Clea Review | Ein Chaosbraten kommt selten allein

Das kleine Mädchen Clea schleicht sich an fiesen Gestalten vorbei, um ihre Mutter im eigenen Haus zu finden.

Wenn oft zurecht angemerkt wird, dass hauptsächlich männlich gelesene Charaktere die Hauptrolle in Spielen und Filmen bekommen, ist das im Horrorgenre häufig anders. Hier sind es regelmäßig Frauen und Kinder, die sich den Gefahren gegenüberstehen sehen. Zu Beginn lag die Motivation sicher darin, dass hier ein einfaches Opfer gefunden werden konnte. Frauen und Kinder schreien viel, lassen sich gut von Monstern und Killern jagen. Doch mit der Zeit wurden diese alten Rollen aufgebrochen. Viele Medienwissenschaftler_innen wiesen darauf hin, dass diese einst so schwach dargestellten Charaktere sich emanzipierten und viel mehr als eine einfache Opferrolle einnahmen. Sie stellen sich gegen das Übel und kämpfen um ihr Überleben oder um das der anderen Personen. Clea geht als kleines Mädchen den gleichen Weg und ist gegen ein übermächtiges Geschehen auf sich allein gestellt, um ihre Familie zu retten.

Wo sind denn alle?

Bereits zu Beginn ist das kleine Mädchen mit ihrem Bruder und einer Haushälterin alleine. Von den Eltern ist keine Spur und wir werden davor gewarnt, dass sogenannte Chaoswächter durch das Haus schleichen. Natürlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Haushälterin uns verlässt und plötzlich Clea und ihr Bruder alleine durch das Haus schleichen, um einerseits die anderen Menschen zu finden und andererseits in Sicherheit zu kommen. Was sich hinter diesen kuttentragenden Chaoswächtern mit ihren blutigen, bleichen Gesichtern verbirgt, wissen wir nicht. Suchen wir das Gebäude nicht gründlich ab, um diverse Tagebücher und geheime Erinnerungen zu finden, wird dieses Rätsel auch bis zum Ende nicht aufgedeckt. Doch es ist genau diese Ungewissheit, die uns besonders erschauern lässt, wenn wir das bedrohliche Stöhnen und die schweren Schritte auf dem Gang vernehmen. Sehen wir die Quelle dieser Geräusche, bleibt uns nur die Flucht. Eine direkte Auseinandersetzung überstehen wir nicht.

Im zweidimensional aufgebauten Gebäude können wir uns einzig nach links und rechts bewegen, durch Türen in neue Flure gelangen oder uns in Schränken vor unseren Feinden verstecken. Bewegen wir uns zu laut oder lösen ein Geräusch aus, kommen die Ungetüme sofort angerannt. Vorsicht ist geboten. Wir können sicherheitshalber durch Schlüssellöcher auf die andere Seite einer Tür linsen oder ein Stück weit den Gang hinabblicken, um nicht überrascht zu werden. Doch haben die Chaoswächter einmal unsere Spur aufgenommen, bleibt nicht viel Zeit, da sie wesentlich schneller sind als Clea mit ihren deutlich kürzeren Beinen. Vereinzelt finden wir blaue Kerzen in den Fluren, die einmal eingesetzt werden können, um unsere Feinde von uns wegzuscheuchen. Doch auch diese Lichter sind begrenzt, weswegen jeder Einsatz gut überlegt sein will. Und trotzdem wird es oft genug passieren, dass wir mal nicht aufpassen und vor einem der Widersacher stehen, der uns zum letzten Speicherpunkt zurückschickt.

Okay, den gleichen Flur nochmal!

Zu Beginn funktioniert diese Prämisse noch sehr gut. Wir sind angespannt, gehen sorgsam mit unseren Ressourcen um und beobachten aufmerksam unsere Umgebung. Doch irgendwann nehmen die Gegner überhand. Die ständig aufkommende Schaltersuche und Schlüsseljagd für die einzelnen Spielabschnitte kommt uns immer wieder bekannt vor. Je häufiger die Chaoswächter Clea erwischen, desto mechanischer werden unsere Abläufe und der Grusel verpufft. Die atmosphärische Beleuchtung mit stimmungsvoller Musik rückt in den Hintergrund und wir sind irgendwann genervt von den staksigen Animationen dieser äußerst klischeehaft wirkenden Anime-Figürchen. Was sich vorher gut in die Gesamtstimmung einbringen konnte, sticht mit dem Verpuffen eben jener umso störender ins Auge. Hinter der gelungenen Hülle kommt plötzlich ein sehr arcadiges Spiel zum Vorschein, dass seinen Fokus eher auf klobig wirkende Stealth-Mechaniken legt, mit denen wir Medaillen bei einem besonders erfolgreichen Durchlauf eines Levels freischalten können.

Entwickler_in InvertMouse macht aus diesem Grundgerüst auch keinen Hehl. Clea lässt sich in unter zwei Stunden durchspielen, wodurch diverse weitere Modi und Schwierigkeitsgrade freigeschaltet werden. Nun können wir erneut versuchen, das Spiel schneller zu besiegen, einen höheren Schwierigkeitsgrad ausprobieren, alle Geheimnisse finden oder die unterschiedlichen Kleider für weitere Durchgänge entsperren. Das an sich finde ich gar nicht unbedingt schlimm. Ein arcadiges Spiel, das dazu anregt, Abläufe zu optimieren und immer besser zu werden, um weitere Herausforderungen freizuschalten, darf gerne in einem schaurigen Setting angesetzt sein. Nur habe ich mich bei dieser Entdeckung irgendwie veräppelt gefühlt. Gerade zu Beginn wird so viel Wert daraufgelegt, eine stimmige Atmosphäre aufzubauen sowie eine Beziehung zur kleinen Clea zu bilden, dass ich gerne auch bis zum Schluss diesen Fokus gehabt hätte. Stattdessen landet der spielerische Schwerpunkt plötzlich bei klobigen Gameplaymechaniken, die nicht zum arcadigen Aufbau passen wollen.

Clea, was willst du von mir?

Mein größtes Problem ist glaube ich, dass ich mit völlig falschen Erwartungen an Clea gegangen bin. Ich habe ein Spiel erwartet, das atmosphärisch und spielmechanisch mit Titeln wie Detention, Lone Survivor und The Coma zu vergleichen ist. Danach sieht es auf den ersten Blick auch aus. Doch die in diesen Spielen vorhandene dichte Stimmung wird in Clea niemals erreicht. Der Geschichte fehlt es an Tiefe, die Abläufe greifen nicht so fließend ineinander. Dementsprechend enttäuscht war ich dann auch. Ein Umschwenken meiner Erwartungen funktionierte auch nicht einwandfrei, da teils unfaire, sich ständig wiederholende Szenarien mir jegliche Motivation nahmen, auf Medaillenjagd zu gehen und unterschiedliche Kleider für unsere Heldin freizuschalten. So haben mich die diversen Enden und Ergebnistabellen am Ende des Spiels, genau wie die gesamte Spielerfahrung, einfach kalt gelassen. Schade.

5/10 🕯️

Developer: InvertMouse
Publisher: InvertMouse, Sekai Project
Genre: Horror Adventure
Einzelentwickler: InvertMouse
Musik: Dale North (Composer)
Veröffentlichung: 6. Juli 2019 (PC), 23. Oktober 2020 (Xbox One), 30. Oktober 2020 (Switch)

Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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