Cyber Shadow Review | Wenn Nostalgie funktioniert

Getrieben von wohliger Nostalgie, haben YachtClub Games mit Cyber Shadow einen stilsicheren Platformer veröffentlicht.

An irgendeinem Abend am Ende des letzten Jahres schaute ich entspannt vor meinem Schreibtisch ein kleines Showcase anstehender Indie Games. Plötzlich taucht das YachtClub-Logo auf und ich sitze kerzengerade in meinem Stuhl. Die kreativen Köpfe, die hinter Shovel Knight stecken und damit einen meiner liebsten Platformer aller Zeiten programmiert hatten, machen etwas Neues? Etwas, das kein DLC zu ihrem altbewährten Schaufelritter ist? Nicht, dass das schlecht gewesen wäre. Jeder DLC zu Shovel Knight war dem Hauptspiel absolut ebenbürtig, doch seit jeher war ich gespannt, wann YachtClub Games etwas ganz Frisches entwickeln würde. Ich sah einen düsteren Ninja, der sich durch eine cyberpunkige Welt schnetzelte und kein Kabel in der Fassung ließ. Wie geil sieht das denn aus? Doch dann die Erkenntnis: YachtClub Games publishen dieses Spiel namens Cyber Shadow nur, das Team dahinter sind die Mechanical Head Studios. Aber das muss ja nichts Schlechtes heißen, oder?

Alte Ninjas rosten nicht!

Als Ninja namens Shadow werde ich in eine düstere Welt geworfen. Mein gesamter Klan scheint nicht mehr am Leben zu sein, ich stoße nur auf Leichen, deren letzte Erinnerungen ich abrufen kann. Überall verwüsten Maschinen die Umwelt, so dass die Stadt Meka City ein einziges Schlachtfeld geworden ist. Sie alle agieren im Auftrag von Professor Progen, ein wahnsinniger Wissenschaftler, der selbst mehr Maschine als Mensch geworden ist und die Seelen meines Klans als Energiequelle nutzt. Einzig der Hilferuf meiner alten Meisterin treibt mich weiter an der Spur zu folgen und Progen zu stoppen. Eine Geschichte, wie sie auch in den 80ern nicht anders geschrieben worden wäre. Aus dieser Epoche zieht Cyber Shadow diverse Anleihen, um seine Welt zu gestalten. Das fängt schon damit an, dass das komplette Spiel mit einem NES-Controller gespielt werden könnte. Steuerkreuz und zwei Knöpfe, mehr ist nicht nötig, um Shadow durch Meka City zu bewegen.

Die Geschichte wird in Form von kleinen Zwischensequenzen in Pixeloptik erzählt, wie sie schon in alten Ninja Gaiden Spielen beeindrucken konnten. Auch das Gameplay erinnert stark an diesen nahezu unmenschlich schweren Klassiker mit Sekundärwaffen, Spezialfähigkeiten, Stacheln, die mich auf der Stelle töten oder an den nervigen Rückstoß, der mich bei Treffern von Plattformen haut. Die Level werden über eine Karte angesteuert, die genauso in diversen Mega Man-Titeln die Schlösser von Dr. Wily darstellte. Alles wirkt irgendwie bekannt, aber trotzdem nicht altbacken. Der Chiptune-Soundtrack, die an den NES angelehnte Optik und das knackig schwere Gameplay konservieren genau das, was mir in den Kopf kommt, wenn ich verklärt nostalgisch an diese alten Spiele denke. Natürlich habe ich hier und da entnervt mein Gamepad auf die Couch gepfeffert. Lange konnte ich es allerdings nicht aus der Hand legen, bevor ich trotzig einen erneuten Versuch startete und die kniffligen Stellen überwand.

Eine Prise Frisches

Aarne Hunziker, die Person hinter den Mechanical Head Studios, wusste genau, was alte Spiele zu Klassikern hat werden lassen und welche Spielelemente wir lieber verdrängen, um die wohlige Nostalgie nicht zu gefährden. An diesen Punkten setzte er an und polierte das Gameplay gerade genug auf, um die Motivation der Spielenden nicht vollends in Frustration kippen zu lassen. So gibt es stetig fair gesetzte Checkpoints, die mich nicht zu weit zurückwerfen. Sammele ich einige Energiekugeln ein, kann ich diese sogar nutzen, um Checkpoints aufzurüsten, so dass sie mich nicht nur heilen, sondern auch den Balken für Spezialfertigkeiten füllen oder mir sogar eine zusätzliche Waffe spendieren, die ich so lange behalte, bis ich drei Mal getroffen wurde. Reicht das immer noch nicht, kann ich auch mit neuen Fähigkeiten alte Level besuchen und zusätzliche Upgrades finden, die meine Statuswerte erhöhen. Das in Kombination mit der stetigen Lernkurve hat jedes Hindernis überwindbar gemacht.

Gerade zu Beginn bringt mir jeder Boss außerdem ein praktisches Upgrade, das den Spielfluss elementar verändern kann. Distanzangriffe, Sprintattacken und Feuerbälle bieten zahlreiche Möglichkeiten, Situationen anzugehen. Viele meiner Versuche klappen nicht auf Anhieb, irgendwann weiß ich aber, wie sich Gegner auf einer Ebene bewegen, wen ich besiegen muss, wo ich besser vorbeihüpfe und welche Techniken mir am meisten bringen. Als dann kurz vor Ende alle meine Fähigkeiten ein dickes Upgrade bekamen und mir weitere Möglichkeiten gegeben wurden, mich jetzt erst recht wie ein unschlagbarer Ninja durch die Level zu schnetzeln, habe ich mir die Augen reiben müssen. Ich hatte nicht damit gerechnet, zu diesem Zeitpunkt im Spiel noch immer etwas lernen zu können. Neue Skills wollten perfektioniert werden, um noch vielseitiger durch die Abschnitte zu fegen. Da sind die immer wieder auftauchenden Besonderheiten in den Leveln wie eine Motorradfahrt, ein Bootstrip oder ein steuerbarer Roboteranzug noch gar nicht mit eingenommen!

Aus dem Cyber Shadow in das Licht

Die große Besonderheit an Cyber Shadow kommt allerdings ab dem Moment, wo wirklich alle Mechaniken wie die Zacken eines Reißverschlusses ineinandergreifen und ich durch das gesamte Spiel düse, als wäre es nichts. Die Level sind so designet, dass ich in einer fließenden Bewegung von Anfang zum Ende düsen kann, ohne wirklich anzuhalten. Das verlangt natürlich einiges an Geschick und Übung, weswegen mir dieses Kunststück nur an sehr wenigen Stellen gelang. Diese haben sich jedoch fest in mein Gedächtnis gebrannt, weil ich mich nahezu unbesiegbar gefühlt habe. Spiele wie Cyber Shadow machen mir beim Ansehen eines Speedruns fast genauso viel Spaß wie bei meinen eigenen Versuchen, weil der dort erkennbare Spielfluss einen ganz eigenen Zauber ausübt. Ein möglicher Ansatz, um selbst auf dieses Level zu kommen, bieten die zahlreichen im Spiel aufgeführten Challenges, die es genauso auch schon in Shovel Knight gab.

Öffne ich das Erfolge-Menü im Pausenbildschirm, werden mir zahlreiche Herausforderungen angezeigt, die völlig andere Herangehensweisen an Spielabschnitte und Bosse verlangen. So gibt es nicht nur für jeden Boss eine Möglichkeit, ihn in Windeseile explodieren zu lassen, sondern auch diverse Herausforderungen, die den Kämpfen zusätzliche Würze verleihen. Beim Versuch, einen Gegner nur durch das Parieren seiner Angriffe oder ohne den Einsatz von Spezialfertigkeiten zu besiegen, gerate ich zwar gehörig ins Schwitzen, bin aber doppelt stolz auf mich, wenn ich nach einem erfolgreichen Kampf erschöpft auf die Couch zurücksinken kann. Zuvor habe ich nämlich weit nach vorne gebeugt das Gamepad umklammert und alles um mich herum ausgeblendet, um nur noch auf diesen riesigen Robodrachen fokussiert zu sein, weil ich nicht ins Wasser fallen durfte, obwohl das Level zu 90% aus diesem Element bestand. Ich bin weit davon entfernt, jede Challenge geschafft zu haben, doch jeder Erfolg war ein kleiner Meilenstein für mich.

So muss es sein, so soll es bleiben

Nach einem gefühlt sehr schwachen Platformer-Jahr 2020 war ist skeptisch, wann ich endlich wieder helle Begeisterung bei präzisen Hüpfereien empfinden würde. Kritisierte ich in meiner Review zu Golden Force noch, dass trotz des Retrocharmes gerade das Gameplay Probleme bereitete, ist Cyber Shadow genau das, was ich mir so lange gewünscht habe. Rein von der Herausforderung würde ich Aarne Hunzikers Spiel weit vor Golden Force ansiedeln. Hier ist die Steuerung aber so genau und pointiert, dass ich keinen Fehler auf das Spiel schieben kann. Wenn ich einen Abschnitt nicht schaffe, dann liegt es daran, dass ich nicht aufgepasst habe oder meine Fähigkeiten nicht richtig nutzen konnte. Das ist anstrengend, fühlt sich am Ende aber einfach gut an. YachtClub Games scheinen also nicht nur selbst absolute Meister darin zu sein, einen Platformer zu gestalten, sondern haben auch den richtigen Riecher, wenn es darum geht als Publisher für dieses Genre zu dienen.

9/10 🐱‍👤

Developer: Mechanical Head Studios
Publisher: YachtClub Games
Genre: Action-Platformer
Einzelentwickler: Aarne Hunziker
Musik: Enrique Martin
Veröffentlichung: 26. Januar 2021 (Steam, PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One, Xbox GamePass, Switch)

Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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