Bartlow’s Dread Machine Review | Blechdosen-Pac-Man

Wie Arcade-Automaten wohl Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesehen hätten? Bartlow’s Dread Machine verrät es dir.

Ach hypothetische Frage, wie lieben wir dich. Wie hätte wohl ein Videospiel vor über 110 Jahren ausgesehen? Die einfache Antwort darauf: „Wir wissen es nicht.“ Aber viel schöner ist es doch, sich das einfach mal durch den Kopf gehen und die ganzen Impressionen von Kirmesbesuchen sacken zu lassen. Etwas in den Archiven der Jahrmarktattraktionen zu wühlen, sich Schießbuden, das Puppenspiel und alte Maschinenmechaniken herauszupicken, um am Ende mit einer alternativen Geschichtsschreibung daherzukommen. Und so begab es sich im Jahre 1907, dass ein gewisser Mr. Bartlow einen mechanischen Arcade-Shooter erschuf, in dem feinste Zinnmännchen auf eigens gespurten Bahnen ihre vorgegebenen Wege zogen, um von den Spielenden per Schusswaffe attackiert zu werden. Beulen sind des Zinnsoldatens ärgste Sorge. Und diese, sich aufwendig aufklappende fiktive Welt, steht nun als Inspiration für die Videospielversion des mechanischen Arcadeautomaten, den es so nie gegeben hat. Ja, es ist kompliziert.

Bartlow’s Dread Machine und die Anarcho-Satanisten

Und wer kennt es nicht. Da willste eigentlich nur deine prächtig geschmiedeten Kleider zur örtlichen New Yorker Parade ausführen und zur Schau tragen, da kommt plötzlich einer dieser berüchtigten Anarcho-Satanisten daher, infiltriert kurzerhand die Feierlichkeiten und entführt das Staatsoberhaupt in Form des 26. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Teddy Roosevelt. Gerade jetzt, wo du einmal deine Freizeit genießen wolltest. Aber Agentin bleibste eben auch in der Freizeit. Da nützt es nix, da musste ran an den Käse und die Verfolgung aufnehmen. Auch wenn das heißt mit 20 km/h so schnell und riskant wie noch nie in diesen futuristischen Motorwagen fahrend dein Leben zu riskieren. Bloß nicht die Fährte verlieren. Dran bleiben! Es heißt dranbleiben! Alles aus dem Weg räumen was da so kommen mag und den Präsidenten aus den Fängen dieser Anarcho-Satanisten retten.

Bartlow’s Dread Machine ist ein wundervolles Gedankenkonstrukt. In seiner mechanischen Konsequenz absolut einzigartig. Vor jedem Level klappt sich die Jahrmarktattraktion komplett aus und offenbart seine auf Schienen geleiteten Protagonist_innen innerhalb der Zinnpuppenspielerwelt. Auf vorgefertigten Wegenetzwerken bahnen sich die Agent_innen des Geheimdienstes ihren Weg in Richtung Rettung des Präsidenten. Beep Games Twin Stick Shooter schafft innerhalb seiner 2.5D Welt raumübergreifende Bewegung, die jedoch immer wieder von den maschinengegebenen Mechaniken und Bahnen eingeschränkt wird. Wie schon Pac-Man sich damals auf der Jagd nach Punkten und Geistern durch ein vorgegebenes Streckennetzwerk innerhalb des Labyrinths knabbern musste, so wandern die Agent_innen auf vorgefertigten Wegen von Stäben geführt. In dieser eingeschränkten Art werden die Schergen der Anarcho-Satanisten mit einem Arsenal an Waffen zuerst aus der Angel und dann in ihre Zinneinzelteile zerlegt.

Machine Activating. One Moment Please.

Und so sehr ich dieses formidable Design mit seiner liebevoll gestalteten Automatenlandschaft auch feiere. Mein Herz zu den klassischen Klängen des metallischen Arrangements des Steve Kirk beinahe selber als Schlegel gegen den Korpus klopft. So betrübt bin ich zeitweise aufgrund der wenig ausbalancierten Auslegung der Schwierigkeitsgrade. Nachdem die Maschine zeitgemäß einige Zeit – also eher eine ziemlich lange Zeit – zum Anlaufen braucht, erledige ich Level 1-1 zwar schon mit einigen Toden, aber dennoch recht selbstbestimmt. Gut, hier hatten die verfluchten Exagenten, in klassischer Zombiemanier angreifend, auch noch keine Waffen. Schon in Welt 1-2 – von insgesamt sechs verschiedenen Szenerien mit jeweils vier Abschnitten – erliege ich im Minutenturnus immer wieder an der selben Stelle meinen Beulen im Blechkleid. Zu ungenau die Zielfunktion, die dringend ein Fadenkreuz gebraucht hätte, zu wenig ausgeklügelt die Bewegungen durch das Wegenetz. Schon das konnte der gelbe Held mit dem Pizzastückausschnitt wesentlich besser… vor inzwischen 40 Jahren.

Es nützt alles nichts, fehlende Präzision erzeugt Ungenauigkeit. Ein Umstand, der in einem Twin Stick Shooter wie Bartlow’s Dread Machine zu enormen Frust führt. Ich beschließe nun auf der leichtesten Schwierigkeitsstufe erneut anzufangen. Weniger Schaden, mehr Wirkung. Genau das richtige, um die Taktik in New York liegen zu lassen und auf der hektischen Verfolgung der Roosevelt-Entführer nicht den Anschluss zu verlieren. So feuere ich mich ungelenk aber stetig durch die ersten beiden Welten, bis… ein Endgegner genau das fordert, was Beep Games in ihrem so charmanten Blechdosen-Pac-Man mit Schießwut nicht liefern können, Präzision. Eine ungestüme Riesenraupe braust in regelmäßigen Abständen auf einer der Schienen des Netzwerkes mir entgegen. Nur schnelles ausweichen, kombiniert mit einer ausgeklügelten Wegnutzungstechnik bringt mich hier weiter. Doch meine Protagonistin fährt an Abzweigungen vorbei oder biegt willkürlich irgendwo ein, als hätte es Pac-Man nie gegeben. Wie soll ich hier jemals exakt im richtigen Moment ausweichen?

Eher grobmotorisch als feinmechanisch

Dabei besitzt Bartlow’s Dread Machine eigentlich alles, was ich an solchen Run & Gun Eskapaden und Twin Stick Shooter Scharmützeln so schätze. Eine völlig abgedrehte Story, massig Kreativität innerhalb des Leveldesigns, ein vorzügliches Artdesign und Klänge, die meine Ohren zum Schlackern bringen. Selbst die Vielfalt der Gegner, die mal wie Schießbudenziele in den Häusern der hinteren Kulisse lungern oder mir immerzu ungestüm in den Weg fallen, erscheinen ausreichend abwechslungsreich. Endbosse passen zum abgedrehten Tenor der Story. Da beiß ich mich auch gerne durch knackigere Anforderungen. Doch muss ich dann auch genau auf eines Vertrauen können. Das Gefühl der vollen Kontrolle. Zu jeder Zeit zu wissen, was ich in jeder Millisekunde zu tun habe, ohne das mein Bildschirmavatar etwas anderes im Sinn hat. Dieses Gefühl kann mir Bartlow’s Dread Machine leider absolut nicht geben.

Weder in der Aktion mit der Waffe, in der das Einschätzen der Zielrichtung zur Lotterie mutiert, noch beim durchflitzen der einzelnen Welten, bei denen ich mich eher wie meine alte Modellbahn an sich teilenden Strecken aufhänge, ins Schlingern gerate und entgleise… also den Zinnsoldatentod sterbe.
Vielleicht aber wäre all das nicht so schlimm, wenn Beep Games und Tribetoy mich zumindest mit mächtigeren Waffen belohnen würden. Doch die paar Pennies, die ich auf dem Weg einsammle, reichen gerade mal so für den ersten Standardrevolver oder einen unnützen Hut. Danach steigt der Preis ins unermessliche, sodass ich mich erst durch mindestens ein Viertel Spiel ballern müsste, um aufrüsten zu können. Und so lege ich mega frustriert und gleichzeitig wahnsinnig traurig schon in Welt 2-4 den Controller zur Seite, schließe die Verschläge der Maschine und genieße den letzten Klang des Schlägels. Es scheint wie auf der Kirmes. Zugucken macht mehr Spaß.  

5/10 🎡 🎪 🔫

Developer: Beep Games, Tribetoy
Publisher: Beep Games
Genre: Twin Stick Shooter
Musik: Steve Kirk
Veröffentlichung: 29. September 2020 (Steam, Xbox One)

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Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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