The Good Life Review | Abenteuer in der englischen Provinz

Das mutmaßlich glücklichste Dorf der Welt will in SWERYs neuem Spiel The Good Life untersucht werden. Irgendwas ist dort doch faul!

Ich habe die ersten 20 Jahre meines Lebens auf dem Land verbracht. Bin auf einem Pferdehof groß geworden und in einem kleinen beschaulichen Städtchen zur Schule gegangen. War umgeben von Natur, Landwirtschaft, Tieren und bekannten Menschen. Und ich habe es gehasst. Diese Gewissheit, dass hier jeder Mensch jeden anderen über irgendwelche Ecken kennt, jede Abweichung von der Norm kritisch beäugt wird, hat mich wahnsinnig gemacht. Für mich war klar, dass ich so schnell wie möglich wegziehe, sobald ich alt genug bin. Letztendlich habe ich das auch getan und bin glücklicher Stadtmensch geworden. Eine Reise zurück in die alte Heimat kann ich nun ganz entspannt genießen, weil ich sicher bin, nach ein paar Tagen auch wieder wegzukommen. Die Vorstellung, dass ich irgendwann aus Geldnot oder anderen Gründen zurückmüsste, schaudert mich. Doch der Journalistin Naomi Hayward passiert genau das. Sie muss aufgrund hoher Schulden in die Provinz – mein ganz persönlicher Albtraum!

Das Geheimnis von Rainy Woods

Anscheinend soll es hier mitten im britischen Nirgendwo ein Dörfchen geben, das der glücklichste Ort der Welt ist. Aber irgendwas ist da doch faul, oder? Es kann nicht sein, dass Menschen einfach durchgehend glücklich sind. Was steckt dahinter? Das muss Naomi herausfinden. Eine Wahl hat sie nicht, da dies der einzige Weg ist, irgendwie die 30.000.000 Pfund abzubezahlen, die sie der Zeitung Morning Bell schuldet. Also raus aus New York und ab in die Pampa. Hier muss wohl eine riesige Story verborgen liegen, wenn so viel Geld dahintersteckt. An den Gerüchten scheint zumindest etwas dran zu sein. Die Leute hier sind sogar so freundlich, dass Naomi kurzerhand ein eigenes Haus geschenkt bekommt, in dem sie während ihrer Recherchen wohnen kann. Die Probleme des Immobilienmarktes scheinen hier einfach nicht zu existieren und es hilft enorm, keine Miete bei diesem Berg an Schulden bezahlen zu müssen.

Was trotzdem noch Geld kostet, ist die Verpflegung. Zwar kann Naomi Tiere jagen, Gemüse ernten und ihren eigenen Garten hochzüchten, doch manchmal ist es notwendig, im Pub oder Restaurant etwas zu futtern, neue Kleidung zu kaufen oder das neue Eigenheim zu renovieren. Dafür müssen gute Fotos gemacht werden, die auf Naomis Flamingo-Account hochgeladen werden und ordentlich Likes bringen. So kann etwas Influencer_innengehalt eingefahren werden. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Menschen im Ort kennenzulernen und Gefallen für eine kleine Belohnung zu erledigen. Manchmal verlangt die Redakteurin der Morning Bell News auch ganz bestimmte Fotos, die einen kleinen Bonus bringen. Ganz ohne Kapitalismus kommt die Welt also auch hier nicht aus. Will Naomi sich einleben, muss sie wohl oder übel arbeiten und Geld verdienen. Reine Selbstversorgung ist zwar möglich, aber mühselig und kaum zielführend. Die Frage ist nur, wann Naomi Zeit findet, sich auch um ihren Auftrag zu kümmern.

Es regnet Katzen und Hunde

Erstaunlicherweise dauert es nicht lange, bis die erste Spur direkt vor der Tür liegt. Offensichtlich verwandeln sich alle Menschen des Örtchens bei Voll- und Neumond in Hunde und Katzen. Das erklärt auch, wieso manche von ihnen ein Problem damit haben, wenn Naomi eher den Hundefreund_innen bei ihren Bedürfnissen hilft und umgekehrt. Als wäre das nicht genug, dauert es nicht lange und Naomi verwandelt sich selbst in eine Katze und einen Hund. Im Gegensatz zum restlichen Dorf hat sie jedoch volle Kontrolle darüber, wann das passiert und niemanden scheint das zu wundern. Die große Frage ist nur, wie die Journalistin das beweisen will. Das glaubt ihr doch kein Schwein und die Morning Bell erst recht nicht. Sie muss der Sache auf den Grund gehen. Doch natürlich wird die eine Person, die sich nicht verwandelt und damit augenscheinlich mehr zum Sachverhalt sagen könnte, brutal ermordet.

Jetzt kommt Naomi die neue Spürnase und das Klettergeschick sehr entgegen. So ein Mordfall und seine Aufklärung ist sicherlich auch eine bombige Story, die ordentlich Geld bringt. Rainy Woods und die Wiesen, Wälder und Berge drumherum wollen nun erkundet werden. Der Traum vom The Good Life ist also erstmal beiseitegelegt. Jetzt geht es an die Arbeit. Kontakt zu den Einheimischen zu suchen ist sicher hilfreich, um so auch nützliche Infos über den Alltag einer jeden Person herauszufinden. Welcher Spur Naomi zuerst folgt, kann sie frei entscheiden. Ihr sollte jedoch klar sein, dass das seine Zeit in Anspruch nehmen wird und kein leichter Job ist. Schließlich könnte jeder Mensch im Dorf hinter diesem Mord stecken. Wem Naomi glauben kann und wem nicht, steht in den Sternen.

The Good Life aber ohne ÖPNV

Wer selbst auf dem Land gelebt hat, weiß natürlich, dass Orte außerhalb des Dörfchens nur schwer zu erreichen sind. Der Bus fährt ein Mal am Tag, mehr nicht. In Rainy Woods fährt er sogar gar nicht. Wenn die riesige Fläche um das Dorf erkundet werden will, geht das also nur zu Fuß oder im späteren Spielverlauf per Schafsritt. Überall im Nirgendwo sind zudem Schreine verteilt, die eine Schnellreise ermöglichen. Da das aber nur von Schrein zu Schrein geht, muss trotzdem erst eine weite Strecke zu einem dieser Gebilde zurückgelegt werden. So sehr The Good Life hier das Leben auf dem Land bestens abbildet, so sehr nervt es, ewig durch das Nirgendwo zu galoppieren. Die Landschaft ist nämlich erstaunlich leer. Es gibt hier nichts zu tun, wenn eine Quest Naomi nicht zufällig mal in die Pampa schickt.

Das ist besonders dann blöd, wenn der stetig laufende Tages- und Wochenrhythmus dafür sorgt, dass Dorfbewohner_innen gerade nicht auffindbar sind. Eigentlich ist es ein wundervolles Detail, dass diese liebenswürdigen Menschen ihrem eigenen Leben nachgehen und sich ihr Alltag komplett nachvollziehen lässt. Werktags wird gearbeitet, sonntags sind alle morgens in der Kirche, die Kinder sind mittags im Wald spielen. Sich so zu erarbeiten, wann Naomi sich am besten wo ihre Quests abholt und sie löst, macht vor allem zu Beginn unfassbar viel Spaß und lässt Rainy Woods lebendig wirken. Hier funktioniert der Dorfflair, wegen dem innerhalb kürzester Zeit jeder Mensch im Dorf bekannt ist, weil sie alle auch sympathische Eigenarten, optische Besonderheiten und distinktive Charakterzüge besitzen. The Good Life wäre wirklich großartig, wenn es sich in seiner Erzählung genau darauf konzentrieren würde. Die Bewohner_innen von Rainy Woods könnten dieses Spiel wunderbar alleine tragen.

Da werden der Hund und die Katze verrückt

Jedoch wurden hier Spielmechaniken über Spielmechaniken ins Spiel geklatscht, die mit der Zeit einfach nur nerven. Das Crafting neuer Möbel, Kleiderstücke oder Rezepte ist ermüdend. Die dafür nötigen Items sind echt heikel aufzutreiben, weil sie entweder zufällig auftauchen oder am A**** der Heide liegen. Hunger, Stress und Müdigkeit wollen ständig beobachtet werden, selbst Naomis Sauberkeit ist ein Faktor, wenn Menschen sich nicht angewidert wegdrehen sollen. Die Sympathiepunkte bei Katzen- und Hundemenschen, die Quests freischalten oder versperren, sind ein absoluter Albtraum und Zeitfresser für Spielende, die jede Aufgabe erledigen möchten. Alles zusammen macht The Good Life unfassbar klobig, wenn mehr getan werden will als stumpf der Hauptquest zu folgen. Lasst mich doch einfach Fotos knipsen, Zeug kaufen und Quests erledigen, anstatt auf alles noch drei weitere Spielsysteme zu ballern! Wobei ich mich eigentlich gar nicht darüber wundern dürfte.

SWERY hat als Director eines Spiels mit seinem Studio White Owls oft das Bedürfnis, wilde Mechaniken einzubauen. Dadurch sind seine Titel häufig äußerst sperrig, aber auch einzigartig. The Good Life ist definitiv ein besonderes Spiel, das sich darin leider jedoch völlig verliert. Und so ist es genau wie ein tatsächlicher Besuch von mir auf dem Land. Für ein paar Tage geht es mir wirklich gut damit und ich genieße den frischen Wind, die Ruhe und Vertrautheit. Aber irgendwann wird es zu viel und ich bin froh, wenn es vorbei ist und ich mich wieder in den heimischen, vertrauten vier Wänden befinde. Ich bin und bleibe anscheinend ein Stadtmensch, selbst wenn es nur digital ist.

7/10 😺👱‍♀️🐶

Developer: White Owls, Grounding Inc.
Publisher: PLAYISM
Genre: Life-Sim/Adventure
Team: SWERY (Producer, Director), Yuichi Seki (Game Design), Wataru Nishide (Art Director), Ririko Hirako (Character Design)
Musik: Shotaro Kageyama (Composer)
Veröffentlichung: 15. Oktober 2021 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)


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Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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