The Fabled Woods Review | Wanderlust vs. Erzählungsfrust

Irgendwo zwischen Waldspaziergang, Perspektivwechsel und surrealer Welt will The Fabled Woods eine mysteriöse Kurzgeschichte erzählen.

Der Boden knarzt unter meinen Füßen, das Knacken eines Asts dringt ins Ohr. Ich drehe mich vorsichtig um und schaue in Richtung Lichtung. Nichts, nur das harmonische Tanzen der Baumkronen im Wind. Vogelgezwitscher durchkreuzt die sonst so atemberaubende Stille. Mit jedem Schritt wird der Lauf des nahegelegenen Baches deutlich hörbarer. Doch so vertraut die Umgebung auch wirken mag, so faszinierend das Licht- und Schattenspiel der wenigen bis zum Boden reichenden Sonnenstrahlen auch ist, bei all der Ruhe inmitten der Waldeinsamkeit. Ein leichtes Unbehagen begleitet jeden einzelnen getätigten Schritt. Ist es die sanft einsetzende dramatisierende Musik oder doch die Stimme von Henry, die mir sagt, ich solle dieses Mal wirklich aufpassen. Dieses Aufpassen. Was will er mir sagen? Ich solle gut aufpassen, um die Antworten auf all meine Fragen hier im Wald finden zu können. Wenn ich jemals aufmerksam war, dann vor allem alleine im Wald.

Die Antworten auf alle Fragen findest du in The Fabled Woods

Wenn ich jemals etwas in den Wald mitgenommen habe, dann waren es tatsächlich all meine Fragen. Inklusive der nach dem abendlichen Menü. Ich bezweifle jedoch schon jetzt, dass mir letztere in The Fabled Woods beantwortet wird. Dafür hoffe ich auf eine mysteriöse Geschichte um Henry, die das Mystery-Narrative in Form einer Kurzgeschichte mit jedem meiner Schritte und Erkundungshandlungen vor mir ausbreiten will. In der malerischen Schönheit des Waldes sollen grausige Geheimnisse versteckt sein. Sieht also aus wie ein gemütlicher Sonntagsspaziergang, ist es aber nicht. Nach einer Weile auf dem abgeschiedenen Pfad treffe ich auf ein verlassenes Camp. Ein Rucksack liegt unbeachtet auf einer Bank. Mit dem Ausklingen von Henrys Stimme eröffnet mir The Fabled Woods seine zweite Ebene. Eine, in der ich ehemalige Erinnerungen aktivieren kann. Der so zauberhafte Wald weicht einem von rot/schwarzen Tönen dominiertes Abbild, das mich zumeist über Blutflecken zu einem wichtigen Detail der Geschichte führt.

Zumindest theoretisch. Denn das Finden des Ortes ist manches Mal etwas mühsam. Diese Ambivalenz beschert zunehmend Sicherheit in der realen Welt, während diese surreale Zusammensetzung aus unendlicher Treppe und Satanspforte von vergangenen Ereignissen berichtet. Beschäftigt mich jedoch in meiner Empfindung weniger, als im ersten Moment gedacht. Zielgerichtet stapfe ich durch diese Szenen und lausche den Geschehnissen bis ich nach einer hellen Blende wieder im Wald stehe. Weiter mit der Waldwanderung. Zu meiner Überraschung wird Henry mich in seiner Erzählung schon bald verlassen, denn es sind drei Geschichten, die hier ineinander verwoben sind. Jedoch hatte ich nicht mit der Art gerechnet, wie sich diese Erzählstränge präsentieren. The Fabled Woods wechselt die Erzähler_innen innerhalb seiner Kurzgeschichte. Fing ich gerade noch an mich mit Henry langsam anzufreunden, um seine Erzählung einzusortieren und in einen eventuell höheren Kontext hinein zu spekulieren, erzählt mir jetzt eine völlig neue Person von weiteren Ereignissen.

Wann genau sollte ich noch mal aufpassen?

Und genau hier besteht vermutlich das größte Problem von CyberPunch Studios mysteriöser Erzählung. Für die Zeit, die sie innerhalb der Geschichte zur Verfügung haben, verteilen sie diese auf zu vielen Schultern. Eine sich eventuell aufbauende Empathie oder Abneigung gegenüber des Erzählenden, eventuelles nachvollziehen können, geschweige denn eine emotionale Bindung sind innerhalb einer Kurzgeschichte so nicht möglich. Dafür bräuchte sie eine stetige Perspektive, eine Begleitung durch das Gesamtgefüge. Bevor ich Henry aber überhaupt irgendwo einsortiert habe, ist er schon wieder verschwunden. Ein Bruch, der mich teilnahmslos im aufgeweichten Moosboden des Waldes hinterlässt. Zurück bleibt ein wundervoller Waldspaziergang, ein paar surreale Ereignisse und das beklemmende Gefühl, irgendwo doch nicht Aufmerksam genug gewesen zu sein. Aber da war nichts, woran ich mich hätte krampfhaft klammern können. Wie die Stauschau im Autoradio zieht das Erlebte an mir vorbei. Ich versuche irgendetwas mitzunehmen, finde aber doch keine Verbindung.

Ich habe es wirklich versucht. Wie von Henry zu Anfang von The Fabled Woods verlangt, habe ich ihm meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit geschenkt. Ich habe jeden Winkel Wald, jede Ecke Szenerie akribisch abgesucht. Jeden auffindbaren Fetzen in meiner Hand rotieren lassen. Ich habe gelesen, was es zu lesen gab. Genau genommen war meine Herangehensweise nie anders. In Sachen virtueller Weltauskostung bin ich ein Müllschlucker. Gerade in narrativen Werken stopfe ich jede Information, die ich finden kann, in mich hinein und trotzdem wollte sich keine Verbindung zwischen mir und dem Erlebten einstellen. Dabei bin ich eigentlich ein sehr emotionaler Mensch. Erzählungen um Tod und Verlust setzen mir super leicht zu, lassen mich nachfühlen. Wenn mich aber die kurze Zeile des Gedenkens am Ende des Spiels emotional mehr mitnimmt, als die gesamte Erzählung, dann scheint an irgendeiner Stelle etwas Wichtiges von der Stille des Waldes verschluckt worden zu sein.

Walking Simulator? Wieso nicht Waldspaziergang Simulator?

Offenbar liegt der ganze Fokus von The Fabled Woods und auch der der PR-Kampagne auf dem Wald selber. Seiner von Grund auf neu aufgebauten Erscheinung. Auf der Zusammenarbeit des Developers Joe Bauer mit dem Pumpkin Jack Mastermind Nicolas Meysonnier. Im späteren Verlauf gab es eigene Vergleichstrailer wie CyberPunch Studios Wald mit den Schatten-, Licht- und Reflexionseffekten des Ray Tracings aussehen würden. Beeindruckend, ohne Zweifel! Wenn es demnächst in Strömen regnet oder ich gerade nicht in den unendlichen Weiten der schwedischen Wälder verweile, werde ich mit Sicherheit auf The Fabled Woods zurückkommen. Etwas Vergleichbares mit einer derart liebevoll geschaffenen, lebhaften Atmosphäre gibt es einfach nicht. Der virtuelle Waldspaziergang ist eine wahre Wohlfühloase.

Mit dem expliziten Gedenken am Ende des Spiels ist für die Menschen des Studios mit der Erschaffung des Waldes und der Geschichte vermutlich auch eine Art Verarbeitung mit eingeflossen. Ich kann leider über die Länge der Kurzgeschichte weder Schmerz, Verlust oder Angst, noch Trauer und Vergebung spüren. Vielleicht ist dazu ein zweiter Anlauf nötig, der Henrys zu Anfang getätigte Aussage: „Oh, du bist es!“ mit reichlich Sinn füllen würde. Mein erreichtes Ende besitzt sogar eine sehr schöne Aussage und suggeriert eine sehr reale Verbindung. Ich hätte sie gerne einfach erlebt. Gerade auch beim ersten Mal. Infos sind Allgemein zu diesem Projekt rar gesät. Wohl auch, um möglichst wenig Informationen zur Story und deren Zusammenhänge zu teilen. Das ist verständlich. So bleibt das Gefühl einen netten Waldspaziergang unternommen zu haben. Nur wurde im Eifer seines Schaffensprozess vergessen, dass ja eigentlich eine aufwühlende, mysteriöse Geschichte erzählt werden wollte.

6/10 🏞️

Developer: CyberPunch Studios
Publisher: Headup Games
Genre: Narrative, Walking Simulator
Team: Joe Bauer (Developer), Nick Jones (Writer), Nicolas Meysonnier (Level Design),
Musik: Luigi-Maria Rapisarda
Veröffentlichung: 25. März 2021 (Steam)

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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