Cardaclysm Preview | Kartentaktik zwischen Sphären

In Cardaclysm bauen wir ein Deck aus Monstern auf, um den Reitern der Apokalypse Einhalt zu gebieten.

In meiner Schulzeit gehörte Yu-gi-oh zu den Pflichtprogrammen in der großen Pause. Das ging so weit, dass die Lehrer_innen uns irgendwann damit drohten, dass unsere Eltern die Karten abholen könnten, wenn wir sie nicht schleunigst wegsteckten. Ein paar Jahre später entdeckte ich auch Magic: The Gathering für mich, das ich allerdings nur hier und da in digitaler Form spielte. Die Faszination von Trading Card Games – oder Sammelkartenspielen – ist mir bis heute erhalten geblieben. Da kommt es mir gerade recht, dass Videospiele mit Deckbaufeature im Moment Hochkonjunktur erleben. Oft wird das dann noch kombiniert mit prozedural generierten Begegnungen oder Welten und fertig ist die Gameplayformel. So auch in Cardaclysm, dem Werk von Ede Tarsoly und seinem Einmannstudio Elder Games.

Die Magie der Karten in Cardaclysm

Es beginnt mit einem Unglück: Der namenlose Protagonist und Schwarzmagier führt ein Ritual durch, das seine Kräfte mehren soll. Doch natürlich geht das komplett schief. Nicht nur entweichen Legionen von Monstern und Kreaturen in die Welt, sondern zu allem Überfluss noch die vier Reiter der Apokalypse. Vorerst bleibt dem Zauberer nichts anderes übrig, als die Flucht anzutreten. So leicht kommt er aber nicht davon, denn um die apokalyptischen Reiter loszuwerden, müssen wir ihm helfen diese zu besiegen. Zuerst jedoch gilt es eine Armee aufzubauen, die die Schergen der Reiter ausschalten kann. Der Zauberer kämpft dabei nicht aktiv mit, sondern beschwört seine eigenen Handlanger, die er aus seinem Deck zieht. Nach jedem Kampf gibt es neue Karten als Belohnung. Aus 14 Karten besteht dieses Deck, das in den rundenbasierten Gefechten zur Verfügung steht. Der Gesamtpool aus verfügbaren Karten ist schon jetzt riesig, obwohl sich Cardaclysm noch im Early Access Status befindet.

Wie es sich für ein Kartenspiel gehört, besitzen die verschiedenen Monsterkarten diverse Effekte und Eigenschaften. So lassen sich nicht nur Taktiken auf Synergien zwischen den Karten ausnutzen, auch die Ausrüstungsgegenstände, die der Magier trägt, haben einen Einfluss auf bestimmte Karten. Außerdem trumpft Cardaclysm mit einem interessanten Upgradesystem der Karten auf. So lassen sich zwei gleiche Karten per Drag & Drop übereinanderlegen, woraufhin sie sich zu einer stärkeren Version fusionieren. Auf diese Art können wir die Karten zweimal aufwerten. Je stärker die Karten aber werden, desto teurer sind sie im Kampf. Zwei Ressourcen müssen wir dabei im Auge behalten: Münzen, die den Wert der Karte und damit indirekt ihre Stärke angeben und eine Art magische Orbs, die gebraucht werden, um den Monstern leben einzuhauchen. Je länger wir spielen, desto mehr Ressourcen stehen uns am Anfang jedes Kampfes zur Verfügung.

Ab in die Taverne

Der Magier wandert durch prozedural generierte Welten, die von einer Vielzahl an Monstern bevölkert wird, die wir allesamt theoretisch selbst in unserem Deck spielen können. Diese Sphären ähneln Bruchstücken, die irgendwo im Äther von Cardaclysm schweben. Sobald alle Gegner eines Levels erledigt wurden, erscheint einer der vier apokalyptischen Reiter. Anfangs ist es ratsam die Flucht durchs nächstgelegene Portal anzutreten. Mit stärkerem Deck können sie auch herausgefordert werden. Bis dahin gibt es jedoch noch viele Schlachten zu schlagen, Karten zu sammeln und zu fusionieren. Das Hochgrinden ist notwendig, denn der Schwierigkeitsgrad der Bosskämpfe gegen die apokalyptischen Reiter ist durchaus gesalzen. So besitzen diese mächtige Fähigkeiten, die unsere Monstertruppe schnell wie einen Witz aussehen lassen. Der erste der Reiter  (Hunger) schwächt zum Beispiel jedes unserer Monster pro Runde permanent um zwei Angriffspunkte. Das lässt unsere Schergen schon bald wie Schießbudenfiguren in der Gegend herumstehen, während sie auf einen schnellen Tod warten.

Nachdem wir das Portal am Ende eines Gebiets durchquert haben, gelangen wir in die Taverne. Dort ist es noch etwas leer, doch der Wirt gibt uns kleinere Nebenaufgaben, die simpel gehalten sind und uns die eine oder andere Karte einbringen. Im Hinterzimmer chillt ein zwielichtiger Goblin, der uns Deals anbietet. Oft versucht er uns abzuzocken, doch ab und zu dürfen wir zwei schlechtere Karten gegen eine epische tauschen, die unser Deck merklich aufwertet. Wenn wir bereit für die nächste Runde sind, betreten wir wieder das Portal zur Sphäre. Dabei tauchen zufällig Gebiete mit besonderen Eigenschaften auf, wie der Giftgarten, in dem Monster wie der Skorpionstürmer, der Kontrahenten vergiftet, besonders leichtes Spiel haben. Herrscht in der betretenen Sphäre gerade Nacht, so erhalten alle Kämpfenden zum Rundenende Zusatzschaden, was die Auseinandersetzungen zu kurzen und intensiven Scharmützeln werden lässt.

Der Tod kommt oft unverhofft

Sollten wir einmal überfordert sein und einem zu starken Gegner gegenüberstehen, können wir den taktischen Rückzug in die Taverne antreten, was aber die in der derzeitigen Sphäre erspielten Boni und Karten löscht. Kämpfen wir hingegen und sterben dabei, holt sich der fieseste der Reiter (Tod) einen kleinen Bruchteil unserer Karten. Zugegebenermaßen hat mich dieses Zugeständnis an die Wurzeln des Roguelike von Cardaclysm stellenweise frustriert. Hier könnte Elder Games das Spiel mit einem optionalen Modus zugänglicher machen, indem dieser „Karten-Permadeath“ abschaltbar wäre. Dies würde auch ein anderes Problem beseitigen, dass Cardaclysm derzeit noch hat: Durch die anspruchsvollen Bosskämpfe muss unser Magier viel und oft gegen die in Relation leichteren Zufallsbegegnungen in den Sphären kämpfen, um Karten und Ressourcen zu horten. Dabei hängt der Spannungsbogen des Deckbuilding Titels stellenweise durch und raubt die Motivation, gerade wenn eine vorsichtig gepflegte Lieblingskarte vom hämisch lachenden Sensenmann gestohlen wird.

Die Story und die Taverne dürfen gerne noch etwas ausgebaut werden, sodass es ein paar interessante Charaktere und Nebenquests gibt, die die Welt lebendiger gestalten. Doch da sich Cardaclysm noch in der Entwicklung befindet, ist mehr Spielinhalt in Zukunft sichergestellt. Der Großteil von Cardaclysm funktioniert schon ausgesprochen gut. Für einen Early Access Hingucker reicht die satte Kartenvielfalt, die sicher noch steigen wird, auf jeden Fall. Die Spielmechanik wirkt bugfrei und konsistent, das Balancing ist bis auf ein wenig Feintuning sehr schön gelungen. Für Strategen, die gerne Mikromanagement an ihrem Deck betreiben, bietet das Kartensystem sicherlich ein enormes Potenzial. Mich persönlich hat das leicht zu verstehende, aber schwierig zu meisternde Gameplay schnell gepackt. Cardaclysm erfindet das Rad mit einer Mischung aus Zufallsgenerierung und Deckbauen zwar nicht neu, bietet aber im derzeitigen Stadium Anlass zur Hoffnung, dass hier ein mehr als solider Genrevertreter in den Startlöchern steht.

Developer: Elder Games
Publisher: Headup Games
Genre: Roguelike, Deckbuilding
Veröffentlichung: 29. Juli 2020 im Early Access (Steam)

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Der Historiker von WTLW. Spielt alles vom Walking Simulator bis zum Point-and-Click Adventure, am Liebsten aber RPGs mit guter Narrative und Strategie.

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