In der Raumfahrtsimulation Mars Horizon machen wir unsere eigene Agentur zum Vorreiter der Menschheit im Weltall.
Die meisten Leser_innen unter euch hatten zwar wahrscheinlich eher den Berufswunsch Astronaut_in, aber „Direktor_in einer Raumfahrtagentur“ klingt erst mal auch nicht schlecht, oder? Jemand muss ja die Fäden im Hintergrund ziehen, während die tapferen Raumfahrer_innen den ganzen Ruhm einheimsen. Alle kennt ihr den Ausspruch Neil Armstrongs, der als erster Mensch den Erdtrabanten betreten hat. Doch wenige Leute wissen, wie diese und weitere Errungenschaften der Raumfahrt zustande gekommen sind. Dank Mars Horizon von Publisher The Irregular Company und Developer Auroch Digital aus Bristol, Großbritannien bin ich nun über die Abläufe der Raumfahrt im Bilde und darf euch auf die Reise mitnehmen.
Bescheidene Anfänge und große Ambitionen
Zu Beginn eurer Karriere wählen wir eine der großen Agenturen aus: NASA, ESA, Japan, UDSSR/Russland und China stehen zur Auswahl. Jede hat eigene Vorteile, die einen anderen Spielstil ermöglichen. So profitiert die ESA, welche ich für meinen Spieldurchgang gewählt habe, von gemeinschaftlichen Missionen, was den gemeinschaftlichen Charakter des europäischen Raumfahrtprogramms wiederspiegelt. Alternativ können wir auch eine eigene Fantasieagentur erstellen. Mit eigenem Namen, Logo und einer freien Auswahl an Bonuseffekten schreiben wir so die Geschichte der Raumfahrt neu. Ich muss zugeben, ich war sehr nah dran eine WTLW Space Agency ins Rennen zu schicken, letztlich wollte ich aber mit den echten Agenturen ein halbwegs historisches Szenario spielen. Also gleich mal die erste Testrakete von der kleinsten Startrampe abgefeuert und die ersten Forschungsdaten und Unterstützung abgesahnt. Beide Ressourcen werden wir noch bitter benötigen, genauso wie ein ausreichendes Budget.
Startpunkt sind die 1950er Jahre und natürlich müssen wir uns anfangs auf rudimentäre Missionen konzentrieren. Ein Tier in den Orbit zu befördern reicht da schon aus, um die Leute zu begeistern und den Geldhahn der Regierung weiter zu öffnen. Konkurrenz von den anderen Agenturen bleibt nicht aus und wir erhalten nur die maximalen Belohnungen, wenn wir als erstes Land einen Meilenstein erreichen. So ergibt sich das gesamte Spiel über ein spannendes Wettrennen, das eine Prise Spannung in den Planungsprozess bringt und uns zwingt Risiken einzugehen, wie eine billigere Rakete zu konstruieren oder den Start vorzuziehen. Wollen wir trotz schüttendem Regen die Startsequenz durchziehen, um den Chinesen zuvorzukommen oder ist uns die Sicherheit der Astronaut_innen wichtiger?
Der Adler ist gelandet
Natürlich sind die menschlichen Mitarbeiter_innen das Herz unserer Organisation. Starke Booster und verlässliche Nutzlastträger sind wichtig, doch tolle Astronaut_innen können uns mit Spezialfähigkeiten den Tag retten. Hier hätte ich mir jedoch mehr Tiefgang gewünscht. Wo uns Mars Horizon einen ausgeklügelten Forschungsbaum für Missionen, Gebäude und Raketenteile bietet, fehlt ein Training der Raumfahrer_innen gänzlich. Schade, denn ein Fähigkeitsbaum und eine intensive Trainingsmechanik hätten mir sehr geholfen die Menschen im Spaceshuttle ins Herz zu schließen. Spätestens wenn wir uns anspruchsvollen Aufgaben wie der Mondlandung widmen, ist eine Besatzung natürlich unverzichtbar für unsere Flugkörper.
Gleichzeitig muss die Basis der Agentur mitwachsen, denn die technischen Anforderungen steigen. Bei immer größeren Raketen und Anbauten muss natürlich auch das Geld stimmen. Einmal im Jahr wird unser Budget geprüft. Falls wir ausreichend Erfolge zu verbuchen haben, steht einer Finanzspritze nichts im Weg. Bald richten wir unseren Blick Richtung innerer Planeten. Kleine Forschungssatelliten werden in Umlaufbahn von Venus und Mars geschickt, um bahnbrechende Fotos von den fremden Himmelskörpern zu schießen. Wenn wir diesen Weg weiterverfolgen, werden wir am Ende hoffentlich die erste Nation auf dem roten Planeten sein. Doch selbst wenn das Wettrennen zum Mars eröffnet ist, benötigt es eines langen Atems. Selbstredend geht es hier nicht um Terraforming oder sonstigen Science-Fiction Kram, aber selbst die erfolgreiche Besichtigung des Mars bedarf eines ungeheuren Kraftakts.
Die Missionsausführung in Mars Horizon
Der schwächste Punkt der Raumfahrtsimulation Mars Horizon ist tatsächlich die Missionsausführung selbst. Sobald der Start erfolgreich ausgeführt wurde, der von mehreren Faktoren wie Wetter, Konstruktion der Rakete und purem Glück abhängt, verlassen wir die Atmosphäre. Hier müssen wir bestimmte Ziele durch kleine Puzzles erreichen, bei denen wir Ressourcen generieren. Um die nächste Phase zu erreichen oder die Mission abzuschließen, müssen wir eine bestimmte Menge von Daten, Kommunikation oder Navigation produzieren. Dies artet aber in einem repetitiven Herumgeklicke aus. Drücke ich auf diesen Reiter verliere ich einen Elektrizitätspunkt. Klicke ich hier, wandle ich einen Datenpunkt in zwei Navigationspunkte um. In manchen Szenarien müssen gleichzeitig andere Faktoren wie Schubkorrektion oder Hitzeentwicklung berücksichtigt werden, was dem Prinzip aber auch nicht viel mehr Abwechslung einbringt. Bei der dreißigsten Raummission freue ich mich zwar über den nächsten erreichten Meilenstein, fürchte aber das zähe Missionsdesign.
Wenigstens kann ich zur Abwechslung in der Spacepedia schmökern, die mir die Geschichte der realen Raumfahrt näherbringt. Auch einige zufällig generierte Storyfetzen, die uns eine Entscheidung abverlangen, lockern den Trott auf. Gibt es ein spektakuläres Schauspiel am Himmel zu beobachten, steigt der Hype um die Raumfahrt. Sollten wir uns allerdings weigern, die Spezifikationen eines von der Presse als suspekt eingestuften Satelliten zu veröffentlichen, so gibt das einen Shitstorm. Viel ist das nicht, die Narrative verlässt sich immer noch gänzlich auf die Spannung, die unweigerlich im Wettrennen zu den Sternen aufkommt und in unseren Köpfen eine eigene Story strickt.
Ein steiniger Weg in die Zukunft
Einerseits bin ich von Anfang an in der Gameplayroutine aus Planung und Mikromanagement hängen geblieben, die genau tief genug ist, um mich ohne Durststrecken von einer Mission zur nächsten zu schicken. Andererseits kann die Exekution mit ihrer uninspirierten und abstrakten Ressourcenschieberei nicht punkten und reißt mich immer wieder heraus. Ich bin weiterhin angefixt und sehe mich schon durch den Marsstaub stapfen, aber manchmal muss ich mich so richtig durch die Einsätze durchkämpfen. Chancen wie das detaillierte Training der eigenen Astronauten oder weitere Storyelemente blieben ungenutzt, wobei letzteres bei einer Raumfahrtsimulation wahrscheinlich Geschmackssache ist, mich aber über die dünnen Momente hinweggetröstet hätte, die ich im Orbit mit ödem Austarieren der Werte verbracht habe.
Unter dem Strich bin ich in meiner Meinung über Mars Horizon gespalten. Einige Facetten faszinieren mich, die Langzeitmotivation macht sich die Alternate-History-Simulation aber selbst kaputt. Das Spiel will mehr sein als eine trockene Simulation, legt sich dabei aber selbst ein Ei, indem es die Action des Agierens im All in einen irrelevanten Puzzlemarathon verwandelt, dem ich lieber entkommen möchte. Die Entwickler_innen von Auroch Digital fangen die Faszination der Raumfahrt also nicht restlos ein, machen aber genug richtig, um mich wenigstens bis zur nächsten prestigeträchtigen Aktion zu tragen. Wenn Elon Musk also in ein paar Jahren die WTLW-Flagge im Marssturm rütteln sieht, wisst ihr jetzt, wer die gepflanzt hat.
7/10 🪐
Publisher: The Irregular Company
Developer: Auroch Digital
Genre: Raumfahrtsimulation
Auszeichnungen: UK Game of the Show 2020
Veröffentlichung: 17. November 2020 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Der Historiker von WTLW. Spielt alles vom Walking Simulator bis zum Point-and-Click Adventure, am Liebsten aber RPGs mit guter Narrative und Strategie.