Takeshi & Hiroshi Review | Das Band zweier Brüder

Takeshi & Hiroshi erkundet die Beziehung eines Brüderpaares, bei dem der ältere Bruder die Vaterrolle übernommen hat.

Viele von euch kennen bestimmt dieses Gefühl: Ein Familienmitglied, Partner_in oder enge Freunde sind krank, vielleicht auch chronisch, es erschwert ihr Leben. Ich fühle mich in solchen Situationen hilflos und es fällt mir schwer dieses negative Gefühl in positive Bahnen zu lenken. Die herzerwärmende Geschichte von Takeshi & Hiroshi führt uns mit Charme vor Augen, dass es mehr als in Ordnung ist Hilfe zu suchen und sich gemeinsam stark zu machen. Oink Games aus Japan zeigen uns, wie mit Hoffnung und Freunden ein Entkommen aus der Hilflosigkeit gelingen kann und wie wir uns im Kampf gegen die Krankheit gemeinsam stark machen können.

Takeshi, der angehende Game Designer

Takeshi ist ein japanischer Mittelschüler von 14 Jahren und verbringt den Großteil seiner Freizeit mit dem Entwickeln von Videospielen. Sein neuestes Werk hört auf den Namen „Mighty Warrior“ und ist ein rundenbasierter Dungeon Crawler, bei dem ein Ritter durch eine 2D-Welt marschiert und verschiedene Monster besiegen muss. Profit will der Junge keinen machen – das Spiel ist seinem Bruder gewidmet. Der kleine Hiroshi ist acht Jahre alt und teilt Takeshis Begeisterung für Videospiele. Er ist der größte Fan seines großen Bruder, der sich seit dem Tod ihres Vaters um Hiroshi kümmert und sich selbst zum Ziel gesetzt hat eine männliche Vorbildrolle einzunehmen.

Die Grundmechaniken des Spiels sind zwar fertig, doch spielbare Level kann Mighty Warrior noch nicht vorweisen. Als Hiroshi das Werk seines Bruders trotzdem unbedingt ausprobieren will, muss dieser kurzer Hand improvisieren. So übernimmt er selbst die Rolle des Gegenspielers, während der kleine Hiroshi den Ritter steuert. Wir als Spieler_innen helfen Takeshi beim Steuern der Gegner. So legen wir Begegnungen für den Ritter fest und greifen in Echtzeit ein, um kritische Treffer zu platzieren oder Ausweichmanöver einzuleiten. Unser Ziel ist es, dem achtjährigen Knirps ein spannendes aber nicht frustrierendes Spielerlebnis zu bieten, indem wir die richtigen Gegnerhorden zusammenstellen. Dabei müssen wir gut abwägen, denn ein zu großes Aufgebot an Gegnern tötet Hiroshis Held. Ist der Kampf jedoch zu einfach, sinkt das Spaßlevel. Nur mit dem richtigen Spaßlevel schalten wir die nächste Storypassage in Takeshi & Hiroshi frei. Im Laufe des Spiels werden diese Monsterknobeleien immer anspruchsvoller.

Hiroshi, der kranke Bruder

Unser kleiner Held der Geschichte ist chronisch lungenkrank. Deshalb muss er ab und zu Zeit im Krankenhaus verbringen. Die Zeit dort vertreibt er sich gerne mit Takeshis Spiel. Nach der Schule rennt der große Bruder auf direktem Weg ins Spital, um Zeit mit seinem Schützling zu verbringen. Jeden Tag spielt der kleine Patient so ein neues Level von Mighty Warrior. Auf diese Art wechselt Takeshi & Hiroshi die Gameplayabschnitte mit Storyszenen ab. Die Zwischensequenzen sind in einem wirklich knuffigen Knetmassestil gehalten. Die Stop-Motion Animation verpasst der Geschichte den Charakter eines spielbaren Bilderbuchs. Mir gefällt diese süße Präsentation des Plots ausgezeichnet, denn die Liebe zum Detail ist dem Spiel in jedem Moment anzumerken.

Wenn wir allerdings auf Takeshis Tablet Mighty Warrior starten, wechselt die Grafik auf eine schlichte comichafte Darstellung, die mit Chiptune als Hintergrundmusik unterlegt wird. Auf diese Weise wird ein leicht nostalgisches Feeling für Mighty Warrior erzielt. Generell gilt für die Eigenentwicklung des großen Bruders: Weniger ist mehr! Wir starten mit 3 verschiedenen Monstertypen, zu denen jedes Kapitel ein neuer hinzukommt. Im letzten Drittel des sehr kurzen Spiels erhält der von Hiroshi gesteuerte Ritter Unterstützung durch einen Magier. Diesen dürfen wir übernehmen, um die Begegnungen noch genauer abzustimmen und durch knappe Siege der Helden die Spannung zu steigern.

Die schöne Botschaft von Takeshi & Hiroshi

Der Plot des Knetmasseabenteuers wird in einzelnen „Slice of Life“ Schnipseln vorangetrieben. Dabei werden also verschiedene Situationen losgelöst voneinander in kleinen Geschichten erlebt. Hiroshi im Krankenhaus und sein Kampf gegen die Krankheit, bei dem er von den Erfolgserlebnissen in Mighty Warrior unterstütz wird. Takeshi in der Schule mit seinen Freund_innen Erika und Yosuke, deren Hilfe er beim Fertigstellen seines Games bekommt. Diese Storyabschnitte werden von einem roten Faden durchzogen, der die beiden getrennten Sphären der Brüder im finalen Kapitel vereinigt. Die Motive von Takeshi & Hiroshi sind relativ simpel, werden aber schön umgesetzt und hinterlassen nach den Credits, die wir an einem Spieleabend locker erreichen, ein wohliges Gefühl. Die Feel-Good Story über familiären Zusammenhalt, Freundschaft, dem Überwinden des eigenen Stolzes und das Besiegen von Krankheit schenkt mir als Spieler Hoffnung. Vielleicht genau das, was wir in diesen Zeiten brauchen.

Einen Satz lässt Takeshi immer wieder fallen: „Ich werde für Hiroshi zum Spiel!“ Wir als Spieler_innen werden für Hiroshi zum Spiel und lenken den tapferen Jungen von seinem Krankenhausaufenthalt ab. So wie sein Ritter Level-Ups erkämpft, erkämpft sich auch der kleine Patient seinen Weg zurück in die Schule, auf die er eigentlich gar keinen Bock hat. Nicht einzelne Gameplayelemente oder ein komplexes und vielschichtiges Writing stehen im Vordergrund von Takeshi & Hiroshi. Das Spiel will niemals mehr sein, als es ist. Eine Geschichte zum Miterleben, eine Erfahrung für einen Tag, eine positive Reise, die mich lächeln lässt. Mein Ziel ist erreicht, wenn ich Hiroshis Tag im Krankenhaus aufhellen kann. Nicht die Rettung der Welt liegt in diesem Indie-Titel in meinen Händen, sondern die Lebensfreude eines kleinen Jungen. Und die ist für mich genauso viel wert.

7/10 💻🏥

Developer/Publisher: Oink Games
Genre: Puzzler, RPG
Team:  Jun Sasaki (Director, Game Part Animation), Hiroko Izumida (Drama Part Director & Character Designer), Yuto Fujikawa (Drama Part Programming, UI Programming, Platform Support), Hisanori Hiraoka (Game Part Charakter Design, Game Part World Design), Dan Yamamoto (Game Part Programming), Kazuomi Suzuki (Sound Design, Sound Effects, BGM), Shinichu Tsuda (Story Writing), Yoshihiro Shindo (UI Animation), Fumihiro Kanaya & Yoshihiro Ura (Programming Technical Support), Shigeru Okada (Drama Part Animation), Marika Konishi & Yusuke Yokoyame & Shiho Eguchi (Drama Part Animation Assistance), Shuhei Harada (Puppets Manager), Show Kondou (Armatures), Keiji Watanabe (Puppet Sculptor), Mayumi Yamamoto & Kiyomi Aoyagi & Yuka Aoki (Puppet Costume), Tomoe Yamashita & Yukinori Mochikawa (Set Modeling), Mitsuo Shionaga (Lighting), Yuko Hato (Shooting Studio Assistance), Eric Jacobsen & Laura Grundmann (Translation)
Musik: Takeshi Yokemura & Yuu Kobayashi
Veröffentlichung: 13.01.2020 (Apple Arcade), 18. August 2020 (Switch)

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Der Historiker von WTLW. Spielt alles vom Walking Simulator bis zum Point-and-Click Adventure, am Liebsten aber RPGs mit guter Narrative und Strategie.

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