Ein kleines Mädchen landet in Lost Ruins in einem dunklen Verlies und muss sich fiesen Monstern und Fallen stellen.
Wenn Menschen eine Aussage über sich mit „eigentlich bin ich” einleiten, ist das meist ein Grund, wegzuhören. Ich bitte euch daher, das hier nicht zu tun. Denn eigentlich bin ich ein sehr geduldiger und ruhiger Mensch. Mich bringt nicht so viel aus der Ruhe, ich verliere selten die Fassung. Aber es gibt ein paar Kleinigkeiten, da könnt ich durchdrehen. Wenn das Internet plötzlich ausfällt zum Beispiel. Wenn ein Programm nicht starten will. Oder wenn in einem Spiel mit Pixeloptik hochauflösende Charakterportraits und vor allem Schriftfonts genutzt werden. Das zieht mich sofort raus, die Immersion ist weg und ich habe keinen Bock mehr, mir auch nur einen Satz dieser Erzählung durchzulesen. Ich kann einfach nicht verstehen, wieso diese Designentscheidung getroffen wird, so inkohärent mit dem eigenen Stil umzugehen. Macht eure Menüs doch gleich noch in Voxelgrafik!
Das dachte ich auch bei Lost Ruins. Aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch.
Emotionen Süßsauer
Nach den ersten gefundenen Notizen, den ersten Dialogen und Tutorials sowie den ersten Kämpfen hatte ich die Schnauze gestrichen voll. Ich sag, wie es ist. Lost Ruins wirft euch als kleines Mädchen in einen düsteren Dungeon, der sich über mehrere Bildschirme erstreckt und den ihr nach und nach erkundet. Ihr findet Waffen und Relikte, die ihr ausrüsten könnt, müsst Fallen ausweichen und Monster erledigen. Dabei bewegt sich eure Spielfigur sehr träge, im Notfall bleibt ihr ein Hechtsprung zum Ausweichen. In jeder Auseinandersetzung muss genau bedacht werden, wie lang euer Angriff dauert und wie sich eure Gegner nähern, um sie zu erwischen, bevor sie euch kriegen. Das führt bei neuen Widersachern sehr schnell zu vielen Toden. Ganz zu Beginn bin ich sogar an einer Falle gestorben, am Checkpoint gestartet und hatte plötzlich keine Waffe mehr, was ein Weiterkommen unmöglich machte und einen Neustart verlangte. Dazu kam das angesprochene Problem der Designentscheidung.
Wirklich, ich habe mich verflucht für die Entscheidung, Lost Ruins zu spielen. Aber zum Glück legte sich das recht schnell. Abgesehen von der Erzählung, wieso ich hier in diesen Lost Ruins umherirre und von einer Zauberin gesagt bekomme, dass ich eine dunkle Herrin und ihre Gefolgschaft aus übersexualisierten Animegirls besiegen muss, hatte ich bald großen Spaß. Ich habe die Geschichte ignoriert, mich an dem tollen Pixeldesign erfreut und nach und nach besser in die Spielmechaniken eingefunden. Der Frust über häufiges Ableben wich einer immer größer werdenden Motivation, es den Zombies und Goblins zu zeigen. Angriffsmuster zu durchschauen und plötzlich ohne merkbaren Widerstand gegen Monster zu gewinnen, fühlte sich gut an. Unkonzentrierte Momente durfte ich mir nicht erlauben, weil das sofort in einer Niederlage endete. Aber ich wollte mich nicht unterkriegen lassen. Lost Ruins ist trotz des putzigen Aussehens bockschwer und hat mich einfach überrumpelt. Das passiert mir nicht noch einmal!
Vorbereitung ist der halbe Sieg
Der große Groschen fiel im ersten Bosskampf. In einem Becken voll mit Wasser attackierte mich ein kleines Mädchen, das ihre Fäuste gigantisch grün werden lassen konnte. Egal, was ich tat, ich konnte sie nicht verletzen, ohne selbst eine Faust abzukriegen. Magie, die ich fand, hat sich immer auf das Wasser ausgewirkt. Blitze setzten das gesamte Becken mit mir darin unter Strom, Gift verseuchte alles um mich herum und schadete mir genauso sehr wie dem Boss und gegen Feuer war sie nahezu immun. Ich kam nicht weiter, bis ich mich mit den gefundenen Items auseinandersetzte. Irgendwo in der Ruine hatte ich nämlich einen Gegenstand gefunden, der mich vor giftigem Wasser schützt und mich sogar langsam heilt, wenn meine Spielfigur nass ist. Plötzlich war das fiese Mädel kein Problem mehr und selbst die plötzlich auftauchende zweite Phase, in der sie eine riesige Schleimfrau mit zu großen Brüsten wurde, war ein Klacks.
Ich kann nicht oft genug betonen, wie sehr die Optik des Spiels einen falschen Eindruck zum ausgetüftelten Gameplay vermittelt. In den Lost Ruins finden sich enorm viele Items, die das Spielerlebnis grundlegend verändern. Immer wieder stoße ich auf Automaten, an denen ich mir neue Waffen und Rüstungen ziehen kann. Abhängig von der Situation kann mir alles irgendwie helfen. Je nachdem, welcher Spielstil euch am besten liegt, gibt es eine passende Ausrüstung. Wenn plötzlich kleine Schneemänner auftauchen, die wie Sub-Zero aus Mortal Kombat verkleidet sind, wechselt ihr im Menü spontan zu Feuerzaubern und Resistenzen gegen Eis. Ich war erstaunt, was für eine taktische Vielfalt die Lost Ruins auffahren konnten. Das Ausprobieren und Entdecken ständig neuer Möglichkeiten mit einer Umgebung, die immer wieder zu Interaktionen einlädt, ist großartig. Fiesen Kämpfen aus dem Weg zu gehen, indem mit einem Kronleuchter alles in Brand gesteckt oder Wasser unter Strom gesetzt wird, ist eine Wohltat.
Lost in den Lost Ruins
Schwierig wird es nur, wenn ich für weitere Geheimnisse und Ausrüstungsgegenstände in alte Gebiete reisen will. Lost Ruins stellt zwar eine Karte zur Verfügung, die zeigt jedoch nur die Anordnung der Räume. Hilfreicher wäre es, wenn auch noch angedeutet werden würde, um welche Räume es sich hier handelt. So stieß ich recht früh auf eine verschlossene Tür, deren Schalter ich weit über mir sah, aber nicht erreichen konnte. Im späteren Spielverlauf hatte ich die passende Ausrüstung zum Erreichen des Schalters, aber keine Ahnung, wo die Tür war. Zwar gibt es überall Teleporter, die mich von einem Ort ans andere Ende der Lost Ruins teleportieren können, nur hilft das wenig, wenn ich mir kein Bild davon machen kann, wo ich am besten landen sollte. Es wäre eine große Hilfe, entweder Umrisse in die Karten einzufügen oder mich zumindest Markierungen setzen zu lassen. Das Besuchen alter Gebiete ist nämlich nie völlig ungefährlich.
Hier und da gibt es Tagebücher oder Zettel, die Vorbereitung und Orientierung erleichtern, aber dank des hochauflösenden Textfonts habe ich die halt nicht gelesen. Da probiere ich lieber selbst wild herum und irre wie blöd durch ewig lange Gänge voller Schleimmonster, kotzender Animezombies oder explodierender Blutegel. Lost Ruins muss klicken und es gibt sich große Mühe, dass das wahrscheinlich bei vielen Menschen nicht auf Anhieb klappt. Aber sobald ihr das erste Mal mit einem Teddy im richtigen Moment wuchtig eine Fackel von der Wand haut, um mehrere Gegner zeitgleich in Brand zu stecken, die daraufhin in feurigem Blut zerplatzen, kurz bevor sie euch erwischen, dürftet ihr verstehen, was ich an den Lost Ruins mag. Und vielleicht wagt ihr euch dann auch in die finsteren Gänge. Es lohnt sich, vor allem, wenn ihr später neue Mädels freischaltet, die mit neuen Fähigkeiten und Zaubern das Erlebnis nochmal gänzlich auf den Kopf stellen!
8/10 🪓👧
Developer: ALTARI GAMES
Publisher: DANGEN Entertainment
Genre: 2D-Action-Platformer
Veröffentlichung: 13. Mai 2021 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.