The Dungeon of Naheulbeuk: The Amulet of Chaos Review | Eine Comedyshow

Wer launige Einzeiler und pausenlose Flachwitze mit Rundenkämpfen in einen Sack steckt, erhält das ulkige RPG The Dungeon of Naheulbeuk!

Irgendwie fühlt es sich ja an wie nach Hause kommen. So viele Roguelike-Rollenspiele schmeißt mir Steam um die Ohren, dass ich mich nach geradliniger Kost sehne. Einfach mal von vorne bis hinten durchspielen, eine nette kleine Geschichte um eine Held_innentruppe genießen und den Grind außen vor lassen. Dazu noch ein leicht mitschwingendes Gefühl der Nostalgie – da ähnliche Dungeon Crawler meine ersten Berührungspunkte mit Rollenspielen darstellten – und fertig ist der Trip in den Kerker. Bereitet euch schon mal auf ein paar doofe Witze und Anspielungen vor, denn The Dungeon of Naheulbeuk: The Amulet of Chaos des Artefacts Studio ist voll davon!

Die heterogenste Plündererparty ever!

Eine bunt zusammengewürfelte Truppe hat sich am Eingang zum Dungeon von Naheulbeuk versammelt. Hier gibt es Gold zu plündern, Aufträge abzugreifen und Monster zu plätten. Der unbeholfene und inoffizielle Anführer der Abenteurer_innen ist der Ranger, ein gelernter Sesselbauer, der auf Söldner umgeschult hat. Die Magierin hebt sich von ihren Kolleg_innen durch ihren relativ hohen IQ ab. Die Elfe ist im Umgang mit dem Bogen geschult und spielt das naive gute Gewissen der Gruppe. Der Dieb ist ein laufender Running Gag, denn er wird bei jeder Wortmeldung ignoriert. Der Barbar bringt ausschließlich Einzeiler, die sich ums Töten drehen. Der Zwerg ist schön griesgrämig und beginnt schon mal in der Taverne ein Beleidigungsduell mit einem verhassten Zwergenvetter, welches in ein urkomisches Minispiel ausartet. Mein Liebling ist allerdings der Oger, der in einer Sprache spricht, die nur der Ranger versteht und in der es wohl 100 Synonyme für Essen gibt. Akala Lecker Lecker!

Das hört sich erstmal nach sehr klischeehaften Darstellungen der verschiedenen Rassen und Klassen an und genau darauf ist Dungeon of Naheulbeuk auch ausgelegt. Die kurzweiligen Dialoge drücken dir ihren platten Humor mit dem Holzhammer rein. In diesem Zusammenhang habe ich eine interessante Entwicklung im Laufe des Spiels durchgemacht: Zuerst dachte ich, dass ich den Klamauk schon nach kurzer Zeit leid sein würde, aber genau das Gegenteil war der Fall. Je mehr ich mich mit der skurrilen Gemeinschaft im Zuge der Story auseinandersetzen musste, desto mehr wuchsen mir die Außenseiter_innen ans Herz.

Orks sind wie Lauch: Oben sind sie grün, unter der Erde weiß

Lange muss die Zweckgemeinschaft der Söldner_innen jedenfalls nicht nach Ärger suchen. Schon bald fällt ihnen ein Klunker in die Hände, der einen seltsamen Reiz ausübt. Nachdem das Amulett nacheinander den Dieb und den Zwerg korrumpiert, ist eines glasklar: Der Gegenstand ist verflucht! Die Schatzjäger_innen suchen sich Verstärkung in Form eines Extramitglieds – wahlweise gabeln wir in der Taverne Paladina, Barden der Priesterin auf – und starten die Hinweissuche. Irgendjemand in diesem mehrstöckigen Verlies muss doch von einem mächtigen dämonischen Anhänger wissen! Auf der folgenden Odyssee von Stockwerk zu Stockwerk lernen die Halbstarken nicht nur den Dungeon von Naheulbeuk kennen, sondern entwickeln sich zu mächtigen Kämpfer_innen. Jede_r hat dabei einen eigenen Fähigkeitsbaum, den wir durch Erfahrung hochziehen. Doch wo bekommen wir die Erfahrung überhaupt her?

Wer stärker werden will, muss auch Schlachten schlagen! Das weiß nicht nur die Tavernenwache, die schon einige Pfeile ins Knie bekommen hat, sondern auch unsere Antiheld_innen. An Goblins, Orks und Untoten mangelt es in Naheulbeuk jedenfalls nicht. Ob im Keller, wo Ratten die Größe von Hunden erreichen, oder in der arkanen Bibliothek, über die ein riesiger Zeigefinger namens Index regiert. Überall bestreiten wir taktische Rundenkämpfe. Klar, dass die Elfe weiter laufen kann und der Oger hart zuschlägt, aber schlecht zielt. Nur im Zusammenspiel aller Verbündeten erringen wir den Sieg gegen Albino-Orks und Lichtmagierinnen. Während der Zwerg den Schaden absorbiert, lässt die Zauberin von hinten Feuer regnen. Die Gefechte gestalten sich selbst auf der niedrigsten Schwierigkeitsstufe herausfordernd, sodass sich die Intensität zu jeder Zeit auf einem hohen Level einpendelt. Die Rundenscharmützel bilden für mich das Herzstück des Rollenspiels.

Baldur´s Hamster in Dungeon of Naheulbeuk

Aber auch abseits des Mysteriums um das „Amulet of Chaos“ erleben die Glückssucher_innen einige bemerkenswerte Episoden. Die Nebenquests sind zwar von geringerer Anzahl, blieben mir jedoch allesamt im Gedächtnis. Jede Aufgabe ist mit einer witzigen Hintergrundgeschichte und herausragenden Charakteren bestückt, sodass die Nebenmissionen niemals zu reinen Sammelorgien verkommen. Geneigte Rollenspielfans alter Schule werden bestimmt den Waldläufer mit der violetten Gesichtsbemalung erkennen, der seinen Goldhamster vermisst. Die auf diesem Wege dazuverdienten Münzen und Ausrüstungsgegenstände können die Abenteuerer_innen jedenfalls gut gebrauchen. Dieser Dungeon Crawler verteilt neue Rüstungen und Waffen niemals inflationär. Statt inhaltsleere Loot-Spiralen einzusetzen, implementiert das Artefacts Studio sinnvolle Funde, die unsere Charaktere bei jeder Belohnung merklich verstärken.

Bei einem witzigen Titel, der sich und andere Rollenspiele gern auf die Schippe nimmt, hätte ich keine wendungsreiche Story erwartet. Doch zu meiner Überraschung bleibt die Geschichte rund um die Dämonen von Naheulbeuk spannend und nicht vorhersehbar. Auf der Achterbahnfahrt meiner liebenswerten Wirrköpfe wurde mir nie langweilig. Auch weil sich das Taktik-RPG eben nicht unnötig in die Länge streckt und trotzdem genug Umfang bietet. Klar, nicht alle Gags treffen hundertprozentig ins Schwarze, aber die verrückten und coolen Bosse, wie der glücksraddrehende Goblin mit Zylinder oder die schrulligen Nebencharaktere, machen die Erfahrung unvergesslich. Ich bereue es nicht, dass ich The Dungeon of Naheulbeuk: The Amulet of Chaos nach kurzen Anlaufschwierigkeiten eine Chance gegeben habe, mir ans Herz wachsen zu können. Welches andere Spiel bietet mir schon einen Meistermagier, der sich ausschließlich in Käsemetaphern ausdrückt? Eben!

8/10 🧙🧀

(Wer noch mehr aus der Welt von Naheulbeuk erleben will und des Französischen mächtig ist, findet hier auf der offiziellen Seite des Autors die originalen Hörspiele zum Gratis-Download.)

Developer: Artefacts Studio
Publisher:
Dear Villagers, Plug in Digital
Genre:
Dungeon Crawler, RPG
Musik: Pen of Chaos aka John Lang
Auszeichnungen: Winner Merlin Prize (2010 und 2014)
Veröffentlichung:
17. September 2020 (Steam)

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Der Historiker von WTLW. Spielt alles vom Walking Simulator bis zum Point-and-Click Adventure, am Liebsten aber RPGs mit guter Narrative und Strategie.

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