Inscryption Review | Mehr als nur ein Kartenspiel

Daniel Mullins, der Entwickler von Pony Island, spielt in Inscryption erneut mit euren Erwartungen.

Ich mag Deckbuilding Games und ich habe eine Schwäche für die Saw-Filme und Escape Rooms. Dass ich Inscryption spielen will, das als eine Mischung aus beidem angekündigt wurde, war also sehr schnell klar. Düstere Trailer zeigten mich als spielende Person in einem dunklen Raum an einem dunklen Tisch, wo ich zum einen Kartenduelle gegen einen gesichtslosen Bösewicht spielen musste, zum anderen aber auch vom Tisch aufstehen konnte, um mich im Raum umzusehen und Rätsel zu lösen. Diese Ergänzung allein reicht schon, um das von Devolver Digital gepublishte Spiel aus der Masse an Kartenspielen der letzten Zeit herausstechen zu lassen. Augenscheinlich geht es darum, aus dieser düsteren Hütte zu entkommen und danach wäre das Spiel geschafft, oder? Die Credits laufen und ich kann beim nächsten Anlauf versuchen mehr Karten freizuspielen und andere Decks auszuprobieren. So läuft das doch, oder? Aber Daniel Mullins wäre nicht er, wenn Inscryption damit einfach aufhören würde.

Einfache Spielregeln

Die ersten Stunden sind tatsächlich so, wie es die Trailer vermuten lassen. Ich lasse meine hölzerne Spielfigur über eine auf dem Tisch ausliegende Karte hüpfen und komme dabei auf Felder, die einen Kampf auslösen, mir neue Karten geben oder mein Deck verstärken. In den Duellen geht es darum, dem Feind durch direkte Angriffe Schaden zuzufügen, der durch Steine auf einer Waage angezeigt wird. Meine Karten haben einen Angriffswert und eine Anzahl an Lebenspunkten. Starke Karten brauchen Opfer um ausgespielt zu werden, andere beschwören sich aus den Knochen meiner geopferten oder besiegten Karten. Zauber oder Ereigniskarten gibt es nicht, weswegen das grundlegende Spielkonzept schnell erlernt ist und es daher auch nicht lange dauert, sich mit den Karten besser zurechtzufinden. Einzig ein paar Items bringen noch Vorteile – wie eine Zange, mit der ich mir Zähne ausrupfen kann, um diese als zusätzliches Gewicht auf die gegnerische Waagschale zu werfen.

Richtig seltsam wird es, wenn Karten anfangen mit mir zu reden. Ein Hermelin gibt mir Tipps und rät mir, vom Tisch aufzustehen und einen Code für den Safe im Raum zu finden. Dort erhalte ich eine neue Karte, die ins Deck kommt. Andere Knobeleien bringen mir Infos und mehr Karten, die sich plötzlich unterhalten. Verliere ich eine Runde, ist Schluss für meinen Charakter. Es kommt ein neuer in die Hütte, in der der Besitzer mich fotografiert und daraus eine Karte erstellt, deren Werte und Eigenschaften ich auswählen darf. Inscryption dreht in dieser Phase sehr an der Schraube des Wahnsinns. Ich bin begeistert über die Kreativität und das dunkle Setting, das mir ständig einen Schauer über den Rücken jagt, gebe aber nicht auf. Ich muss mit den Rätseln im Raum und den dortigen Gegenständen um Ecken denken und fühle mich unfassbar smart, als ich mit einem perfekten Deck durch die Runden walze.

Inscryption ist mehr als das

Daniel Mullins liebt es, mit Konventionen zu brechen.  Bereits mit seinem Spiel Pony Island stellte er unter Beweis, dass er meisterlich die Metaebene in Videospielen bespielen kann. Dort geht es eigentlich darum, mit einem kleinen Pony in einer 2D-Umgebung Hindernissen auszuweichen. Doch nach den ersten Minuten springt das Spiel aus dem bekannten Platformer-Setting und adressiert die spielende Person direkt. Codes und rote Buchstaben flackern über den Bildschirm und eine dämonische Präsenz nimmt Kontakt auf. Schluss mit süßen Ponys. Sein zweites Spiel The Hex weiß ebenso die ursprünglichen Ansätze im Spiel über den Haufen zu werfen. Irgendwie hätte ich also damit rechnen müssen, dass auch Inscryption mich auf den Arm nimmt. Aber es war doch alles schon so abgefahren. Wie soll es hier noch verrückter werden? Was will Daniel Mullins denn noch in petto haben? Klar, hier ist vieles abstrus und überraschend, aber grundlegend ist es doch ein einfacher Deckbuilder, oder?

Ich habe wirklich felsenfest damit gerechnet nach einem ersten Sieg über den Fiesling auf der anderen Seite des Tisches die Credits zu sehen. Die Figur, die nur ihre gelb glühenden Augen zeigt und in Bosskämpfen verstörende Masken aufsetzt, um das Setting zu unterstreichen, konnte mich nicht mehr foltern. Ich habe ihn vernichtend besiegt und kann mich zurücklehnen. Inscryption geht aber dann erst wirklich los. Alles, was ich als grundlegendes Spielkonzept gesehen habe, alles, was in den Trailern gezeigt wurde, war nur der Anfang von weitaus mehr. Ja, das Kartenspiel bleibt auch weiterhin die vorantreibende Mechanik, was jedoch darum passiert ist auf einem Level an Kreativität, das ich so lange nicht mehr gesehen habe und von dem ich hier auch wirklich nichts erzählen möchte. Jedes weitere Wort über das, was Inscryption noch zu bieten hat, würde die Erfahrung des Spiels wahrscheinlich ruinieren!

Mein großer Magic Moment

Ich bedauere bis heute, dass ich damals nie das erste Metal Gear Solid auf der PlayStation gespielt habe, um einen ganz bestimmten Moment ohne Vorwissen zu erleben. Der Bosskampf gegen Psycho Mantis, der plötzlich anfängt die Memory Card auszulesen und die Spielenden damit verspottet, was sie sonst so spielen. Jede Bewegung kann er vorhersehen, bis das Gamepad in den Port für den zweiten Spielenden gesteckt wird. Das muss ein unvergleichliches Spielerlebnis gewesen sein. Es ist so beeindruckend, dass es in abertausenden von YouTube-Videos zu Tode analysiert wurde, weswegen ich diese Erfahrung nie so unbefangen werde machen können. Inscryption hat mir jedoch das Gefühl gegeben erahnen zu können, wie sich dieser Magic Moment angefühlt haben muss. Denn auch hier war ich verdutzt, schockiert und begeistert auf einmal. Ich habe mir nie auch nur im Traum vorstellen können, welche Richtung dieses Spiel plötzlich einschlug. Das passierte sogar mehrmals.

Gerade zum Ende des Spiels gab es Situationen, die mich mit offenem Mund oder lauten Lachern vor dem Bildschirm zurückließen. Ich konnte nicht aufhören. Die Spielzeit habe ich in zwei Tagen abgerissen, weil ich keine Sekunde zu lange darauf warten wollte was hier noch passiert. Selbst jetzt, wo das Spiel sich nicht mehr auf meiner Festplatte befindet, möchte ich flammende Reden darüber halten, dass ihr alle Inscryption spielen müsst. Schaut euch keine Videos oder Walkthroughs an, spart euch die Demo und lasst euch einfach darauf ein. Solltet ihr mit den Kartenmechaniken Schwierigkeiten haben, kommt auf unseren Discord-Server und ich verrate euch die nötigen Kniffe und Tricks. Daran soll es wirklich nicht scheitern. Aber tut mir bitte den Gefallen und spielt Inscryption! Es ist nämlich weitaus mehr als ein einfacher Rougelite-Deckbuilder. Ich würde sogar sagen, dass es weitaus mehr als ein Videospiel ist!

10/10 🃏🤯

Developer: Daniel Mullins
Publisher: Devolver Digital
Genre: Einzigartig (aber grundlegend ein Rougelike-Deckbuilder)
Team: Daniel Mullins (Game Director), David Hagemann, Sean Karemaker, Tamara Orlova, Cody Reader, Daniel Langhjelm (3D-Grafiken)
Musik: Jonah Senzel (Composer & Sound Design)
Veröffentlichung: 19. Oktober 2021 (Steam)


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Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

2 Gedanken zu “Inscryption Review | Mehr als nur ein Kartenspiel

  1. Scheint noch besser zu werden. Leider scheitere ich dauernd beim vorletzten Bosskampf im ersten Akt.

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