Haven Park Review | Perfektes Camping, durchgespielt

Haven Park von Fabien Weibel und mooneye Indies ist der entspannte Gegenentwurf zum hektischen Alltag.

Campen ist für mich mit sehr widersprüchlichen Gefühlen verbunden. Einerseits habe ich gute Erinnerungen an die Urlaube mit meinem Vater und meinem Bruder, in denen wir alle erdenklichen Annehmlichkeiten hatten. Morgens haben wir auf einer Kochplatte Kaffee gekocht, aus einer Kühlbox Brot und Käse gegessen und tagsüber tolle Sachen unternommen. Rafting zum Beispiel, auch wenn ich dabei einen heftigen Sonnenbrand davongetragen habe. Andererseits sind da auch viele weniger angenehme Erinnerungen, die sich beim Camping nicht vermeiden lassen. Mücken und andere Insektenbegleiter im Zelt beispielsweise, oder eine kalte Dusche, weil das warme Wasser nicht funktioniert hat. Und stets ist eine Toilette viele Meter entfernt. Nachts prasselt das Wasser auf das Zeltdach, was romantisch klingt, aber vom Schlafen abhält. Ich kann meine Gefühle so zusammenfassen: Ich schätze die Annehmlichkeiten eines Dachs über meinem Kopf.

Zumal so manche Exkursion zu Studiumszeiten mich körperlich an die Grenze gebracht haben. Nur das Nötigste durfte mitkommen, darunter natürlich keine Kühltasche und kein Campingkocher. Tagelang nur von Trockenfrüchten, Nüssen und kalten Eintöpfen aus dem Glas zu leben, das hat mich nachhaltig beeinflusst. Ich schätze meine Routinen, auch wenn das spießig klingen mag. Duschen musste sorgfältig geplant werden – was brauche ich alles? Die Privatsphäre leidet. Das Grillen abends war für mich als Vegetarierin eine Farce. So macht Campen keinen Spaß! Das ist weit entfernt vom idealistischen Bild des Nächtigens unter Sternen. Und so naturnah, wie Camping sich gibt, ist es nicht. Ich habe es als logistischen Aufwand wahrgenommen, mit exzessiver Vorbereitung, der Abhängigkeit von einem Auto und viel schlechtem Wetter. Kurzum: Meine persönliche Beziehung zu Zelten und Campingplätzen ist gestört. Es war dringend Zeit, daran zu arbeiten.

Pew Pew Pew!

Und da kam Haven Park gerade richtig. Fabien Weibel hat sich, wie ich in meinen News bereits erwähnte, hingesetzt und seine eigene Vision von Natur und Urlaub umgesetzt. Darin geht es um Flint, ein kleines gelbes Küken mit einem Rucksack und einer Menge Sorgen im Gepäck. Von einem Tag auf den anderen muss er sich um den Park seiner Großmutter kümmern, weil sie es altersbedingt nicht mehr kann. Wenn ich mir den Zustand des Parks anschaue, hat ihr Alter ihre Arbeit schon länger beeinträchtigt. Überall sind kaputte Lampen und geborstene Fackeln. Zerbröselte Zäune stellen ein Sicherheitsrisiko dar, die Eckpfeiler der Infrastruktur liegen am Boden und Besucher_innen hat der Park keine mehr. Das sind ganz schön viele Baustellen, die nun auf Flints Schultern lasten. Und er reagiert nicht wie der strahlende Held eines großartigen Rollenspiels, sondern wie du und ich auf eine solche Aufgabe reagieren würden: Wie soll ich das schaffen?

Großmutter beruhigt ihn. Er wisse, was er zu tun habe, er würde sich herantasten. Sie entlässt uns nicht mit guten Ratschlägen, sondern mit ihren warmen Wünschen. Es fühlt sich echt an, als hätte sie uns mit ihren müden Händen über den Kopf gestreichelt. Ich mache mich mit Flint auf den Weg und finde mich schnell zurecht. Dank simpler Steuerung geht Flints Bewegung mir in Fleisch und Blut über, und schon bald hüpfe, renne und sammele ich mich über die Insel. Dabei drücke ich die E-Taste wie eine Irre, denn wenn ich nicht gerade Materialien sammele, erklingt mein Pew Pew Pew durch die lokale Vegetation. Obwohl Flints Bewegungen an manchen Stellen unpräzise sind und ich ab und zu an Kanten abrutsche oder in Felsspalten festhänge, erfreue ich mich an der Erkundung. Ich renne in meinem eigenen Tempo über die Insel, die in verschiedene Vegetationsbereiche eingeteilt ist.

Jede_r im eigenen Tempo

Es gibt keine Marker, keine Ausrufezeichen oder Pfeile, nur ein paar kryptische Quests. Ich hetze mich nicht. Ich packe alles, was ich finde, in Flints kleinen Rucksack und freue mich über die Erfahrungspunkte, die ich dafür bekomme. Die Quests mache ich zu ihrer Zeit, denke ich, jetzt stelle ich erst einmal den Park wieder her. Der erste Erfolg folgt flugs. Kaum steht ein erstes Zelt, bekommt die Sunshine Grove ihren ersten Gast. Die werden von der Ausstattung des Zeltplatzes angelockt und wünschen ihre Bedürfnisse erfüllt. Also baue ich erst ein Zelt, dann eine Bank und einen Grill und schließlich eine Schaukel. Pling! Die Maschinerie läuft an, und schon stehen weitere Bewohner_innen ins Haus. Je mehr Gäste mein Zeltplatz hat, desto mehr Ausstattung braucht er. In jeder Kategorie (Unterkunft, Beschäftigung, Essen etc.) gibt es mehrere Möglichkeiten. Die Materialien dafür liegen überall herum.

Und das liebe Geld klingelt bald gülden in meinen Kassen, denn jede Bratwurst wandert als Plus auf mein Konto. Zusätzlich sind Münzen in der Umgebung verteilt, die ich einsammeln kann. Ich erkunde weiter und finde neue Zeltplätze, baue schicke Attraktionen und freue mich über die eintrudelnde Gesellschaft. Die Besucher_innen stehen nicht im Fokus, sondern beseelen subtil meine liebevoll ausgestatteten Camps. Manche der kleinen Tiere erzählen mir eine Geschichte, andere verwickeln mich in eine Diskussion, wieder andere haben völlig absurde Anliegen. Die Gesprächsschnipsel sind sehr kurz und die Namen bleiben nicht in meinem Gedächtnis, aber sie sind allesamt charmant und witzig. Viele geben mir Tipps, andere geben mir kleine Aufträge. Das kann ein Mysterium sein, das beiläufig angedeutet wird. Oder es ist eine simple Quest wie Glühwürmchen sammeln, die nachts als grüne Lichtpünktchen durch den Park schweben.

Der Funke springt über

Nachts. Nachts verwandelt sich die Umgebung in eine wahre Märchenwelt. Nur noch der schwache Lichtschein meiner kleinen Fackel und vereinzelte Lampen erhellen die Umgebung, deren Hintergrund tags wie nachts in einer eleganten Unschärfe verschwimmt. Kleine Insekten malen zackige Spuren in den Nebel und geheimnisvoll grün leuchtende Glühwürmchen warten darauf von mir gefangen zu werden. All das bei zarten Grillenzirpen, das klischeehaft klingt und doch tiefenentspannend auf mich wirkt. Sowieso ist Haven Park die pure Entspannung. Die Geräuschkulisse ist gerade so unaufdringlich, dass sie stets ein kleines bisschen über der Aufmerksamkeitsschwelle stattfindet. Ich genieße das Plätschern, wenn Flint schwimmt, oder das metallische Knirschen der Windräder. Die Musik, die ab und zu einsetzt, tritt so sparsam auf, dass ich sie bewusst genießen kann.

Es geht hier um den Genuss. Der Tag- und Nachtrhythmus gibt einer tiefen Atmung gleich einen langsamen Puls vor. Flint scheint der einzige zu sein, der kein entspanntes Leben führt, denn er rennt pausenlos umher, um es allen recht zu machen. Und doch kommt keine Hektik auf, die mich stressen könnte. Die Besucher_innen wechseln zwischen Zelt, Schaukel und Imbiss hin und her und freuen sich über ihren relaxten Urlaub. Das ist die Arbeit allemal wert. Großmutter ruht in sich und bildet einen Anker in der Geschichte, der mich subtil durch den Park führt. Denn die Wege sind lang und manche Gebiete schwerer zugänglich als andere. Das führt dazu, dass ihr mein Lieblingsgebiet erst gegen Ende erblicken werdet, aber grämt euch nicht. Auch alles andere gleicht einem Paradies. Nichts stört hier die Ruhe, keine nervigen Anfragen, keine unnötigen Hindernisse.

Der Haven Park als virtuelle Zuflucht

Haven Park versöhnt mich mit der Idee hinter dem Camping. Natürlich weiß ich, dass die Realität niemals ein Riesenrad, einen Foodtruck und einen Megapool an einem prasselnden Lagerfeuer für mich bereithalten wird. Aber ich durfte die Schönheit und die beruhigende Wirkung der Natur erfahren und habe mich besonders nachts nicht sattsehen können an den warmen Schatten. Haven Park ist unaufdringlich, voller Leichtigkeit und Melancholie, die mich direkt in den Bann gezogen hat. Meine Spielzeit von sechs Stunden hat sich angesammelt, fast ohne dass ich es bemerkt habe. Der Vorteil an virtuellem Camping ist, dass ich keinen Sonnenbrand und keine Mückenstiche davon bekomme. Aber vergesst auch nicht, den echten Sommer da draußen zu genießen – ihr müsst ja nicht gleich zelten fahren.

8/10 🏕️✨

Developer: Fabien Weibel
Publisher: mooneye indies
Genre: Life-/Aufbau-Simulation
Veröffentlichung: 5. August 2021 (Steam, GOG, Switch)


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Redakteurin | + posts

Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.

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