What Happened Review | Die Leiden des jungen Stiles

In What Happened durchleben wir die großen Probleme des jugendlichen Stiles während seiner Schulzeit.

Der Schulalltag kann grauenhaft sein. In fast jeder Klasse kommt es irgendwann zu Mobbingfällen, Mitschüler_innen werden aus den unterschiedlichsten Gründen ausgegrenzt. Vor allem während der Pubertät fühlen sie sich unverstanden und unglücklich mit der Welt um sich herum. Die Schwierigkeiten des Alltags wiegen unendlich schwer auf der eigenen Psyche und es fällt nicht leicht, einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Kommt dann noch eine nicht aufhören wollende körperliche und/oder psychische Tortur durch äußerliche Umstände dazu, wird die Jugend keine Zeit sein, auf die später gerne zurückgeblickt wird. Angst vor der Schule, psychische Erkrankungen als Folge, starke Emotionen und Ablehnung gegenüber anderen und sich selbst. Dabei ist mir natürlich bewusst, dass diese Prozesse sehr komplex und vor allem breit gefächert sein können. Das macht eine Darstellung besonders herausfordernd. Wie wurde es adressiert, wie visualisiert, wie aufgelöst? Die Genius Slackers haben sich mit What Happened auch daran versucht.

Wenn du denkst, es geht nicht mehr schlimmer…

Ich begebe mich in die Gedankenwelt des Teenagers Stiles, der in der Schule herumgeschubst wird, sich im inneren Dialog ständig selbst fertig macht und einige Schicksalsschläge wegstecken musste. Recht schnell erfahre ich, dass sein Vater bei einem Unfall ums Leben kam, Stiles Freundin sich von ihm trennte und mit seinem besten Freund zusammenkam. Wenn es einmal dicke kommt, dann aber auch richtig. Er flüchtet sich dabei in den Konsum halluzinogener Drogen, wovon er auch zu Beginn des Spiels etwas konsumiert. Die folgenden Stunden verbringe ich also fast ausschließlich innerhalb seiner Psyche und erlebe seinen Horrortrip aus der Ego-Perspektive. Immer wieder tauchen Erinnerungen auf, die mich mit seinen Erlebnissen konfrontieren und sie stellenweise erneut durchleben lassen, während er sich durch ein sich ständig verformendes Schulgebäude bewegt. Und über allem schwebt die große Frage, ob Stiles sich aus diesem Trip befreien kann oder den Vorwürfen seiner inneren Stimme erliegen wird.

Arash Negahban, der Writer und Director von What Happened, bekam die Idee für das Spiel aufgrund des Suizids einer seiner Nachbarn. Er recherchierte daraufhin viel zu dem Thema, tauschte sich aus und wollte mit seinem Spiel zeigen, dass es oft eine Menge an Traumata gibt, die einen Menschen letztendlich zu diesem Entschluss bringen. Mit What Happened möchte er die Perspektive eines Betroffenen zeigen und darauf hinweisen, dass diese Geschichten so oder so ähnlich im Umfeld der Spielenden oder bei ihnen selbst auftreten können. Negahban möchte dazu ermutigen, sich in solchen Fällen Hilfe zu suchen, weswegen am Ende des Spiels, kurz bevor die Credits laufen, auch Telefonnummern für helfende Hotlines unzähliger Länder eingeblendet werden. Die Motivation hinter dem Spiel und die Thematisierung dieser Umstände ist natürlich unheimlich wichtig und absolut positiv hervorzuheben. Die Frage, die sich mir hier stellt, ist allerdings, inwiefern das Spiel diesen Ansprüchen gerecht werden kann.

Für mich soll’s heute Acid regnen

Dadurch, dass Stiles zu Beginn halluzinogene Substanzen konsumiert, bietet das natürlich einen großen Spielraum für die visuellen Darstellung. Häufige Farbwechsel, verzerrte Klänge, eine sich ständig wandelnde Umgebung, all das lässt sich durch die Drogen erklären und sorgt für eine wilde Achterbahnfahrt durch Stiles Psyche. Ich selbst war mir oft nicht sicher, ob Stiles noch immer auf der Schultoilette wie am Anfang sitzt oder durch die Schule wandert, während dort der normale Alltag stattfindet. Die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwimmen ständig, während alles von Stiles’ innerer Stimme kommentiert wird, die ihn immer wieder runtermacht, die Abneigung gegen sich selbst verbalisiert und eine Kanonade negativer Emotionen auf den Teenager niederprasseln lässt. Hass gegenüber der Ex-Freundin, gegenüber seinem ehemals besten Freund, aber vor allem gegen sich selbst sind ständige Begleiter durch den trippigen Albtraum, während immer wieder durchscheint, dass Stiles versucht, sich gegen diese Gedanken zu wehren.

Vor einiger Zeit beschäftigte ich mich hier auf Welcome to last Week mit “The Shattering” und tauschte mich mit Benja auch in einer Folge unseres Podcasts darüber aus. Während ich dort kritisierte, dass zu viele Themen zu sehr mit dem Holzhammer präsentiert wurden, um die psychischen Probleme der Hauptfigur darzustellen, geht What Happened in diesen Punkten etwas besser vor. Die Situationen, die Stiles belasten, sind nachvollziehbarer und ihnen wird das gesamte Spiel über Zeit eingeräumt, auf unterschiedlichste Arten beleuchtet und dargestellt zu werden. Die ähnliche Spielzeit wird hier also deutlich fokussierter genutzt und bietet durch die visuelle Darstellung trotzdem weitaus mehr Raum für subtile Bilder, die vielfältige Interpretationen zulassen. Doch trotzdem schafft es What Happened nicht, diese gute Prämisse in ein gutes Spiel zu übertragen, dass dem Thema gerecht wird, was vor allem an der technischen Präsentation sowie dem Schauspiel der Charaktere liegt.

Die Frage zur Entwicklung: What Happened?

So kreativ die Ideen von Arash Negahban auch sind, so lobenswert seine Motivation ist, schafft es What Happened leider nicht, diesen Voraussetzungen gerecht zu werden. Auf mich wirkt es vor allem so, als hätte das Studio der Genius Slackers bei zu geringem Budget zu viel gewollt. Das fängt schon bei den Problemen an, die mit der visuellen Darstellung einhergehen. Sehr häufig hatte ich trotz der Vielzahl interessanter Ideen das große Problem, dass mir das Spiel nicht klar zeigen konnte, was nun von mir erwartet wird. Ziellos bin ich durch wirklich kleine Gebiete geirrt, ohne zu wissen, was ich tun soll oder welchen Weg ich einschlagen muss. Oft war der nötige Hotspot, mit dem ich interagieren musste, dann auch so klein, dass ich ihn irgendwann nur per Zufall gefunden habe, als mein Mauszeiger über ihn huschte. Tolle Visualisierung bringt wenig, wenn ich zwanzig Mal orientierungslos denselben Gang absuche.

Leider schaffte es auch die Erzählung der Geschichte nicht, diese spielerischen Probleme beiseite zu schieben. Das Design der Charaktere wirkt ungewollt unnatürlich. Hölzerne Bewegungen trafen auf unnatürliche Proportionen der Gliedmaßen sowie Gesichtsanimationen, die eher einer Marionette als einer Person gleichen, zu der ich eine Beziehung aufbauen kann. Unterstrichen wird diese Darstellung von aus dem Entwicklungsteam rekrutierten Synchronsprecher_innen, die absolut emotionslos ihre Zeilen vorlesen. Während es mir schon von Beginn an schwer fiel, die Beziehung zu Stiles’ Freunden nachzuvollziehen, konnte ich im Laufe der Spielzeit selbst die anfangs spannenden Dialoge mit seinem eigenen Gewissen nicht mehr ernst nehmen. Die gesprochenen Sätze aller Figuren sind viel zu direkt und simpel, ihnen fehlt jegliche Subtilität, die in der visuellen Darstellung noch vorhanden war. Das nimmt den Charakteren jegliche Tiefe und Raum für nachvollziehbare Entwicklung. Das Sahnehäubchen sind dann noch unzählige Tippfehler und skurrile Satzzusammenstellungen in den Untertiteln, die mehr verwirren als helfen.

Leider gut gemeint statt gut gemacht

Mein Eindruck von What Happened ist leider, dass sich ein Studio an den gesetzten Ansprüchen maßlos übernommen hat. An vielen Ecken und Enden fehlte es an nötiger Poliertheit, um spielerische und darstellerische Macken auszubügeln. Videospiele sind nun mal ein interaktives Medium und wenn der Interaktion so große Probleme in der Umsetzung gegenüberstehen, nimmt es der Erfahrung elementare Bestandteile. Mir fiel es unsagbar schwer, mich die fünf Stunden durch das Spiel zu bewegen. Dazu sind mir einfach zu viele technische Mängel und schauspielerische Probleme ins Auge gesprungen. Für die Menschen hinter diesem Spiel tut es mir wirklich leid. Alles, was ich zum Entwicklungsprozess finden konnte, erweckte in mir den Eindruck, dass What Happened ein wirkliches Herzensprojekt mit äußerst löblicher Motivation dahinter ist. Ein gutes Spiel ist daraus nur leider nicht entstanden.

5/10 💊

Worin ich die Genius Slackers jedoch unbedingt unterstützen möchte, ist ihr Aufruf zum Ende des Spiels. Solltet ihr in eurem Umfeld von Menschen wissen, die unter Depressionen oder anderen psychischen Problemen leiden, bietet Unterstützung an und informiert euch bei Fachstellen, wie ihr helfen könnt. Seid ihr selbst betroffen, scheut euch nicht Hilfe zu holen. Wendet euch gerne an die Telefonseelsorge (per Telefon 0800 – 111 0 111, Mail oder Chat) oder/und sucht euch eine_n Therapeut_in, um Unterstützung zu bekommen. Ihr seid nicht allein!

https://www.youtube.com/watch?v=5zG0Dw8tYH8

Developer: Genius Slackers
Publisher: KATNAPPE
Genre: Psychological Horror
Team: Arash Negahban (Writer, Director); Saeed Abbasi (Technical Director); Siavash Negahban (Sound Director); Amir Reza Bahmani (Art Director)
Veröffentlichung: 30. Juli 2020 (Steam)

Redakteur | + posts

Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.

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