In Tunche prügelt ihr euch durch den Amazonas gegen unzählige Wesen aus der peruanischen Mythologie.
Wenn ich aktuell erlebe, dass sich Menschen mit der Kultur rund um den Amazonas beschäftigen und sich über die dortigen indigenen Völker schlau machen, sind es meist auch Personen, die einfach nur Bock haben, dort vor Ort einen Schluck Ayahuasca zu sich zu nehmen. Dieser psychedelisch wirkende Pflanzensud hat eine solche Aufmerksamkeit bekommen, dass ein regelrechter Tourismus rund um die indigenen Traditionen der Amazonasgebiete entstanden ist. Mich persönlich macht das eher wütend. Wenn wohlhabende Menschen nach Peru, Brasilien oder Venezuela fahren, um dort im Dschungel einen Trip zu schieben und dann zu Hause zu erzählen, wie frei und glücklich die Menschen dort doch sind, obwohl sie ja so wenig haben, könnte ich durchdrehen. Die Menschen in den jeweiligen Ländern können sich sicherlich nichts Schöneres vorstellen, als Silke und Michael dabei zu betreuen, drauf zu sein, nur um selbst ein kleines Stückchen vom kapitalistischen Kuchen abzubekommen. Da spiele ich lieber Tunche!
Aus Peru in die Welt
Die peruanischen LEAP Game Studios haben viele Einzelheiten der Mythen aus den Amazonasregionen in ihr Spiel gepackt, ohne sie bis ins Detail auszuführen. Sie bieten einen Einblick in diese Kultur, ohne sie auszubeuten. Schließlich sind es die Geschichten, die die Mitglieder des Teams zum Teil selbst von ihren Eltern erzählt bekommen haben. Mythen über große Monster des Amazonas, die durch den Dschungel streifen und eine Gefahr für herkömmliche Menschen darstellen, sind hier überall zu finden. Das Monster namens Tunche hat eine ganze Horde an Monstrositäten um sich geschart. Eine Gruppe bestehend aus vier indigenen Personen und dem Hat Kid aus A Hat in Time muss diese nun ihre Schranken weisen. Dabei stoßen die Figuren auf ihrer Reise durch den Dschungel, der aus vier Leveln besteht, immer wieder auf Bücher, die ihre ganz eigene Hintergrundgeschichte beleuchten. So wird klar, wieso ausgerechnet diese Menschen jetzt durch den Dschungel ziehen.
Der eigentliche Star des Spiels ist aber eindeutig die Monstertruppe, allen voran die großen Bosse. Sei es ein Faultier so groß wie ein Elefant, wie es vor Jahrhunderten tatsächlich durch den Amazonas streifte, ein riesiger pinker Delfin, Tunche höchstselbst oder der Runapuma. Das ist ein böser Mensch, der im Dschungel lebte und sich in einen Puma verwandeln konnte, sobald sein Hunger zu groß wurde. Jedes Monster motivierte mich, im Internet zu recherchieren, was sich dahinter verbarg. Dafür können einzelne Monster auch Überreste hinterlassen, die im Spiel selbst einen tieferen Einblick ermöglichen. Da ich schon immer ein großes Interesse an der Mythologie unterschiedlichster Gegenden hatte, ist Tunche als Spiel also eine wahre Goldgrube für mich. Ich finde es unheimlich spannend, durch die gestreuten Informationen mehr über die Herkunft dieser Geschichten zu erfahren. Davon gibt es hier nämlich einige.
Immer wieder Richtung Tunche
Ständig starte ich neue Anläufe, um es endlich bis zum Endboss zu schaffen. Recht schnell bekomme ich dabei den Eindruck, dass Tunche irgendwie eintönig wirkt. Es ist ein klassisches Beat’em Up. Ich boxe mit einer simplen Schlagkombo die Gegner aus dem Bildschirm und gehe weiter. Dabei sammle ich Gold, das ich in Shops zur Heilung einsetzen kann oder Punkte, die mir neue Fähigkeiten freischalten. Allerdings merke ich erst nach dem ersten gescheiterten Versuch, dass ich diese Upgrades nur im Startcamp bekomme. Im Endeffekt prügle ich mich also los, scheitere, rüste mich auf und versuche es erneut, bis ich irgendwann stark genug bin, einen Durchlauf zu schaffen. Jeden der fünf Charaktere muss ich so von Anfang an stärken. Auf Dauer wird es also tatsächlich recht öde, auch wenn die unterschiedlichen Fähigkeiten, die ich nach und nach erhalte, einiges an Abwechslung bringen.
Mehr Freude bereitet Tunche vor allem dann, wenn der Koop-Modus genutzt wird. Zu zweit, dritt oder viert kloppt es sich deutlich spaßiger durch die einzelnen Level. Es erleichtert ebenfalls das jeweilige Aufleveln der Spielfiguren. Mit jeder wieder bei Null zu beginnen, kann wirklich ermüden und zieht das Freispielen der einzelnen Geschichten unnötig in die Länge. Es wirkt mehr wie simple Spielzeitstreckung, durch die ich am Ende unzählige Stunden vor dem Bildschirm hocke, obwohl ein Durchgang mit einer Figur mir doch schon alle Level und Gegner gezeigt hat. Wäre das Setting nicht so großartig und spannend, hätte ich wahrscheinlich deutlich eher aufgegeben. Besser wäre es wohl gewesen, wenn die einzelnen Level auch zufällig kommen würden und es dazu auch mehr als die vorhandenen vier wären. Denn so sehr ich das Design des riesigen Faultiers auch feiere, hing mir der erste Boss zu schnell zum Hals heraus.
Der Weg ist das Ziel
Die LEAP Game Studios wollten mit Tunche peruanische Mythen nacherzählen, sie bekannt machen und ein schönes Bild vom Regenwald und dem Amazonas zeigen, sagte der Produzent und Director Luis Wong in einem Interview mit der Zeitschrift gamevironments. Das ist dem Studio auf jeden Fall gelungen. Selbst die Musik ist eine Mischung aus traditionellen Klängen und modernen peruanischen Sounds. Gerade auch, da sie eines der erfolgreichsten peruanischen Studios sind, finde ich es großartig, dass sie diese Position nutzen, um ein solches Ziel zu verfolgen.
Videospiele können eine hervorragende Fläche sein, um unterschiedlichste Kulturen zu repräsentieren und kreativ darzustellen. Unabhängig von kleineren Problemen, die ich also mit dem Spiel hatte, fände ich es großartig, wenn es immer mehr solcher Titel gäbe. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich so einen weitaus besseren Einblick in unterschiedliche Mythen und Gebräuche bekommen habe, als wenn ich mit einer ganzen Gruppe Touris in den Dschungel gefahren wäre, um mir dort nach einem Becher Ayahuasca die Seele aus dem Leib zu reihern. Vielleicht kommen mit der Zeit sogar einige Updates, die die Vielfalt der Level erhöhen und weitere Mythen anreißen. Dann begebe ich mich liebend gern erneut auf einen digitalen Ausflug in den hübsch gezeichneten Dschungel.
7/10 🐒🌳🦎🦜🌿
Developer: LEAP Game Studios
Publisher: HypeTrain Digital
Genre: Beat’em Up
Team: Luis Wong (Game Director, Producer) Jorge Garcia Soto (Producer), Diego Rodriguez (Lead Game Design, Writing), Francisco A. Mora Arámbulo (Lead Programming), Mateo Alayza (Art Director),
Musik: The Audio Hive (Composer)
Auszeichnungen: Official Selection (Bitsummit 2019), Official Selection (Festival Européen du Film Fantastique de Strasbourg 2020)
Veröffentlichung: 2. November 2021 (Steam, Epic Games Store, PS4, Xbox One, Switch)
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Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.