Perfectly Paranormal strapaziert eure Lachmuskeln mit nordischer Mythologie in Helheim Hassle!
Humor ist ein schwieriges Feld. Einem guten Witz gehen oftmals zahlreiche Sprüche voraus, die überhaupt nicht zünden. Was in der eigenen Vorstellung noch schreiend komisch anmutet, kann vor einem Publikum sehr unangenehm werden. Oftmals wird gerade in der Medienlandschaft versucht, einfach durch übertriebene Nutzung popkultureller Referenzen ein paar Lacher einzuheimsen, die aber weder gut geschrieben noch im Setting angebracht sind. Wenn ich also ein Spiel sehe, das ganz offensichtlich witzig sein soll, sitzt immer ein kleiner Angstteufel auf meiner Schulter und flüstert mir, dass hier mit Sicherheit nur grauenhaftes Writing auf mich wartet. „Freu dich nicht zu früh, jeder einzelne Witz wird dir einen Schauer der Fremdscham über den Rücken jagen, lieber Malte!” und ich kann nur hoffen, dass sich diese Befürchtung nicht bewahrheitet. Zum Glück gibt es dann Spiele wie Helheim Hassle, die nur ein paar Sekunden brauchen, bis ich blöde kichernd das Gamepad aus der Hand legen muss.
Wahnsinn, warum schickst du mich nicht in die Hölle?
Bjørn hat so gar keine Lust auf das Leben als Wikinger. Sein ganzes Dorf scheint unendlich heiß darauf zu sein, ums Leben zu kommen. Zumindest, solang das in einer Schlacht passiert. Als eines Tages eine Horde Riesen das Dorf angreift, stürzen also alle freudig lachend in den Kampf, um so schnell wie möglich nach Walhalla zu kommen. Nur Bjørn kann darauf sehr gut verzichten. Also verkrümelt er sich in die Tiefen des Waldes, um dort sein Versteck aufzusuchen. Aber wie das Schicksal so will, bricht ein Baumstamm unter seinen Füßen weg und Bjørn stürzt in den Tod. Doof nur, dass er dabei auf einem Bären landet, diesem das Leben nimmt und als Bärentöter Bjørn nach Walhalla einzieht, um dort bis in alle Ewigkeit mit den anderen Wikingerhelden kämpfen zu können. Ein absoluter Albtraum also, wo unser kleiner Held doch nur nach Helheim wollte, um dort entspannt die Ewigkeit zu verbringen.
Zeitsprung auf letzten Dienstag. Das Skelett Pesto steht vor dem Tor nach Helheim, um ein Paket an Hel, die Herrscherin der Unterwelt, zu liefern. Das Problem ist, dass es die nordische Schrift auf dem Tor nicht lesen kann. Welch Glück, dass Pesto Bjørns sterbliche Überreste in der Nähe findet und ihn kurzerhand zurück ins Reich der Lebenden holt. Bjørn kann Pesto nun helfen, nach Helheim zu gelangen, stellt dabei aber die Forderung, dass das Skelett ein gutes Wort bei Hel einlegt, damit unser kleiner Wikingerfreund direkt dortbleiben darf und nicht mehr zurück nach Walhalla muss. Bevor es dazu kommt, steht allerdings ein beschwerlicher Weg vor den beiden, da der Weg nah Helheim gespickt ist von Rätseln, Fallen und grummeligen Wesen wie Kobolden, Drachen oder wilden Tieren. Zu einfach soll die Geschichte schließlich nicht zu Ende gehen, ich spiele hier immer noch ein Videospiel!
Wir gehen zum Lachen in die Hölle
Die Dynamik zwischen Bjørn und Pesto sowie ihre Interaktion mit den unterschiedlichen Bewohner_innen der Hölle ist jedoch herausragend. Flotte Sprüche, großartige Witze und skurrile bis äußerst dumme Charaktere tauchen ununterbrochen auf. Dabei ist sich das Team von Perfectly Paranormal nicht zu schade, jede noch so verrückte Idee in die Dialoge zu packen. Selbst Kobolde im Hintergrund bekommen kleine Dialoge, die ich mir komplett anhören wollte, weil sie so herrlich absurd waren. Hinzu kommt eine feine Prise Slapstick, die sowohl durch die klobigen Animationen begünstigt wird, als auch durch die Tatsache, dass Bjørns Wiederbelebung nicht ganz funktioniert hat. Er ist eher untot als lebendig, weswegen er gerne mal seinen Kopf oder andere Körperteile verliert. Das schafft weiteren Spielraum für unzählige skurrile Situationen und Pointen, die Helheim Hassle allesamt mitnimmt. So bietet es sich zum Beispiel an, Informationen eines Kobolds zu ergattern, indem der Kopf unbemerkt in seine Nähe geschleudert wird.
Allein schon die Art, wie die einzelnen Körperteile sich gelöst von Bjørns Torso bewegen, besitzt eine ganz eigene Komik. Der Kopf, der angestrengt über den Boden hüpft, der Arm, der wie das eiskalte Händchen aus der Adams Family durch die Gegend krabbelt oder die Kombination aus beidem, wenn der Kopf sich im Arm festbeißt, um so gemeinsam weitere Strecken zu überwinden oder sich über Abgründe zu hangeln. Der bunte Cartoon-Look sorgt dafür, dass selbst brutal anmutende Kombinationen von Körperteilen, die jedem Cronenberg-Fan das Herz aufgehen lassen würden, sympathisch, putzig und unterhaltsam aussehen. Helheim Hassle macht mit seiner Geschichte und Prämisse einfach unheimlich Spaß. Perfectly Paranormal hat allerdings auch schon in ihrem erste Spiel Manual Samuel bewiesen, dass sie sehr gut darin sind, skurrile und witzige Situationen zu kreieren, die sowohl morbide als auch herzerwärmend sein können.
Wieso muss Helheim Hassle ein Videospiel sein?
Das einzige, was mich immer wieder aus der Atmosphäre gerissen hat, waren die spielerischen Elemente. Helheim Hassle kommt leider nicht drumherum, ein Puzzle-Platformer zu sein. Es wollen Rätsel gelöst werden, indem Bjørn seine Körperteile an die richtigen Stellen wirft und diese dort Schalter umlegen, neue Wege finden oder es dem Torso ermöglichen, höhere Stellen zu erreichen. Je weniger Körperteile die Beine tragen, desto höher können sie springen. Es ist auch nicht so, als hätte ich diese Art von Gameplay nicht erwartet. Als das erste Mal der Kopf von Bjørns Schultern fiel und sich steuern ließ, war mir schnell klar, dass ich so einige Rätsel angehen werden darf. Blöd ist nur, wenn diese Rätsel bei weitem nicht die Qualität des restlichen Writings erreichen. Ich habe immer entnervt geseufzt, wenn die Kamera nach hinten zoomte und ich einen riesigen Raum vor mir sah, den ich jetzt erstmal lösen musste.
Ich möchte vor allem der Geschichte und ihren Charakteren folgen anstatt ewig lange herumzuknobeln. Gerade, wenn ich alles in den einzelnen Welten entdecken will – inklusive versteckter Sammelgegenstände – rauchte mein Kopf bereits sehr früh recht ordentlich. Das liegt vor allem daran, dass Helheim Hassle nicht immer klar kommuniziert, welche Möglichkeiten ich jetzt zur Interaktion mit der Umgebung habe. Wenn ich neben kniffligen Rätseln dann auch noch ewig an einem Punkt vorbeilaufe, mit dem ich für weiteren Fortschritt interagieren muss, werden diese Spielabschnitte zäh wie Kaugummi. Das großartige Talent im Writing und in der Gestaltung der Charaktere und der Welt habe ich im Rätseldesign überhaupt nicht finden können. Etwas mehr Mut, sich von klassischen Videospielkonventionen zu verabschieden, hätte mich gefreut. Es muss nicht immer überall ein klassisches Schalterrätsel auftauchen, weil es schließlich ein Videospiel ist. Wenn die Erzählung mit all ihren Eigenheiten so überzeugen kann, darf gerne ein stärkerer Fokus darauf liegen.
Erzähl mir mehr, kleiner Wikinger!
Ich glaube, wäre Helheim Hassle im Gameplay mehr ein narrativer Cinematic Platformer gewesen wie es Limbo, Inside oder Stela sind und hätte sich komplett auf die Welt, die Geschichte und ihre Charaktere konzentriert, hätte ich hier eines meiner absoluten Lieblingsspiele gefunden. Die implementierten Rätsel haben mir allerdings überhaupt nichts gegeben. Klar, es ist ein witziger Erzählstrang, dass die Kobolde zum Beispiel diese Rätsel bauen MÜSSEN, damit niemand so einfach nach Helheim kommt und sich dabei unfassbar dumm anstellen, aber das hätte spielerisch auch eleganter gelöst werden können, indem die tatsächlichen Kopfnüsse deutlich reduzierter eingesetzt worden wären. Vielleicht bin ich in der Hitze aber auch einfach mental nicht fit genug, um dieses Element wertzuschätzen und vermiese hier echten Puzzlefanatiker_innen eine allumfassend großartige Erfahrung. Nichtsdestotrotz bleibe ich dabei, dass manchmal etwas weniger Videospiel ein besseres Videospiel ergeben hätte.
7/10 🧟
Developer/ Publisher: Perfectly Paranormal
Genre: Narrative Puzzle Platformer
Musik: Sondre Jensen, Megan Carnes
Veröffentlichung: 18. August 2020 (Steam, PS4, Xbox One, Switch)
Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.