Mortal Shell Review | Wie eine zweite Haut

Mit Mortal Shell als erstes Projekt wagt sich das Team von Cold Symmetry an das Genre der Soulslikes.

Die großen Hits von From Software sind mittlerweile zu Stellvertretern schwerer Spiele geworden. Seien es Platformer, RPGs, Shooter oder Rougelikes, sobald ihr damit rechnen dürft, oft und regelmäßig zu sterben, nutzen viele Medien den Vergleich, dass es sich hierbei um das “Dark Souls des Genres XY” handelt. Dass diese Aussage ziemlicher Quatsch ist und wahrscheinlich hauptsächlich Klickzahlen generieren soll, zeigt die Tatsache, dass die Souls-Reihe mittlerweile eher schon ein eigenes Genre gegründet hat. Ausdauerbasiertes Kampfsystem, ein Verlust von Erfahrungspunkten beim Ableben, die sich wieder einsammeln lassen sowie eine Herausforderung bei nahezu jedem Gegnertyp zeichnen diese Art von Spiel aus. Mortal Shell nimmt sich all diese Mechaniken zu Herzen, findet sich also in diesem Genre der Soulslikes wieder und versucht außerdem, noch eine eigene Note einzubringen. Und trotzdem kann ich euch schon versprechen, dass vor allem eine hohe Frusttoleranz notwendig ist, um diese spezifischen Eigenarten zu entdecken und wertschätzen zu können.

Erzähl mir doch nichts!

Ihr dürft die Kontrolle über einen knöchrigen Gesellen übernehmen, der nach einem kurzen Tutorial in einem nebligen Sumpf landet. Überall laufen faulig aussehende Gestalten herum, die euch sofort angreifen. Ein Angriff genügt, um euch das Leben zu nehmen. Zack, startet ihr am Ausgangspunkt und könnt den zuvor gesammelten Tar, der wie Erfahrungspunkte funktioniert, sowie die vereinzelten Einblicke, die eine ähnliche Funktion haben, am Ort eures Ablebens einsammeln. Zumindest, wenn ihr vorher nicht erneut umgenietet werdet. Warum ihr hier seid und wo sich dieser Sumpf befindet, ist unklar. Mortal Shell verschwendet keine Zeit mit strukturierter Erzählung. Die einzige Info, die ihr später bekommt, betrifft einen großen, angeketteten Typen, der euch bittet, aus drei unterschiedlichen Gebieten einen besonderen Nektar zu besorgen. Diesen benötigt er, um sich aus seiner Gefangenschaft befreien zu können. Aber bis auf zahlreiche mies gelaunte Gegner gibt es weiterhin keinen klaren Hinweis, warum es hier so schlimm ist.

Ich persönlich finde alles nämlich sehr stimmungsvoll. Klar, manche Gebiete lassen etwas Abwechslung vermissen, was die Orientierung erschwert. Da ihr die einzelnen Pfade jedoch dank des häufigen Ablebens so oft ablaufen dürft, findet ihr euch schnell zurecht. Wenn ihr außerdem noch merkt, wie diese riesigen Gebiete zusammenhängen oder eine Tür öffnet und damit eine Abkürzung freischaltet, ist das ein großartiger Aha-Moment. Die Gegend wirkt äußerst lebendig, seien es Geräusche der Umgebung oder auch die Klänge einer Laute, die von Gegnern am Lagerfeuer gespielt wird, bis ihr zufällig dazwischen platzt und die Schwerter kreisen. Schöner wäre es nur, wenn die Gegner etwas vielseitiger ausgesehen hätten, anstatt die guten Designs immer wieder zu verwenden. Den kryptischen Hinweisen der wenigen Charaktere, mit denen ihr euch unterhalten könnt, kann ich persönlich also nicht folgen oder zustimmen. Aber da anscheinend niemand den Hauptcharakter hier haben möchte, bleibt kaum eine Wahl, als der Aufgabe zu folgen.

Mortal Shell mal Vier!

Zum Glück können eure Feinde euch nicht durchgehend mit einem Schlag niederstrecken. In der Gegend verteilt findet ihr nämlich vier leblose Körper, in die ihr schlüpfen könnt. Diese vier Verstorbenen dienen als eure vier Klassen. Es gibt einen sehr ausgewogenen Ritter, einen Charakter mit Fokus auf Spezialattacken, eine Art Dieb mit enormer Ausdauer, aber geringer Lebensenergie und einen starken Krieger, der das Gegenteil darstellt. Je nach Spielstil bietet sich für euch also eine der sogenannten Shells an. Den bereits erwähnten Tar und die Einblicke könnt ihr dann nutzen, um diese Figuren bei einer mysteriösen Frau zu verstärken, die euch zusätzlich als Checkpoint und Heilmöglichkeit dient. Verstärken heißt hier allerdings, dass ihr vor allem sekundäre Effekte und Spezialattacken freischaltet. Die Statuswerte eurer Figur bleiben immer gleich. Mortal Shell ist also kein wirkliches Rollenspiel, wie es andere Soulslikes oft sind. Das nimmt jedoch auch die Gefahr, sich hoffnungslos zu verskillen.

Um trotzdem mehr Wucht in eure Schläge zu bekommen, könnt ihr die vier im Spiel auffindbaren Waffen mit Gegenständen verbessern. So schaltet ihr besondere Spezialattacken, einen höheren Angriffswert oder eine verbesserte Heilung frei. Die funktioniert hier nämlich ebenfalls nicht wie gewohnt. Anstatt euch ordentliche Heilitems zu geben, müsst ihr in Mortal Shell etwas improvisieren. Gelingt euch mit euren Waffen ein Konter, also das Blocken eines gegnerischen Angriffs zum richtigen Zeitpunkt, füllt das eure Lebensenergie ein kleines bisschen auf. Ansonsten müsst ihr Items nutzen, die ihr auf dem Boden findet. Hier stoßt ihr allerdings auf das Problem, dass ihr anfangs nicht wisst, was diese Items so bezwecken. Ausprobieren heißt also die Devise. Je häufiger ihr einen Gegenstand nutzt, desto vertrauter seid ihr mit der Wirkung, wodurch diese sich später sogar noch ändern kann. Ein Pilz, der euch nach dem ersten Bissen noch vergiftet, sorgt später beispielsweise für eine Immunität vor Vergiftungen.

Ein harter Typ

Mortal Shell lädt generell dazu ein, viel auszuprobieren. Dadurch, dass es euch sowohl von seiner Geschichte als auch seinen Mechaniken nur wenig verrät, bleibt auch nicht viel anderes übrig. Items wollen benutzt, die unterschiedlichen Waffen aufgerüstet und dadurch entstandene Spezialattacken ausprobiert werden. Vielleicht findet ihr auch eine Spezialfähigkeit, die euch besonders gefällt wie zum Beispiel das Talent des Diebes, sich durch Vergiftungen heilen zu können. Eine bestimmte Fähigkeit besitzen jedoch alle Figuren. Auf Knopfdruck könnt ihr euch nämlich verhärten und so jeglichen Schaden abwenden. Das ist besonders nützlich, wo es doch sonst keine Schilde zum Ausrüsten gibt. Nach einer erfolgreichen Verhärtung benötigt ihr allerdings auch eine kurze Zeit, bevor das erneut funktioniert. Bis dahin heißt es wieder: Angreifen, ausweichen, kontern! Ist das Verhärten wieder möglich, könnt ihr es zu jedem beliebigen Zeitpunkt einsetzen.

Vielleicht verzögert ihr so einen Angriff, um spontan die Ausdauer wieder aufzufüllen und die Kombo weiterlaufen zu lassen. Oder ihr blockt einen Angriff des Gegners und bringt ihn so aus dem Gleichgewicht, um ein paar weitere Schläge zu landen. Die Vielzahl an Möglichkeiten im Kampf sorgt dafür, dass ihr in jeder Situation mehrere Möglichkeiten zum Agieren habt. Je vertrauter ihr dann mit den Mechaniken und euren Fertigkeiten seid, desto souveräner metzelt ihr die Vielzahl an Gegnern nieder. Die ersten Speedruns, welche das Spiel ohne Glitches in ungefähr dreißig Minuten beenden, zeigen wunderbar, wie chancenlos Feinde und vor allem Bossgegner sein können, wenn die Angriffe in Fleisch und Blut übergegangen sind. Bis ihr an so einen Punkt kommt, vergehen sicherlich einige Stunden. Aber sobald die ersten Kombos sitzen und ihr Feinde aus dem Weg räumt, die euch vorher in den Wahnsinn getrieben haben, fühlt ihr euch unbesiegbar!

Das hört ja nie auf!

Natürlich habt ihr am Ende, nachdem der letzte Boss gelegt wurde, die Möglichkeit, einfach in einem New Game Plus das Abenteuer mit einem höheren Schwierigkeitsgrad anzugehen. Wenn ihr also mehr Zeit in der Welt von Mortal Shell verbringen wollt, so bietet es auch weiterhin noch einige Herausforderungen für euch. Doch auch ohne diese Möglichkeit kann der Debuttitel aus dem Hause Cold Symmetry mit spannenden Stunden aufwarten. Ich will euch nichts vormachen, selbst mit einiger Erfahrung aus vorherigen Soulslikes kann Mortal Shell euch zu Beginn den Hintern aufreißen. Die neuen Mechaniken und Ideen benötigen einiges an Eingewöhnungszeit. Auf der anderen Seite haben so vielleicht sogar alte Hasen des Genres mal wieder diese Spannung des Unbekannten und Ungewissen. Wenn diese Phase überwunden wird und ihr euch nicht von Mortal Shell und eurem häufigen Ableben entmutigen lasst, sprintet ihr später selbstbewusst und zielsicher durch die Welt, solang es eure Ausdauerleiste zulässt.

Ich selbst habe auch einige Zeit gebraucht, mich zurechtzufinden. Die Welt ist groß und bereits zu Beginn völlig frei erkundbar. Einen harten Gegner erstmal zu umgehen, um eventuell eine weitere Hülle oder eine Waffe mit einem mir besser liegenden Spielstil zu finden, war eine Option, die ich erst nach einigen Fehlversuchen annehmen konnte. Ständiges umplanen, ausprobieren, zurückziehen und Tar sammeln ist jederzeit möglich und wichtig. Wenn euch das klar wird, kann Mortal Shell selbst als Einstieg in die Soulslikeformel gut funktionieren. Das als Studio mit dem ersten Release zu schaffen, halte ich für eine beeindruckende Leistung. Die Anleihen sind klar ersichtlich und trotzdem gibt es genug Elemente, die Mortal Shell zu einer einzigartigen Erfahrung machen. Mir bleibt also nicht viel anderes übrig, als zu sehen, ob in Zukunft der ein oder andere DLC diese Welt erweitert, wie es auch bei den Vorbildern immer wieder der Fall war.

8/10 💀

Developer: Cold Symmetry
Publisher: Playstack
Genre: Action-Rollenspiel
Team: Patty Shannon, Alexander Varna, Evyn Shuley (Game Design); Jon Peros, Rostislav Tifonov, Dominik Ragančík (Sound Design); Ryan Schapals (Writer); Francesco Zacchini, Denny Strube, Csaba Molnár, Eero Mutka (Programmer); Vladimir Yarmolik (Animator); Artem Demura (Concept Art)
Musik: Simon Heath (Composer)
Veröffentlichung: 18. August 2020 (Epic Games Store, PS4, Xbox One)

Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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