In Evil Genius 2 könnt ihr euren Größenwahn ausleben und die Weltherrschaft an euch reißen!
Ab und an kommt ein Spiel, das uns die Seiten wechseln lässt. Während wir in der Regel als Champions des Guten den bösen Herrscher_innen ordentlich zusetzen, dürfen wir in Ausnahmefällen selbst die Nachbarschaft terrorisieren. Die ultimative Blaupause für den „Antagonisten-Simulator“ ist und bleibt Dungeon Keeper aus meinem Geburtsjahr 1997. Damals musstet ihr einen Kerker aufbauen, der dem Ansturm von diversen Helden standhalten konnte. Niemals hätte der heute Kultstatus genießende Peter Molyneux erahnen können, dass er ein eigenes Nischengenre kreieren würde.
Während das Urwerk selbst 1999 einen Nachfolger erhielt, entwickelten sich auch einige geistige Nachfolger. Nahe am Klassiker blieb die Serie Dungeons, die von Realmforge in München entwickelt wurde. Vom Altmeister Molyneux selbst wurde War for the Overworld unterstützt, welches über Kickstarter finanziert werden konnte. Gemeinsam haben diese Games, neben dem Bau einer unterirdischen Basis, vor allem den schwarzen Humor. In die gleiche Richtung geht nun Evil Genius 2 von Rebellion, dessen Vorgänger schon 2004 auf den Markt kam und dabei das Prinzip auf ein Superschurk_innenenszenario ummünzte. Aberwitzige Pläne der Superlative erwarten uns!
Karrierestart und erste Schritte zur Weltherrschaft in Evil Genius 2
Das Wichtigste kommt zuerst: Die Wahl eines Alter Ego bestimmt die schurkische Ausrichtung und verändert so die Story, die wir erleben. Da wäre der Rote Ivan, der offenbar im kalten Krieg stecken geblieben ist und auf Muskelkraft setzt. Die zweite in der Riege ist Emma, die Meisterin des Heimlichen mit einer Vorliebe für arachnide Designs. Zalika, die den Prototyp „verrückte Wissenschaftlerin“ repräsentiert, übertrumpft die Kräfte der Gerechtigkeit mit technologischem Fortschritt. Maximillian liebt Geld – wie unschwer an der Schreibweise seines Namens zu erkennen ist – ein echter Allrounder. Mein Interesse war schnell von der zynischen Zalika geweckt, die in ihrer Storyline mit Hochtouren an der Entwicklung des V.O.I.D. Geräts arbeitet. Niemand weiß was es ist oder was es kann, aber Hauptsache es unterwirft die Menschheit!
Um ausgeklügelte Machenschaften in die Tat umzusetzen, benötigen wir nur noch die richtige Infrastruktur. Die richtige Aneinanderreihung von Generatorräumen, Schlafsälen, Ausbildungslagern, und der Cafeteria für schurkische Scherg_innen will gelernt sein. Im Optimalfall können alle wichtigen Örtlichkeiten in Sekundenschnelle vom Personal benutzt und gewartet werden. Im Endausbau gibt es viele Möglichkeiten, sodass ich im Baumenü teilweise sehr ins Grübeln kam. Damit Evil Genius 2 jedoch nicht von Anfang an überfordert, werden wir im Rahmen eines äußerst langen Einführungsteils schrittweise an die Materie herangeführt. In der späteren Phase unserer Bösewichtslaufbahn dürfen wir sowieso Räume umwidmen und Equipment verschieben, sodass der limitierte Platz optimal genutzt wird. Im Endeffekt schafft es das Aufbauspiel, dass wir uns langsam akklimatisieren und das Hauptquartier Schritt für Schritt nachvollziehbar hochziehen, bis wir Meister_innen im Raumplanen sind. Doch selbst wenn die Basis voll ausgerüstet ist, muss sie nach und nach vergrößert und gemanagt werden, um mit unseren Ambitionen mitzuwachsen.
Es ist schwierig gutes Personal zu finden
Bewohnt wird die mehrstöckige Basis von unseren Handlanger_innen, die sich um anstehende Arbeiten kümmern. Bauaufträge, Wartung, Forschung und das Bewachen der Anlage stehen genauso auf dem Plan wie die Ablenkung von neugierigen Nasen. Deshalb läuft im Vordergrund unserer High-Tech Höhle eine Kasinooperation. Sie bespaßt nicht nur ahnungslose Touristen, sondern lenkt auch Agent_innen ab, die auf Spionage aus sind. Für Eindringlinge stehen außerdem fiese und ausgefallene Fallen zur Verfügung, die von automatischen Boxvorrichtungen bis hin zu rutschigen Eisflächen reichen. Je weiter wir in der Kampagne voranschreiten, desto besser können wir unsere Scherg_innen ausbilden. Dies wird auch bitter nötig, wenn die internationalen Kräfte hinter unsere düsteren Absichten kommen.
Denn unsere Untergebenen schicken wir auf alle Kontinente, um dort Filialen unserer Operation einzurichten. Irgendwoher muss schließlich das Geld ins Haus flattern. Während ein Team mit der Bearbeitung der Hauptaufgaben betraut ist, können wir also einige krumme Dinger drehen, mit denen wir die laufenden Kosten decken. Dabei sind die Ideen hinter den Missionen immer lustig, wichtige Plotpunkte oder Nebenhandlungen werden mit kurzen Dialogen pointiert inszeniert. Viel mehr Präsentation gibt es leider nicht. Das ist sehr schade, denn ich hätte gerne zugesehen, wie meine Crew versucht ein fabelhaft wirkendes fliegendes Schwein zu kidnappen, nur um zu merken, dass es sich um ein Schaukeltier handelt. Ohne Möglichkeit der weiteren Beeinflussung nutzen wir die Wartezeit eben für Mikromanagment und die Abwehr von lästigen Agent_innen. Zu tun gibt es jederzeit genug in Evil Genius 2.
Stromausfall und Invasion
Wer kennt es nicht: Fleißig werden Funkzentralen installiert, um bitterböse Einsätze zu koordinieren, während im Zellentrakt ein Ausbau an Gehirnwäschemaschinen und Verhörsesseln erfolgt. Doch plötzlich ein Knall und die Lichter in den nach Plastik und Angstschweiß stinkenden Gängen erlöschen. Da hat wohl jemand vergessen, genügend Generatoren zu bauen, um die Basiserweiterung mit Saft zu versorgen. Blöd nur, dass ausgerechnet in diesem Moment ein Schnellboot mit drei verdeckten Ermittlern am Strand unserer abgelegenen Insel landet. Diese Halunken wollen doch tatsächlich unsere Heimstätte sabotieren. Der Großalarm kann dank des Stromausfalls nicht ausgelöst werden, um die Wächter mit ihren Betäubungsstöcken zur Abwehr eilen zu lassen. Während also schleunigst neue Stromquellen geordert werden, muss Zalika selbst eingreifen und die Missetäter mit einem grünen Zapp ihrer Strahlenkanone zurück in den Pazifik zu treiben. Gerade noch mal gut gegangen!
Ähnliche Situationen kommen im hektischen Alltag in der Geheimzentrale häufig vor. Gut also, dass wir das Geschehen pausieren können, um heikle Situationen durch kluge taktische Planung zu entschärfen. Die meiste Zeit verbringen wir nämlich mit Mikromanagment und Gefahrenabwehr, wenn wir nicht gerade im Zeitraffer auf Missionsergebnisse warten. Vor allem die regelmäßigen Angriffe von Organisationen wie „P. A. T. R. I. O. T“, deren Agent X uns das Handwerk legen will, dürfen nicht übersehen werden, da sich sonst gut ausgebildete Widersacher in unser HQ schleichen, um zu sabotieren oder Goldreserven zu tilgen. Zugegeben, nach einer gewissen Zeit wiederholen sich die Routinen. Die Storyfetzen mit humoristischem Anstrich könnten für meinen Geschmack dichter verteilt sein. Richtige Motivationsprobleme kamen dennoch nicht auf, da Evil Genius 2 gameplaytechnisch jederzeit fordert, ohne überfordernd zu wirken.
Du bist nicht das einzige Genie in Evil Genius 2
Deine Handlanger können oft die Drecksarbeit übernehmen, gleichzeitig gibt es aber auch Situationen, in denen eine rechte Hand Wunder wirkt. Besonders in Kämpfen gegen Eindringlinge beweisen sich diese außergewöhnlichen Gehilf_innen als wahre Kampfkünstler_innen. Ein Protégé ist also ein Muss für eure perfiden Machenschaften. Aber nicht alle Bösewichte sind euch gut gesonnen. Viele schurkische Masterminds verfolgen andere Agenden, weswegen es in Nebenhandlungen periodisch zu Reibereien nicht nur mit dem Gesetz, sondern mit witzigen Antagonist_innen kommt. Meine selbsterklärte Nemesis war die Robotikerin, die selbst ihre Niederlagen stoisch wegsteckte, da ihre synthetischen Helferlein meine menschliche Schurkenposse sowieso überleben würden. Sie stellte eine herrlich skurrile aber passende Gegenspielerin zu meiner verrückten Wissenschaftlerin dar.
Wenn ich meiner ausgewählten Protagonistin in den klamaukigen Dialogen zugehört habe, bekam ich das Gefühl: „Alles muss ich selber machen!“ Während die Handlanger_innen zwecks Comic Relief als herrlich doof dargestellt werden, trifft das auf die Spielmechanik gar nicht zu. Denn mit einigen Klicks und gutem Überblick erscheint der Weg zur Weltherrschaft machbar. Die nach einer längeren Aufbauphase einkehrende Routine lässt Platz für subtile Änderungen und Verbesserungen mit deren Hilfe wir uns im globalen Infight mit Agent_innen und anderen Schurk_innen behaupten. Bescheuerte Missionen, wie das geflügelte Schwein, werden aber mangels visueller Aufbereitung bald ohne große Beachtung durchgeklickt. Zwar muss Rebellion für die Unterschiede der einzelnen Charakterplots gelobt werden, denn die Wiederspielbarkeit steht außer Zweifel. Doch mit einer verdichteten Hauptgeschichte hätte mich Evil Genius 2 mehr mitgerissen. Am Ende bleibt eine ausgereifte Aufbausimulation im Gewand einer Superschurk_innensimulation, die mit größerem storytechnischen Fokus noch viel mehr Spaß gemacht hätte.
7/10 🕵🏻♂️🌍
Developer /Publisher: Rebellion
Genre: Aufbausimulation
Veröffentlichung: 30. März 2021 (Steam)
Der Historiker von WTLW. Spielt alles vom Walking Simulator bis zum Point-and-Click Adventure, am Liebsten aber RPGs mit guter Narrative und Strategie.