Sammelkartenspiele | Die Booster-Crux

Ein Sammelkartenspiel, das keine Boosterpacks benötigt? Klappt das?

Lootboxen stehen oftmals unter harscher Kritik. In manchen Ländern wurden sie als Glücksspiel verboten, andernorts gab es zumindest eine intensiv geführte Debatte über die Transparenz dieser oftmals mit Kosten verbundenen Mechaniken. Zufällige Inhalte dieser Boxen können enorme spielerische Vorteile bringen. Um auf die Schnelle jedoch eine gewisse Zahl an Ausrüstung, Karten oder Charakteren zu erhalten, reicht es nicht, einfach nur im Spiel selbst Punkte zum Freischalten dieser Boxen zu sammeln. Wird etwas Geld in die Hand genommen, können deutlich schneller mehrere Boxen erworben werden. Das Card Game Chroma möchte darauf verzichten und stellt mir direkt zu Beginn alle Karten zur Verfügung. Einzig kosmetische Inhalte können erworben werden. So haben alle Spielenden die gleichen Voraussetzungen, sich ein wettbewerbsfähiges Deck zu bauen. Ein guter Ansatz, oder? Das dachte ich zumindest zu Beginn, bis ich merkte, dass mir doch etwas fehlte.

Gesteuerter Spieleinstieg

In Chroma: Bloom and Blight kann ich mir entweder direkt ein eigenes Deck bauen oder eines der sechs vorgefertigten Kartenpakete ausprobieren, um mich gegen Bots oder in Online-Kämpfen mit meinen Karten zu duellieren. Dabei funktioniert das Spiel wie eine Mischung aus Hearthstone und Magic. Meine Karten kosten eine bestimmte Anzahl an Manapunkten. Pro Runde bekomme ich einen Punkt hinzu. Zusätzlich muss die Farbe der Manapunkte auch denen der Karten entsprechen. So benötigen manche Karten einen violetten und einen blauen Manapunkt, ich kann sie also erst spielen, wenn ich beides gesammelt habe. Zusätzlich suche ich mir einen Charakter als Held_in für mein Deck aus. So wird festgelegt, auf welche Manafarben ich Zugriff habe. Dabei haben die Held_innen auch individuelle Fähigkeiten, die jederzeit eingesetzt werden können, sofern noch genug Punkte übrig sind. Anhand der Fähigkeiten und Manapunkte kann ich mir also ein Deck bauen, das perfekt auf diese Vorgaben angepasst ist.

Ich kann Zauberkarten spielen, Monster- oder Effektkarten nutzen, um die Lebenspunkte des Gegenübers auf Null zu bringen. Chroma: Bloom and Blight setzt dabei auf ein märchenhaftes Setting und hat sich noch einige Mechaniken ausgedacht, die das Spiel von den großen Vorbildern abhebt. So sehr mir das auch alles gefällt, habe ich ein riesiges Problem: Ich fühle mich einfach erschlagen! Bei der Masse an möglichen Karten muss ich mich erst mit allen auseinandersetzen, bevor ich guten Gewissens ein Deck bauen kann. Der eigentlich positive Ansatz, keine Vorteile durch das Kaufen von Boosterpacks für neue Karten zu erhalten, sticht mir hier ins Kreuz. Normalerweise erhalte ich in einem solchen Spiel nach und nach Karten, mit denen ich mich auseinandersetze und meine Decks so mit der Zeit optimiere. Das hat mir immer geholfen, langsam aber stetig Vertrautheit mit den Mechaniken zu entwickeln. Chroma: Bloom and Blight hingegen verzichtet sogar auf ein Tutorial!

Das Problem an Boosterpacks

Das Öffnen von Boosterpacks ist etwas ganz Besonderes. Spiele nutzen dabei die einfachsten Regeln des Behaviorismus. Motivierende Sounds und glitzernde Effekte beim Erhalten neuer Karten führen zu einer inneren Befriedigung und einem Gefühl, das wir gerne wieder haben wollen. Es ist ein positiver Verstärker für einen investierten Aufwand, der fast schon süchtig machen kann. Daher kommt oft auch der Vergleich mit Glücksspielsucht. Das macht dieses Konzept so gefährlich, da Unmengen an Geld investiert werden können, um dieses Gefühl immer und immer wieder zu erhalten. Die Kritik an dieser Stelle ist also absolut angebracht, da vor allem Menschen, die anfällig für solche Muster sind oder denen die notwendige Medienkompetenz fehlt, durch solche Mechaniken in finanzielle Schwierigkeiten gebracht werden können. Doch warum ist die Lösung dieses Missstandes gleich komplett auf solche Mechaniken zu verzichten? Dieses Gefühl, eine Wundertüte zu öffnen und tolle, unerwartete Sachen zu erhalten, ist doch nicht grundlegend schlecht, oder?

Die Abkürzung solcher Spiele lautet in der Regel TGC, was für “Trading Card Game” steht und sich am ehesten mit “Sammelkartenspiel” übersetzen lässt. Der Reiz dieser Spiele kommt dementsprechend nicht nur aus dem Spielen, sondern genauso sehr aus dem Sammeln. Ich selbst habe damals Pokémon-, Yu Gi Oh- oder Dragonball-Karten gesammelt, ohne auch nur ein einziges Mal das Spiel dahinter zu spielen. Das Sammeln und das Tauschen meiner Karten haben mir genug Freude bereitet. Wird dieser Aspekt aus einem Spiel entfernt, bleibt nur noch die reine Spielmechanik stehen, die überzeugen und begeistern muss, was eine äußerst schwere Herausforderung darstellt. Das Problem solcher Sammelkartenspiele ist doch vor allem der finanzielle Aspekt und nicht das Sammeln an sich. Wieso scheint es daher so schwer zu sein, einen Weg zu finden, der uns das Sammeln ermöglicht, ohne direkt Geld investieren zu müssen? Wirkt das komplette Streichen dieses Elements nicht eher wie eine Überkompensation?

Ein Blick in die Vergangenheit

Dabei kann es so einfach sein, wenn ich einfach nur auf die Spiele zurückblicke, die bei mir zu Hause herumflogen, bevor es für nahezu jeden Titel einen Online-Modus gab. Ich hatte diverse Trading Card Games auf dem PC oder meinen Handhelds und keines davon konnte In-Game-Käufe anbieten. Es gab einfach nach einigen Kämpfen neue Boosterpacks oder einzelne Karten, mit denen ich meinen Kartenstapel aufbessern konnte oder eben nicht. Wie im Spielzeugladen gaben mir unterschiedliche Booster auch unterschiedliche Karten, um mein Deck in eine bestimmte Richtung zu bauen und zu verbessern. Ich hatte eine ähnliche Freude beim Öffnen dieser kleinen Pakete, wie ich sie auch bei den haptischen Karten empfand, musste aber nur den anfänglichen Preis des Spiels bezahlen. Alles wurde über Spielmechaniken oder eine Währung im Spiel selbst gelöst. Diese Herangehensweise finde ich heutzutage kaum noch in Videospielen des Genres.

Der letzte Titel, bei dem mir das bewusst aufgefallen ist, war das Marvel Trading Card Game, das 2007 für den PC erschien. Hier konnte ich mich zu Beginn entscheiden, ob ich die Helden oder die Bösewichte spiele und mich dann durch einen Storymodus kämpfen, der mir für jedes gewonnene Kapitel neue Karten brachte. Ähnlich hat es auch das 2019 erschienene Mythgard gemacht, das zumindest einen Storymodus anbot, über den Münzen für neuen Boosterpacks erspielt werden konnten. Der In-Game-Shop neben diesem Modus funktionierte allerdings auf altbekannte Weise, so dass ich im Wettkampf mit anderen Menschen kaum ein eigenes, starkes Deck bauen konnte, wenn ich nicht entweder Ewigkeiten zum Münzen sammeln investierte oder einfach etwas Geld in die Hand nahm. Auf Dauer hatte ich hier also auch keinen Spaß, selbst wenn der Einstieg mit einem unterhaltsamen Modus und den daraus entstehenden Möglichkeiten für die ersten eigenen Decks mir durchaus Freude bereiten konnte.

Das gesunde Mittelmaß

Ich verstehe, dass es mittlerweile schwer ist, ein neues Kartenspiel zu veröffentlichen, ohne auf ein Free-to-Play-Modell zu setzen. Die großen Platzhirsche im Genre wie beispielsweise Hearthstone, Magic oder Gwent funktionieren alle nach diesem Prinzip. Einen neuen Ansatz zu wagen, wie es Chroma: Bloom and Blight versucht hat, ist an erster Stelle also mehr als löblich. Digitale Boosterpacks sind deutlich gefährlicher als die Päckchen aus dem Spielzeugladen, da sich in viel kürzerer Zeit viel mehr Pakete kaufen und öffnen lassen und das motivierend inszenierte Effektgewitter nicht unterschätzt werden darf. Hier anzusetzen, ist in meinen Augen also auch der richtige Weg, um ein Spiel anbieten zu können, bei dem die Gefahr geringer ist, plötzlich Unsummen an Geld zu verlieren. Doch trotzdem haben Boosterpacks auch riesige Vorteile für den Verlauf eines Spiels. Karten sammeln, nach und nach Mechaniken kennenlernen und ausprobieren, die Freude über einen seltenen Fund – das ist nicht zu unterschätzen.

Ich würde mir also wünschen, mal wieder ein Kartenspiel zu finden, das sich an den alten Titeln orientiert, was den Fortschritt angeht. Chroma: Bloom and Blight ist da sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, der sich von den festgefahrenen Finanzierungsmodellen entfernt. Vielleicht fühlt sich dadurch mal ein Studio inspiriert, ein Kartenspiel zu designen, das komplett über Ingame-Fortschritt funktioniert. Käufliche kosmetische Upgrades können dann gerne auch vorhanden sein, wenn das Spiel in der Grundform nichts kosten soll oder kann, um überhaupt bemerkt zu werden. Große Lizenzen haben es dafür sicherlich einfacher. Und bis dahin werde ich einfach das Pokémon Trading Card Game in meinen Gameboy Color stecken und hoffentlich ein glitzerndes Simsala in einem Boosterpack finden!

Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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