Angespielt…| Die Demos der DreamHack Beyond 2021 Teil 2

In Teil 2 der angespielten DreamHack Beyond Demos wische ich in den dunkelsten Ecken und hebe vernachlässigte Nischen ins Rampenlicht.


„My Lovely Wife“ wirft so einige Fragen auf, die meinen Spielspaß gehörig dämpfen.

GameChanger Studio/ Neon Doctrine (TBA | Steam)

Lasst es mich so formulieren: Der Umgang mit dem Tod spielt in vielen Games eine Rolle. Manche geben ihm Raum in der Story, andere nehmen ihn als Konsequenz beiläufig in Kauf. In My Lovely Wife stellt der Tod besagter Dame das Leben von Jake auf den Kopf und „zwingt“ ihn zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Die Anführungszeichen deswegen, weil aus dem heiteren Himmel irgendein Gelehrter auf seiner Türschwelle steht und ihm ein Angebot unterbreitet, dem er im Schmerz seiner Trauer zustimmt. Grundsätzlich verständlich, dass er verzweifelt ist, aber er sollte vielleicht trotzdem das Kleingedruckte lesen. Jake bekommt seine Frau zurück, wenn er Dämon_innen beschwört und ihre Carnal Essence extrahiert. Klingt nach einer fantastischen Idee, oder? Anschließend kann er ein Ritual durchführen, das ihm seine Luna zurückbringt. Derlei Experimente sind schließlich schon immer gut verlaufen, nicht wahr?!

Um es geradeheraus zu sagen: Die Idee, beschwörte Succubi zur Sexarbeit zu zwingen und anschließend zu ermorden, denn genau das bedeutet „ihr Carnal Essence extrahieren“, klingt für mich mehr als nur fragwürdig, regelrecht makaber. Stichwort Zwangsprostitution. Die deutlich sexualisiert dargestellten, geflügelten Dämoninnen und die brutale Sexarbeit-Industrie, die ich mit ihnen aufbaue, erzeugen ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend. Versteht mich nicht falsch, mir gefällt das Gameplay und der raue Zeichenstil. Derartige Simulationen treffen durchaus meinen Geschmack. Ich baue sogar eine Beziehung zu meinen Succubi auf, die nach ihrer Beschwörung Namen bekommen. Und ich will auch wissen, wie es weitergeht. Ich weiß nur nicht, ob ich meine Bedenken ausschalten und das Spiel bedenkenlos durchspielen sollte, ohne auf die Problematik hinzuweisen. Das verdient sicher eine Bearbeitung in der Zukunft, worauf ihr Krötenaugen nehmen könnt.


„Behind The Frame“ stellt den künstlerischen Prozess in das Zentrum der Aufmerksamkeit.

Silver Lining Studio/ Akupara Games (25. August 2021 | Steam, GOG)

Wir waren uns schnell einig in der WTLW-Redaktion: Behind The Frame ist ein vielversprechendes Spiel mit einem wundervollen Studio-Ghibli-artigen Stil, der uns direkt gepackt hat. Die einzige Frage, die sich natürlich direkt aufdrängte, war: Dürfen wir selbst malen? Oder wird uns alles in die Hand gelegt und wir bekommen das erhabene Gefühl, Künstler_innen zu sein, geschenkt? Nun, ich kann aus eigener Hand (Lest die Geschichte zu Chicory: A Colourful Tale hier) sagen: Mein Talent ist nun wirklich auf ein Minimum beschränkt, erst recht, wenn ich ungelenk mit der Maus herumpinsele. Insofern fühle ich mich in Behind The Frame direkt abgeholt, denn ich bekomme genau das Maß an Interaktion, das für ein künstlerisches Spiel gesund ist. Ich darf selbst mit Farbe pinseln, aber das Spiel bügelt meine Fehler elegant aus. Das Endergebnis fühlt sich trotzdem wie mein Werk an.

Doch das war nicht der Part, den ich in der kurzen Demo am charmantesten fand. Zwischen den Momenten, in denen ich aus Egoperspektive male oder mir die Anime-artigen Zwischensequenzen ansehe, kann ich nämlich das Zimmer erkunden und mir alles ansehen. Durch kleine Aufgaben erfahre ich viel über den Tagesablauf meiner Protagonistin. Das Beste: Ich darf selbst Kaffee kochen und Frühstück essen. Wenige Handgriffe genügen, dann fließt die aromatische braune Brühe in meine Tasse, dann landen die gebratenen Eier auf meinem Sandwich. Ich kann sie beinahe riechen, so wunderbar klingt das! Viele solcher Momente machen Behind The Frame zum Erlebnis, und ich kann es kaum erwarten, mit dem fertigen Gemälde zur Ausstellung zu marschieren. Abzuwarten bleibt, ob das finale Spiel mehr als nur schöner Schein ist und tatsächlich zu fesseln vermag.


In der kleinen Stadt „Rosewater“ liegt einiges im Argen, und eine starke Frau wird dem auf den Grund gehen.

Grundislav Games/ Application Systems Heidelberg (TBA | Steam, GOG)

Mit Harley Leger ist nicht zu spaßen. Ich bin immer wieder begeistert, wie sensibel Developer Francisco Gonzalez mit seinen Frauenfiguren umgeht. Sie fühlen sich immer authentisch, nie zu drüber an. Dazu braucht es nicht mal ihre Stimme, die ich mir leicht rauchig vorstelle, denn der Demo fehlt noch das Voice Acting und die Musik. Das ist wichtig zu wissen, denn Grundislav Games‘ Spiele zehren von ihrer Lebendigkeit in der Vertonung. Schließlich handelt es sich ausschließlich um Point-and-Click Adventure, und so modern die auch sein mögen, der Dynamik im Gameplay sind Grenzen gesetzt. Doch Francisco Gonzalez ist fest entschlossen, die Grenzen dieses verstaubt anmutende Genre auszureizen. Die Auflösung ist noch einmal höher als im letzten Titel Lamplight City und die Animationen lassen die besondere Sorgfalt erkennen, die in sie hineingeflossen ist.

So viel zur Verpackung. Ziehen wir an der Schleife, verbirgt sich darunter eine interessante Story. Harley Leger ist als Redakteurin in das verschlafene Nest namens Rosewater gekommen, aber dort sind schnell mehr als nur ihre Schreibkünste gefragt. In der gut einstündigen Demo habe ich einen Sherriff bestohlen, einen Einbruch begangen und eine Schlägerei beendet. Alle Charaktere besitzen ein fein ausgearbeitetes Profil, das es mir leicht macht, sie auseinander zu halten (ja, damit habe ich regelmäßig Probleme, bitte lacht nicht). Und das klassische Tüfteln scheint in Grundislav Games‘ Werken einfach leichter von der Hand zu gehen. Vielleicht, weil es nicht designt ist, um mich zu ärgern, sondern um mir zu Fortschritt zu verhelfen. Ich hoffe sehr, dass Rosewater noch dieses Jahr erscheint. Ich kann das fertige Produkt kaum erwarten, jetzt, wo ich das Pröbchen geschnuppert habe.


„Midnight Protocol“ macht mich zur stolzen Hackerin und führt subtil in eine virtuelle Welt ein.

LuGus Studios/ Iceberg Interactive (Oktober 2021 | Steam)

Sich mal wie ein_e echte_r Hacker_in fühlen? Nina und Benja kennen das Gefühl schon, sich zwischen virtuellen Rastern, Wänden und Firewalls zu bewegen, als sei es der neue Hindernisparcour im Park nebenan. Aber wie nah kann das Handwerk des Hackens inszeniert werden, bevor Laien wie ich das Handtuch werfen, weil die Programmiersprache sich in meinen Ohren wie pures Kauderwelsch anhört? Wie Midnight Protocol beweist: Ziemlich weit. Ich befinde mich ausschließlich auf virtuellem Grund und bin ein_e Hacktivist_in namens Data. Meine Identität ist nebulös, ich besitze kein Gesicht. Meine Sprache sind Eingabebefehle in einer kleinen Leiste. Aber keine Bange, für audiovisuelles Feedback ist gesorgt. Kleine Knoten, die wahlweise aussehen wie Pucks, futuristische Trophäen oder schlichte Säulen stellen Netzwerkpunkte dar, die ich ansteuern und manipulieren kann.

Und all das wird mir haarklein erklärt. Wie ich einen Finanzknoten ansteuern und nach allen Regeln der Hackingkunst ausnehmen kann. Wie ich eine Firewall durchbreche und wie ich mich vor dem neugierigen Netzwerk verstecke, das wie ein Hund auf meinen Spuren herumschnüffelt. Und kleine Story-Schnipsel, warum ich – also Data – in fremder Leute Netzwerke gärtnern gehe, bekomme ich auch. Mein Emailwechsel mit einer Person namens Cl0v3r verrät mir, dass ich auf einer Art Rachefeldzug bin und dafür einen gewissen „Kraken“ suche. Ich nehme nicht an, dass es sich dabei um ein achtarmiges Tier handelt. Jedenfalls schafft Midnight Protocol, dass ich Spaß daran habe, mittels simpler Befehleingabe in Netzwerken zu räubern. Scheint, als hätte ich da eine neue Nische entdeckt, in der ich mich schamlos breitmachen werde.


Untot ist ein bekanntes Wort, aber kann man unsterben? „Undying“ beantwortet diese traurige Frage.

Vanimals/ Skystone Games Inc. (Herbst 2021 | Steam, PS4, Xbox One, Switch)

Undying ist ein klassisches Survival-Spiel und damit eigentlich überhaupt nicht mein Wohlfühlmetier. Ich mag es nicht, ständig Gegner zu bekämpfen, wenn ich auf der Suche nach Ressourcen bin. Aber Undying stellt ein interessantes Szenario in den Mittelpunkt des gängigen Gameplays. Anling und Cody sind Mutter und Sohn, aber vor allem Überlebende einer Zombie-Infektion, die um sich greift. Sie ist genauso brutal, wie die meisten Filme und Serien es darstellen, überall liegen zerrissene menschliche Leichen. Alles ist verwüstet, und in dieser Hölle kämpfen Anling und Cody nun um ihr tägliches Überleben. Doch Anling ist selbst infiziert, ein Zombiebiss lähmt ihren Arm und wird sie unausweichlich selbst in einen Zombie verwandeln. Und so wird es zu meiner mütterlichen Pflicht, Cody alles beizubringen, was er auf sich allein gestellt braucht.

Dass mich die Demo nicht so sehr gefesselt hat, liegt nicht am Spiel, sondern an mir. Ich brauche lange, um mich zurechtzufinden und gewisse Mechaniken zu verstehen. Meine Stärke ist das Sammeln und Craften, mit Kämpfen oder Erkunden tue ich mich schwer. Deswegen verlasse ich die Sicherheit des Hauses, in dem das Gespann sich verschanzt, auch nur sehr ungern. Der allgemeine Ressourcenmangel treibt mich allerdings auf die Straße und schließlich in die Stadt. Viel weiter komme ich nicht, denn der Kampf ist nicht umsonst eine Disziplin, die ich meide. Ein Screen am Anfang verspricht aber eineinhalb bis zwei Stunden Demo-Spielzeit (eine stolze Zeit für eine Demo) und zudem einen Wiederspielwert aufgrund verschiedener Szenarien. Werft also gerne einen Blick auf das Genre, das ich aus guten Gründen an erfahrenere Spieler_innen überlasse.


In „Roadwarden“ sattele ich mein Pferd und begebe mich auf eine Reise durch die Worte.

Moral Anxiety Studio/ Assemble Entertainment (2022 | Steam, GOG)

Textadventures sind tot, richtig? Das mag in der breiten Masse richtig sein, doch dann taucht diese eine Ausnahme auf, die meine Regel bestätigt und ein Zeichen setzt. Es wird niemals aus der Mode geraten Geschichten mit Worten zu erzählen und es meinem Kopf zu überlassen Stimmen und Bilder dazu zu erschaffen. Egal wie fortschrittlich Animationen und Rendering noch werden, egal wie überlegen sie der schriftlichen Überlieferung auch sein werden, Bücher wird es immer geben, und es kann auch Textadventures immer geben. Roadwarden macht sich auf, seine eigene Geschichte zu erzählen. Und oft genug überlässt es mir die Wahl, wie ich ein Gespräch angehe oder was ich wissen will. Der kleine Funke Zweifel, den ich in stark dialogzentrierten Spielen immer habe, bleibt. Hat meine Wahl hier Einfluss?

Mir gefällt die moderne Aufmachung, die Roadwarden dem Urgroßvater der Videospiele hat angedeihen lassen. Alle Menüoptionen sind übersichtlich, es gibt eine Karte am Rand, die sich mit der aktuellen Lokation ändert und eine Auswahl an Emotionen erlaubt eine spezifische Herangehensweise an Gesprächseröffnungen. Die Ausrichtung meines Charakters erfolgt rollenspieltypisch in Klassen. Eine Angabe zur Tageszeit erlaubt eine ungefähre Einordnung der Handlung, ich erwähne das, weil alles zum Worldbuilding beiträgt. In meinem Kopf formt sich eine Idee, wie die Welt aussieht, durch die mein Hauptcharakter reitet. Mir fehlt allerdings ein Soundtrack, so gerne ich meine Bücher in kompletter Stille lese, so gerne hätte ich zumindest in der Schnittstelle zwischen Analog und Digital das Rascheln des Windes in den Baumwipfeln gehört. Aber vielleicht kommt das ja noch.


Und jetzt?

Weitere spielbare Demos, die sich lohnen und die ich zum Teil bereits in Streams angespielt habe: Kraken Academy!! gibt einen lohnenden Einblick in die Mischung aus Anime-Charakteren und Pixelart, die auf einer typischen amerikanischen High School spielt, mit der kleinen Ausnahme, dass es allerlei mystische Kreaturen gibt und die High School der Zerstörung anheimfallen wird… Der Potion Craft Simulator bietet stundenlanges entspanntes Köcheln mit allerlei exotischen Zutaten im urigen Pergamentstil und lässt euch Mittelalterluft schnuppern. Ebenfalls im Mittelalter ist Inkulinati zu verorten, das kleine handgezeichnete Charaktere in einem reich verzierten Buch gegeneinander antreten lässt. Und nicht zuletzt möchte ich Grotto hervorheben, in dem ich in besagter Grotte als Wahrsager_in einen Blick in die Gestirne werfe und so das Schicksal einiger Dorfbewohner vorhersage. Schaut einfach rein, ob noch weitere Demos für euch dabei sind, es lohnt sich.


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Redakteurin | + posts

Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.

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