundervolle Balance aus Genussreise, Puzzle-Elementen und der Bindung zu deinem Fahrzeug ist einzigartig. Das Okomotive Team um Lead Creative Don Schmocker hat ein beeindruckend ausgeglichenes Debüt gebastelt. Jeder noch so kleine Einfluss scheint bis ins kleinste Detail durchdacht und nicht ansatzweise überhastet. Eine nahezu perfekte Symbiose aus Design, Musik, Programmierung und ‚Impact‘. Ein unglaubliches und überwältigendes Werk, das mit Leichtigkeit prägende Eindrücke hinterlässt, die dich noch lange verfolgen.

FAR: Lone Sails transportiert gelebte Gefühle aus Freude, Glück, Aufbruch, Einsamkeit, Angst und Traurigkeit. Es legt dir auf sehr empathische Weise deine Beziehung zur Natur nahe. Es ist die Reise, für die du keine realen Fortbewegungsmittel brauchst. Es ist die Reise, bei der sich dennoch das befriedigende Gefühl des Erlebens einstellt. Es ist die Reise, die eine einfühlsame Geschichte erzählt, die nur in dieser interaktiven Form deine Synapsen gekonnt erreicht. Jede Reise ist für die Person, die sie erlebt, absolut einzigartig. FAR: Lone Sails ist genau das. Es ist deine Reise, eine einzigartige zugleich. Und deine Reise ist immer genau so perfekt, wie Du sie erlebst.

9/10 <3

Developer/Publisher: Okomotive/Mixtvision
Lead-Designer: Don Schmocker
Komponist/Sounddesign: Joel Schorsch, Fabio Baumgartner
Team: Goran Saric (Tech Lead & Game Designer), Martina Hugentobler (Artist & Animator), Philipp Stern (Artist & Level Designer)
Auszeichungen: Publikums- und Jurypreis (QUO VADIS Indie Award 2018), Into the Pixel Selection 2018, Nominierung Best Of Indie Award und Best of Indie Arena Booth (Gamescom 2016)
Veröffentlichung: 17. Mai 2018 (Steam), 2. April 2019 (PS4, Xbox One), 18. August 2019 (Switch)

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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