Recompile Review | Du bist doch gut mit Computern, oder?

In Recompile hüpft ihr als kleines Programm in einen Computer, um ihn von innen zu reparieren.

In jedem Betrieb, der nicht im IT-Bereich zu verorten ist, wird ein_e Kolleg_in immer als Computerfachkraft auserkoren. Dabei ist es völlig egal, wie gut die Person sich wirklich mit der Technik auskennt, die notwendig ist, um einen PC zum Laufen zu bringen. Oft reicht es schon, wenn das Kollegium mitbekommen hat, dass sie weiß, wie man einen Adblocker einrichtet oder eine App vom Smartphone löscht. Je älter das Team, desto niedriger die Einstiegshürde, diese unbezahlte Beförderung zu erlangen. Schon heißt es an allen Ecken und Enden: „Sag mal, du kennst dich doch mit Computern aus, oder? Ich komm nicht mehr ins Internet.”, oder “Kannst du mal kurz gucken, ich glaub mein Bildschirm ist kaputt.” – Ich selbst war acht Jahre lang in dieser Rolle und konnte mich vor dieser Flut an Fragen nur durch einen beruflichen Wechsel retten. Zumindest so lange, bis Recompile auf meinem PC landete.

Haben Sie den PC schon aus- und wieder eingeschaltet?

Plötzlich musste ich wieder ran an die Schaltkreise und einen Computer von innen begutachten, um die Probleme zu erkennen. Dieses Mal war es jedoch kein handelsüblicher PC, sondern anscheinend ein riesiger Rechner, der eine komplexe künstliche Intelligenz beherbergte. Das erfuhr ich durch diverse Datenrückstände, die ich im Inneren der Maschine finden konnte. So las ich einige Gespräche zwischen der alten Crew und der KI, die mir zeigten, wie diese Maschine mit der Zeit dazulernte und immer mehr Aufgaben einer Station übernahm, auf der sich auch der Computer befand. Warum hier alles durchgebrannt und kaputt ist, wusste ich nicht. Dazu musste ich mehr Daten finden und Textlogs studieren. Nur gestaltete sich das deutlich komplizierter als erwartet. Jede wichtige Funktion des Computers war hinüber, so dass ich meine vermenschlichte Software über Platinen und Röhren hüpfen lassen musste, um die passenden Knöpfchen zur Reparatur zu finden.

Dabei war ein großes Problem, dass es in so einem Computer einfach verflucht dunkel ist. Anscheinend war es nicht möglich das Innenleben der Maschine ordentlich auszuleuchten. Vereinzelte Kabel strahlten etwas Helligkeit aus und auch mein wandelndes Programm selbst wusste die nähere Umgebung zu erleuchten, problematisch war es trotzdem, hier und da den richtigen Weg zu finden. Als Jugendlicher saß ich ab und zu neben meinem Cousin, während er die PCs der Familie reparierte und schaute genauso konzentriert mit zusammengekniffenen Augen auf seine Arbeit, ohne zu verstehen, was da genau passiert, wie ich es auch in Recompile immer wieder tat. Wieso löst dieser Schalter jetzt genau das aus? Wie kommt dieses Tor zu einem anderen Abschnitt jetzt bitteschön dahin? Wieso ist mir das vorher nicht aufgefallen? Die Mischung aus “Ich weiß nicht, wo ich suchen muss” und “Wie soll ich das denn sehen?” war alles andere als optimal für meinen Fortschritt.

Rufen Sie doch bitte einen Profi…

Hinzu kam noch, dass mein Programm einen Funken zu kurz und zu niedrig sprang, der Dash, welchen ich finden und freischalten konnte, einen Tacken zu weit ging und die generelle Kontrolle durch Elektroden und Kabel nicht so flüssig lief, wie ich wollte. Vielmehr fühlte ich mich in Recompile komplett wie bei der tatsächlichen Arbeit an einem Computer. Klobig und ungeschickt wühlte ich mich durch Kontakte und Verbindungen und kam irgendwie voran. Mit den nötigen Tutorials hatte ich das Gefühl, grob zu wissen, was ich hier tue. Sogar ein paar kleine Etappenziele konnte ich meistern. Doch dann tauchte aus dem Nichts ein Problem auf und alles flog in die Luft. Dieses Problem konnte entweder ein blöd gesetzter Hüpfer sein oder ein Gegner, der auftauchte und mein Programm zerlegte. Diese Gegner… natürlich funktionierte die Antivirus-Software einwandfrei und ging mir so richtig auf die Nerven. Was auch sonst?

Zwar hatte ich eine Möglichkeit zur Verteidigung, da mein Programmfigürchen eine Waffe am rechten Arm trug und einige unterschiedliche Schussmechaniken finden konnte, die wie Schrotflinten oder Maschinengewehre funktionierten. Doch auch hier offenbarte sich ein Problem. Zum einen bewegten sich vor allem die fliegenden Feinde in einem Tempo, dass ich schwer hinterherkam und zum anderen war es mir nicht möglich, direkt über mich zu zielen. Ab einem gewissen Winkel war Schluss. Und während manche Gegner trotzdem noch recht ungefährlich wirkten, waren andere in der Lage, mich mit wenigen Angriffen zu löschen. Das war auch bei Bosskämpfen ein riesiger Frustfaktor. Wieder ging es mir wie auf der Arbeit, wenn ich völlig unqualifiziert PC-Tipps geben sollte: Irgendwie wollte nichts so wirklich klappen und die Ausführung scheiterte zusätzlich noch an schlechter Hard- und Software. Wie sollte das denn etwas werden, wenn sich mein Werkzeug zusätzlich zu meiner Verwirrung auch noch als so ungelenk präsentierte?

(to) recompile = rekompilieren – ein Programm erneut kompilieren

Aber ich hatte ein Ziel vor Augen. Hinter all diesen technischen Beschwerden lagen wichtige Informationen über eine zerstörte Welt, eine maschinelle Katastrophe und eine künstliche Intelligenz, die anscheinend ein Bewusstsein entwickelte. Wenn die Maschine am Ende wirklich fehlerfrei funktionieren sollte, musste ich jede einzelne Datei finden. Und das wollte ich auch. Ich fühlte mich wie ein digitaler Historiker, der auf Spurensuche ging, um die Vergangenheit der Maschine und ihres Aufenthaltsortes zu entschlüsseln. Das hielt mich am Ball. Und mit der Zeit wurde ich besser. Je mehr Upgrades für mein Programm ich in diesem Computer fand, umso marginaler wurden meine Schwierigkeiten. Ich konnte bald mehrere Sprünge oder Dashs aneinanderketten, später sogar einfach fliegen und so jede Ecke des Computers erkunden. Abschnitte, die mich zuvor verzweifeln ließen, rauschten nur so an mir vorbei. Ich fühlte mich wie ein Genie, das sich alles selbst erarbeitet hatte und nun die Belohnung erntete.

Ich wusste die simple Optik meiner Umgebung zu schätzen und genoss die Klänge, welche eine Mischung aus Elektronik und Klavier darstellten. Ich wurde eins mit meinem Programm und versank in meiner Aufgabe, Daten zu retten und Abschnitte zu reparieren.  Irgendwer musste es ja tun. Und am Ende war ich froh, dass ich mich nicht habe entmutigen lassen. Durch die Vielzahl an Textlogs, die ich lesen durfte, entstand eine Bindung zwischen mir und der Maschine, in der ich arbeitete. Sie dann am Ende einzuschalten und zu merken, dass alle Bemühungen erfolgreich waren, erfüllte mich mit Stolz. Ich habe hier etwas bewegt. Nicht, weil mich jemand fragte, ob ich mal einen Blick auf den Computer werfen könne, sondern weil ich es selbst wollte. Anscheinend bin ich doch nicht so mittelmäßig mit Computern. Nur bitte ich trotzdem darum: Fragt mich nie wieder, ob ich euch kurz das Internet einschalten könnte.

7/10💻💥

Developer: Phigames
Publisher: Dear Villagers
Genre: 3D-Metroidvania
Team: Phi Dinh (Game Design), James Vincent Marshall (Art Director), Richard Evans (Audio Director), Faye Simms (Narrative Design), Gary Ashurst (Environment Artist)
Musik: Richard Evans, Ricky Westray, 65daysofstatic
Auszeichnungen: Best Unity Game (Indie Arena Booth 2020)
Veröffentlichung: 19. August 2021 (Steam, Epic Game Store, GOG, PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One)


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Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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