West of Dead Review | Raus aus dem Fegefeuer

Im Roguelike-Shooter West of Dead mit Ron Perlman schießen wir unseren Weg durch die Labyrinthe des Fegefeuers.

Der Amerikanische Westen im späten 19. Jahrhundert ist eine spannende Zeit. Wie keine andere Ära verkörpert er den Übergang von der Freiheit des vorindustriellen Landlebens zu den modernen USA. Bis heute sind Figuren wie Doc Holiday, Butch Cassidy und Sundance Kid, Buffalo Bill und die Dalton Brüder im kulturellen Gedächtnis fest verankert. Doch in West of Dead spielen wir keine Legende des Westens, sondern einen Fremden, der gerade in Wyoming im Jahr 1888 gestorben ist.

Auf nach Osten oder Westen?

Der Skelettmann erwacht in der Dunkelheit und weiß nicht wo er sich befindet. Sieht so aus als ob wir das Zeitliche gesegnet haben, noch bevor die Geschichte begonnen hat. Der Westen ist ein gefährliches Pflaster und eigentlich wäre es unsere Aufgabe gewesen, für Sicherheit zu sorgen. Der Knochentyp, den wir spielen, hört auf den Namen William Mason, aber das hat er im Moment vergessen. Im Leben war er Sheriff. Erstmal sehen wir uns um und bemerken, dass das Leben nach dem Tod ganz anders aussieht als erwartet. Hinter einer Bar in einer Art Saloon steht ein untersetzter Barkeeper mit Schnauzbart und lichtem Haar. Er heißt uns Willkommen in Purgatory, dem Trennbereich zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich. Die Toten wandern von hier aus nach Osten und Westen, auf der Suche nach dem Jenseits. Keine Zeit für einen Drink, wir wollen herausfinden, was zum Teufel hier vorgeht.

Weiter vorne liegen ein paar alte Schießeisen herum. Die wird unser verstorbener Freund dingend brauchen, denn so gut wie niemand in Purgatory ist ihm freundlich gesinnt.
Schon hinter der nächsten Ecke warten die ersten zwielichtigen Gestalten, die uns mit einem Kugelhagel begrüßen. Sind das verlorene Seelen, die schon zu lange im Fegefeuer wandeln? Uns bleibt keine Zeit das herauszufinden, denn viel braucht es nicht, bevor Masons untotes Leben erlischt und wir wieder in den Saloon zurückgeschickt werden. Schnell lernen wir, dass der für Roguelike-Shooter übliche Run&Gun-Spielstil in West of Dead nicht zielführend ist. Glücklicherweise sind in den arenaartigen Räumen, in denen die Kämpfe stattfinden, genug Deckungen in Form von Kisten oder Felsen vorhanden. Nähern wir uns einem Objekt, geht William automatisch in Deckung und lugt hervor, um die Widersacher anzuvisieren. Diese taktisch angelegten Deckungskämpfe heben sich angenehm von anderen Genre-Vertretern ab. Nicht der schnellste Reflex gewinnt, sondern die taktische Auffassungsgabe.

Reich mir die Schrotflinte!

Unsere Ausrüstung können wir in West of Dead unserem Spielstil anpassen, neue Waffen lassen sich in den prozedural generierten Leveln von Purgatory finden. Auch starke Items wie Dynamit oder ein Schutzschild sind in Truhen versteckt. Generell sind die Waffen in drei Sparten zu teilen. Schrotflinten sind verheerend auf kurze Distanz, aber fassen nur ein oder zwei Schüsse. Gewehre wären auf lange Distanz die Waffe der Wahl, sie halten drei Schüsse. Pistolen liegen dazwischen sind und für schnelle Gefechte auf mittlere Distanz geeignet. Einige Pistolen lassen sich fünf Mal abfeuern, bevor Mason automatisch nachlädt. So decken wir die Gegner mit Blei ein, während wir sicher hinter unserer Deckung hocken. Falls Will Mason mal in Bedrängnis gerät, hilft die Ausweichrolle. Schaffen wir es im richtigen Moment einem Schuss auszuweichen, werden wir mit einer coolen Zeitlupe belohnt. Da kommt Wild-West-Feeling auf!

Da wir nach jedem Tod in West of Dead neustarten müssen, kennen wir die ersten Gegner bald auswendig und haben keine Schwierigkeiten mehr. Aber tiefer in Purgatory warten auch mächtigere Feinde. Wenn wir uns unbesiegbar glauben, kommt schon bald der Zeitpunkt, an dem wir brutal an einer neuen Gegnerart scheitern. Nicht nur Beutelschneider und Banditen stellen sich unserem ehemaligen Sheriff in den Weg, vor allem die nichtmenschlichen Widersacher bereiten uns Probleme. Hunde, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen und uns in Rudeln einkreisen oder grüne Monster, die aus dem Bayou steigen, machen Mason schwer zu schaffen. Leichter wird es nur mit Verbesserungen. Temporäre Stärkungen wie mehr Schaden oder Leben finden wir in den Gängen von Purgatory. Permanente Stärkungen können gegen Sünde, die wir beim Besiegen von Gegnern verdienen, bei der Hexe zwischen den Leveln erworben werden.

Hellboy in West of Dead

Masons Geschichte werden wir nur stückchenweise wiederentdecken. Flashbacks in Happenform werden uns im Laufe der Geschichte zugeworfen, um uns gerade so einen kleinen Anstoß zu geben mehr zu enthüllen. Der ist auch nötig, um uns weiter zu motivieren. Die Schwierigkeit in West of Dead steigt mit jedem Level. Bei jedem Tod fangen wir praktisch von vorne an. Die einzige Hilfe bieten Abkürzungen. Diese nehmen uns jedoch nur einen kleinen Teil der Arbeit ab. Aber Mason gibt nicht schnell auf, denn er hat die Rache in seinen Knochen. Noch wissen wir nicht, wie es zu seinem Tod gekommen ist. Nach jedem Levelboss erfahren wir einen kleinen Schnipsel des Plots. Masons Hintergrundgeschichte, angefangen bei seiner Kindheit, erfahren wir optional. Hierzu übernehmen wir die Bürde einer verlorenen Seele, die uns um Hilfe bittet. Sollten wir diese Mini-Nebenaufgabe abschließen, gibt es eine neue Erinnerung. Diese bringen wir dann zur Hexe.

Die Atmosphäre in West of Dead ist wirklich großartig. Die Mischung aus Western und Dark Fantasy Themen funktioniert makellos. Der einzige vertonte Charakter im Spiel ist der Protagonist Mason. Als Sprecher für den Sheriff haben Upstream Arcade und Raw Fury niemand geringeren als Ron Perlman verpflichtet. Der Schauspielveteran, der unter anderem aus Hellboy und Sons of Anarchy bekannt ist, macht einen phänomenalen Job. Seine grimmige Stimme trägt Masons Monolog, der uns durch die Story führt, mit Pathos vor. Das zieht mich von Anfang an in den Bann der Unterwelt und lässt mich nicht mehr los. Der einzige Makel, der die Immersion empfindlich stört, sind die sich wiederholenden Einzeiler. Wenn Mason mich zum zwanzigsten Mal darauf aufmerksam macht, dass der Barkeeper im Saloon vielleicht etwas zu sagen hat und dieser dann ein knappes „Viel Glück“ rauspresst, kommt mir das sehr komisch vor.

Spielbare Graphic Novel

Die Entwickler_innen von Upstream Arcade haben einen tollen Job geleistet, indem sie in der weit verbreiteten Unity-Engine eine so individuelle Cell-Shading Grafik gezaubert haben. Die satten, aber düsteren Farben schmeicheln der Story des Racheepos West of Dead. Die minimalistischen Folk-Klänge unterstreichen den spielbaren Comic immerzu passend. Ich persönlich habe eine Schwäche für diesen Grafikstil, und da trifft der künstlerische Revolver des schicken West of Dead genau ins Schwarze.

Die Technik des Top-Down-Shooters war auch in der gespielten Vorabversion, in der der Day-One Patch noch nicht inkludiert war, makellos. Kein einziger Bug ist beim Spielen aufgefallen. Das Spielgeschehen war butterweich, was beim Ausweichen besonders wichtig ist.  Nur das Anvisieren der Gegner war ziemlich fummelig. Aufgrund des Umstands, dass Mason immer automatisch den nächsten Feind ins Auge fast, war es manchmal unmöglich den gewünschten Gegner zu treffen. Gerade wenn er von einer Meute quirliger Gegner umrundet wird, kann das sein Ableben bedeuten. Das war aber nur beim Spielen mit dem Controller der Fall. Maus und Tastatur visieren manuell an. Hier sollte Upstream Arcade noch nachbessern und eine Option zum Abschalten der automatischen Zielerkennung bieten.

Harte West of Dead Erfahrung

Ich spiele nicht ständig Rogelike-Games, bin aber auch kein blutiger Anfänger was dieses Genre betrifft. Der prozedural generierte Shooter West of Dead stellte mich teilweise jedoch vor große Herausforderungen. Aus diesem Grund war ich an besonders fiesen Stellen öfters frustriert. Trotzdem trieb mich der Ehrgeizig genug an, um den nächsten Run zu starten. Das ist vor allem dem interessanten Gameplay und der Atmosphäre geschuldet. Im Einheitsbrei aus pfeilschnellen Pixelart-Roguelikes hebt sich West of Dead klar mit seiner Art-Direction und dem bewusst langsameren Deckungssystem ab. Die Stimme von Ron Perlman ist da nur die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Die Story ist interessant, spielt aber trotzdem nur die zweite Geige, da sie quälend langsam voranschreitet. Insgesamt hätte ich mir gewünscht, dass die Writer die Hintergründe der Welt etwas mehr ausgeführt hätten. Da wurde etwas Potenzial verschenkt.

Der eigentliche Anreiz war zu jeder Zeit das Perfektionieren meines Spielstils, um doch endlich den nächsten Boss umzulegen. Diese großen Gegner zum Kapitelabschluss waren ein echtes Highlight meiner Spielerfahrung. Mit dem Wissen, dass ein einziger Fehler Mason zurück zum Anfang schicken kann, gehe ich mit Herzklopfen in die Begegnung und wäge das Timing jedes Angriffs vorsichtig ab. Die Befriedigung, wenn der Boss gefällt am Boden liegt, kommt schon fast an Souls-like RPGs heran. Der Wendigo, der Koloss mit dem Grabstein und der Prediger werden mir noch länger im Gedächtnis bleiben. West of Dead schafft es jedes Mal, mir erst Selbstvertrauen zu schenken, mich dann zu vernichten und mich schließlich doch bei der Stange zu halten. Und dafür liebe und hasse ich das Abenteuer von William Mason gleichermaßen.

7/10 ☠️

Developer: Upstream Arcade
Publisher: Raw Fury
Genre: Roguelike-Shooter
Team: Adam Langride (Code, Design), Imkan Hayati (Art, Design), Gwilym Reed (Code, Design), Patrick Martin (Art, Design)
Veröffentlichung: 18. Juni 2020 (Steam, Xbox One, Xbox Gamepass)

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Der Historiker von WTLW. Spielt alles vom Walking Simulator bis zum Point-and-Click Adventure, am Liebsten aber RPGs mit guter Narrative und Strategie.

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