Dandara bietet mit dem DLC Trials of Fear einen gehörigen Batzen neues Spielmaterial. Doch auch generell lohnt sich ein Blick.
Spiele wie Dandara benötigen meiner Meinung nach deutlich mehr Aufmerksamkeit. Eine starke, weibliche Hauptfigur, Person of Colour und ein Setting, das sehr von brasilianischer Folklore inspiriert ist. Das sollte nicht zu sehr verwundern, stammt das Spiel schließlich auch aus dem Hause Long Hat House, einem Studio aus Belo Horizonte, Brasilien. So bietet der Titel Identifikationsfläche für viele Menschen, die sich vielleicht nicht so stark in anderen Titeln repräsentiert sehen. Auch wenn sich mittlerweile schon viel an der Diversität der Charaktere und Erzählungen in Videospielen getan hat, ist es gut und wichtig, solchen Spielen auch den Raum zu geben, den sie verdienen. Vor allem, wenn sie sich so gut und herausfordernd spielen lassen wie Dandara!
Die Heldin, die meine Schwester gerne gehabt hätte
Ich habe früher sehr gerne mit meiner Schwester Videospiele nachgespielt. Draußen habe ich sie als Sonic gejagt, bin als Mario auf ihre Füße gesprungen oder habe mit ihr als Power Rangers gegen das Böse gekämpft. Sie hatte dabei immer das Problem, dass ich aus massig Helden aussuchen konnte, während die weiblichen Charaktere nur kaum etwas zu bieten hatten. Dass Samus Aran eine Alternative wäre, konnten wir zu dem Zeitpunkt unter ihrem bulkigen Anzug nicht erkennen. Jemand wie Dandara hätte sie wahrscheinlich schnell begeistert. Eine Heldin, die behände durch die Welt gleitet, von Oberfläche zu Oberfläche springt. Eine flinke Heldin, die lässig ihren dicken, gelben Schal hinter sich her wehen lässt. Ich bin mir sicher, sie hätte sich vorgestellt, wie sie mir so ihre Energiebälle um die Ohren schießt. Welch Zufall jedoch, dass sie sich dem gleichen Genre bedient, wie es die altbekannte Heldin aus dem Hause Nintendo schon tat.
Dandara war ursprünglich eine afro-brasilianische Kriegerin, die sich gegen die Sklaverei in Brasilien einsetzte und die Unterdrücker mit ihren Künsten im Capoeira bekämpfte. Sie unterstützte ihre Mitmenschen, indem sie mit ihnen trainierte, aber auch jagte und Landwirtschaft förderte, bis sie 1694 gefangengenommen wurde und daraufhin Selbstmord begang, um nicht erneut in der Sklaverei zu enden. Seitdem erzählt man sich in Brasilien ihre Geschichte. Im Spiel taucht sie nun wieder als eine Art Schutzpatron auf. Die Welt, welche hauptsächlich durch Salz funktioniert, gerät aus den Fugen. Der Bösewicht Eldar und seine Truppen wollen den magischen Rohstoff in ihrem Sinne nutzen. Dandara muss nun erneut das Land retten, indem sie das Salz und damit auch die Bevölkerung befreit. Zum Glück hat sie einige nützliche Fähigkeiten, die ihr einen ordentlichen Vorteil im Kampf verschaffen können.
Über Stock und über Steine bricht Dandara Gegners’ Beine
Was Dandara als Charakter so beeindruckend macht, ist vor allem ihre Art, sich fortzubewegen. Wenn ich mich einmal eingespielt habe, fege ich in Sekundenschnelle durch die Welt. Ich flitze von Raum zu Raum, überbrücke lange Distanzen ohne Schwierigkeiten und erledige jeden Gegner auf der Strecke. Und das alles, ohne die Heldin auch nur einen Schritt laufen zu lassen. Dandara bewegt sich nämlich nur springend fort. Von einer glatten Oberfläche zur nächsten stürzt sie sich von Wand zu Wand, ohne sich dabei an der Schwerkraft zu stören. So lasse ich sie gegnerischen Schüssen ausweichen, platziere sie geschickt und feuere leuchtende Pfeile auf ihre Widersacher. Ich fühle mich nahezu unbesiegbar, wenn diese Abläufe fehlerfrei funktionieren. Das liegt mit Sicherheit auch an der sauberen Pixeloptik, die Dandara eine ordentliche Portion Eleganz verleiht.
Dieses Level an Geschick hätte meine Schwester sich damals aber wahrscheinlich nicht zum Vorbild nehmen können. Denn auch wenn gerade zu Beginn alles noch flüssig zu laufen scheint, stoße selbst ich als erwachsener Mann irgendwann an meine Grenzen. Zum Ende hin nimmt der Schwierigkeitsgrad rapide zu. Auf dem gesamten Bildschirm fliegen die Geschosse umher, sichere Orte müssen in Windeseile ausgemacht und sofort auch wieder verlassen werden. Und das alles, während Dandaras Umwelt auch immer unangenehmer wird. Plötzlich tauchen Stacheln aus dem Boden auf, der Untergrund wird elektrisiert. Und als ob das nicht schon genug wäre, stehe ich plötzlich auf einer Plattform, die sich vom Rückstoß meiner Schüsse auch noch bewegt. Bei dieser Hektik einen kühlen Kopf zu bewahren schaffen wahrscheinlich nur die abgebrühtesten Heldinnen. Ich jedoch habe häufiger gefrustet den Rechner ausgeschaltet, um mich sammeln und abregen zu können.
Kannst du mir bitte das Salz reichen?
Ich könnte vor solch heiklen Situationen doch einfach wegrennen, oder nicht? Kann ich den Stress nicht einfach umgehen? Leider nur bedingt. Zum einen ist es sinnvoll, jeden Winkel der Welt zu erforschen. Dandara erlernt immer mehr nützliche Fähigkeiten, wie zum Beispiel ein Schutzschild oder Raketen. Das hilft mir sowohl im Kampf als auch im Entdecken neuer Abschnitte. Dort stoße ich nämlich auf weitere Schatztruhen, die mir mehr Heiltränke für Lebensenergie oder Magietränke für das Abfeuern der Raketen bieten. Diese kann ich nämlich sonst nur an vereinzelten Lagern auftanken. Das speichert zwar meinen Fortschritt, lässt aber auch alle besiegten Gegner erneut auftauchen. Manchmal war das jedoch das allerletzte, was ich mir noch aufhalsen wollte.
Zum anderen bringen uns diese Auseinandersetzungen auch wichtiges Salz. Das Salz im Spiel ist der Ursprung alles Seins. Alles besteht aus Salz, alles wird zu Salz. So auch Dandara oder alle Feinde. Je mehr ich davon sammle, desto mächtiger kann meine stolze Kriegerin werden. Mehr Energie, mehr Magie und bessere Heilfertigkeiten für diese Werte. Und gerade am Ende, wenn alles drunter und drüber geht, war ich froh um jeden erhöhten Statuswert. Blöd ist nur, wenn Dandara das zeitliche segnet. Dann lande ich ohne mein ganzes weißes Gold am letzten Lager und muss ein salziges Ebenbild meiner Heldin einsammeln, um es wiederzubekommen. Ansonsten war alle Mühe umsonst. Wäre meine Heldin nicht so ausgesprochen flink unterwegs, würde mich so eine Mechanik wahrscheinlich gänzlich in die Frustration treiben.
Wie wäre es mit einem kleinen Abstecher?
Ist mir Eldars Festung zur Rettung der Welt zu heikel, kann ich immerhin noch die neuen Gebiete der Erweiterung Trials of Fear abklappern. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat Dandara nämlich hier die Möglichkeit, eine Art Paralleluniversum zu besuchen. Und während ich vorher durch ein Dorf voller Graffitis, alte Ruinen oder hochtechnologisierte Festungen düste, lande ich plötzlich in einer düsteren Welt voller dorniger Ranken. Über allem liegt ein schwarzer und roter Schatten. Ein riesiges Gebiet will nun erforscht werden, welches keinen Deut leichter als die letzten Abschnitte des ursprünglichen Spiels ist. Ich dringe in das tiefste Innere der Welt vor und stoße auch hier auf den Einfluss Eldars. Und trotzdem scheint mich etwas immer weiter in diesen Abschnitt zu ziehen. Ich will mich durchbeißen.
Das neue Gebiet gibt nämlich enorm viele Anlässe, die Geschichte rund um Dandaras Welt auszubauen. Ich stoße auf neue Erklärungen und Ansätze, Charaktere erläutern mir das Geschehene. Und ich finde weitere Fertigkeiten, die mir sicherlich helfen können. So wird beispielsweise mein Sprung von einer zur anderen Wand direkt ein Angriff. So schwer es auch war, diese Fähigkeit zu erlangen, hilft sie mir ungemein für alles weitere. Die Trials of Fear wecken meine Motivation aufs Neue. Ich fühle mich gewappneter denn je mich den hiesigen Bossen und auch Eldar zu stellen. Damit habe ich nicht gerechnet. Wie sehr mich die neuen Mechaniken sowie das Meistern der Herausforderungen wieder ins Spiel ziehen, um doch noch die Welt zu retten, überrascht mich. Ich bin aber auch dankbar um diese Erfahrung.
Ein lohnendes Vorbild
Auch, wenn Dandaras Abenteuer für die jüngeren Spieler_innen zu anspruchsvoll sein dürfte, hat sie das Potential, eine starke Identifkationsfigur zu werden. Ihre Kräfte sind beeindruckend, ihre Geschwindigkeit atemberaubend und ihre Geschichte rückt eine Kultur in den Mittelpunkt, mit der ich mich zuvor nie intensiver auseinandergesetzt habe. Wenn ich schon durch dieses Spiel anfange, mich in brasilianische Folklore einzulesen, kann Dandara auch für andere Menschen eine wichtige Figur werden. Und so schwer die Herausforderungen auch sein mögen, die in diesem Spiel warten, so großartig ist auch das Gefühl, sie endlich zu meistern. Das Metroidvania Dandara: Trials of Fear Edition findet die perfekte Balance aus Herausforderung und Euphorie, aus Hindernissen und Spielfluss. Ich bleibe dabei, ich wäre froh, wenn mehr Menschen dieses Spiel entdecken und Dandara als starke Figur in Erinnerung halten, deren Geschichte Inspiration und Vorbild sein kann.
9/10 <3
Developer: Long Hat House
Publisher: Raw Fury
Genre: Metroidvania
Team: João Brant, Lucas Mattos (Developer), Ludic Side (UI Design/Development), Victor Leão (Lead Artist), Giulia Yamasaki (Cutscene Art), Anna Bobreková, Rufio of the Void, Mike Harrington (Writing, Narrative)
Musik: Thommaz Kauffmann
Auszeichnungen: Best Brazilian Game (Brazilian Game Award 2018), Best Game (SBGAMES 2018), Best Design (SBGAMES 2018)
Veröffentlichung: 6. Februar 2018 (Steam, PS4, Xbox One, Switch, Android, iOS), Trials of Fear Edition: 5. März 2020 (Steam, PS4, Xbox One, Switch, Android, iOS)
Die Couchkartoffel von WTLW. Sein Seelentier ist definitiv ein Relaxo! Am liebsten hockt er zu Hause und spielt Videospiele. Seine Nase steckt er dabei in alles mögliche, wagt sich an jedes Genre und hat schon diverse Horrorspiele abgebrochen, weil er nicht der Idiot sein wollte, der jetzt die Treppe herunter zum gruseligen Geräusch geht.