Filme, die niemand gesehen hat #4: DER NACHTMAHR | Film-Kritik

NachtmahrFür 83.000 Euro bekommst du einen nett ausgestatteten VW Bulli, eine okaye Eigentumswohnung oder ein/zwei neumodische Kunstwerke. Für 83.000 Euro kannst du aber auch deine Idee konsequent umsetzen und einfach einen Film drehen. AKIZ entschied sich für letzteres. 

Die 17 jährige Tina lebt zwischen Party, Schule und Kinderzimmer, wie so ziemlich jeder junge Mensch. Doch nach einer Party verfolgen sie immer wieder Albträume und Angstzustände, die sich in der Erscheinung eines Wesens manifestieren. Nur ihrem Psychologen erzählt sie von ihren Ängsten und dem Wesen. Die Eltern glauben ihr derweil nicht und spielen mit dem Gedanken, Tina einer psychologischen Klinik anzuvertrauen.

Der Nachtmahr mag sich nicht so richtig einer Kategorie hingeben. Bewusst spielt er mit deinen Sehgewohnheiten, streift sich Anfangs das Outfit eines simplen Horror-Schockers über und führt dich fies in die Irre. Relativ schnell merkst du aber, dass diese Einstufung viel zu fahrlässig erscheint und überhaupt nicht passt. Vielmehr werkelt Regisseur und Autor AKIZ mit einer tiefenpsychologischen Ebene, die vor allem tiefgreifende, reale, jedoch auch alltägliche Ängste thematisiert. Die Findung der Persönlichkeit und die auftretenden Hürden als zentrale Einheit. Das Spiel mit der Dämonologie, der Personifizierung deiner unterdrückten Wesenszüge und größten Ängste. Zerbrechlich, mit dem nötigen Mut zur Hässlichkeit.

Der Hinweis, dass der Film hektische Schnitte und flimmernde Bilder enthält und am besten laut abgespielt werden solle bildet eine weitere Stilebene. Bewusste Inszenierungen von kontrastreichen Bildern und dem Wechsel zwischen laut und leise führen nicht nur zu audiophiler Überforderung, sondern auch zu Hilflosigkeit. Der Nachtmahr möchte dich aufsaugen und zum Nachdenken anregen. Er verwirrt brutal  und bewusst, um dich immer wieder selbst zu hinterfragen. Gekonnt spielst du Sherlock Holmes und analysierst jedes Fitzelchen.

AKIZ‘ Der Nachtmahr ist ein kunstvoller Film, der in seiner drastischen Konsequenz in der deutschen Filmlandschaft nahezu allein dasteht. Eine Story, die dich verwirrt und doch so greifbar erscheint. Das Erlebnis für alle Sinne vollendet getroffen. Bewusst wurde auf jegliches Fördergeld verzichtet. Bei dem Ergebnis hätten Mainstream-Studios die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und Änderungswünsche angemeldet. Und gerade das macht diesen Film so wundervoll, so wirr und auf allen Ebenen so überaus überzeugend. Wenn auch manchmal mit der hölzernen deutschen Stiesigkeit im Spiel. Aber gerade das macht ihn so liebenswert und echt. Puristische Konsequenz nahe des Meisterwerks. Du möchtest auf Anhieb all deine Ängste dem Nachtmahr übertragen und ihn neben E.T. in die Kuschelecke setzen. Doch irgendwie wirst du den Gedanken nicht los, dass er sich, zerbrechlich wie er erscheint, dann selber verletzen würde und damit auch dich!

9/10 <3

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  • Besucher: ca. 8.711 (Stand Juli 2016, FFA)
  • Regie: AKIZ (Achim Bornhak)
  • Produzent: AKIZ (OOO-Films)
  • Schauspieler_innen: Carolyn Genzkow (Tina), Sina Tkotsch (Barbara), Arnd Klawitter (Tinas Vater), Wilson Gonzalez Ochsenknecht (Adam), Alexander Scheer (Psychiater)
  • Preise: Bester Internationaler Film (Fantaspoa International Fantastic Film Festival 2016), Preis des Verbandes der deutschen Filmkritik (Achtung Berlin 2016)

Autorin: Benja Hiller
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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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