Repressed Review | Schattenspieler

Dein Geist ist ein komplexes Gebilde in dem etliche Erinnerungen lagern. Nach manchen musst du tief graben. Wie in Repressed.

Erinnerungen. Manche von ihnen sind leicht hervorzurufen, vielleicht ständig present. Ob positiv oder negativ besetzt spielt vordergründig erst einmal keine Rolle, auch wenn die positiven erinnerungswürdiger erscheinen. Es gibt Gedanken, die drängen sich auf. Ob als Assoziationskette des Gedankengangs oder als Folge einer Emotion die gerade erlebt wurde.

Doch es gibt auch Erinnerungen, die tief im Bewusstsein verschüttet wurden. Vielleicht weil wir sie nicht mehr benötigen, vielleicht weil konkrete Teile fehlen. Sie können aber auch tief in unserem Bewusstsein vergraben worden sein, weil wir Angst vor ihnen haben. Angst vor der Konfrontation, den Folgen. Sie werden als eine Art Schutzmechanismus immer tiefer in der Architektur des Geistes verlagert. Eine Art Unterdrückung. Die so verlagerten Erinnerungen können nur noch mit großer Anstrengung hervorgekramt werden. Und oft nicht mal ohne Hilfe.

Repressed / Unterdrückt

In Sigur Studios Repressed tauchst du tief in deinen Geist ein, um einen verschütteten Vorfall wieder hervorzuholen, der in den Fragmenten, in denen er existiert, absolut keinen Sinn ergibt. Also läufst du immer tiefer in das architektonische Konstrukt der Gedanken. Du gehst auf die Suche nach Erinnerungen, die mit diesem Vorfall im Zusammenhang stehen und versuchst Vorhandenes mit ihnen zu verknüpfen.

Doch all das scheint gar nicht so einfach. Deine innere Stimme versucht dich auf den richtigen Pfad zu bringen. Hier ist alles so klinisch, so steril, so groß, monumental, so verzweigt und doch gleich, dass du nie weißt wo du wirklich anfangen sollst. Ein weißer, hochbeleuchteter, kontrastreicher Bau. Fast schon wie ein Erinnerungslabyrinth, eine moderne Kunstgalerie, in der auf weitläufigen Flächen markante Momente deines Lebens in knalligem Rot plastisch ausgestellt werden. Wohlfühlen kannst du dich hier nicht. Es bedrückt dich, aber du bist ja auch nicht hier, um genussvoll Kunst zu begutachten, sondern um deine tiefsten unterdrückten Erinnerungen wiederzufinden. Und allein bist du zum Glück auch nicht. Du hast ja deine innere Stimme bei dir.

Nur ein Schatten deiner selbst

Repressed inszeniert deine innere Erscheinung als Schatten. Platt von der charakteristischen Belichtung auf den Boden projiziert. Ganz so als wärest du unsichtbar aber vom Licht doch greifbar.
Repressed beschränkt seine Farbwahl auf markante Kontraste. Weiß, Schwarz und Rot. Große weiße Flächen werden immer wieder von schwarzen mächtigen Schatten unterbrochen. Die Inspirationen von Künstlern wie Yannis Kokkos, Josef Svoboda, Adolph Appia oder in abstrakter Weise auch eines Frank Millers treten in Erscheinung. Allesamt Künstler mit monumentalen Vorlieben und Meister der Figuren, des Licht- und Schattenspiels oder des markanten Farbakzents.

Die großflächigen Schatten bedeuten in Repressed auf der einen Seite Bedrohung, auf der anderen jedoch Hilfe. Da du selbst nur ein Schatten deiner selbst bist, verschwindest du bei Berührung in der monströsen Dunkelheit und tauchst am letzten Speicherpunkt wieder auf. Doch zum Glück lässt sich der Winkel der Belichtung an bestimmten Orten ändern. So entstehen freie Wege und neue Möglichkeiten innerhalb des Labyrinths.

Vordergründig ist Repressed ein Puzzler. Um Wege zu erschließen musst du immer wieder den Beleuchtungswinkel justieren. Fordern wird dich Repressed jedoch fast nie. Die zusammengebastelten Puzzle und Logikparts dienen lediglich als Subebene des immer tieferen Eindringens in dein Unterbewusstsein. Das Spielsystem wurde zu großen Teilen auch plausibel ins Spielgeschehen integriert, bloß bleiben Kameraeinstellung und die Bewegung als reiner Schatten immer auch äußerst ungewöhnlich und behäbig in der Wahrnehmung. So passiert es mitunter, dass du die Bewegung deines Schattens nicht richtig einschätzen kannst und im tiefen Schwarz abermals verschwindest.
Innerhalb größerer Puzzleaktionen führte das justieren der Kamera zu erhöhten Unwohlsein.

Was ist bloß mit dir los?

Die narrative Ebene gleicht die Schwächen im Gameplay zumindest über weite Strecken von Repressed aus. Die Suche nach den Erinnerungen, das langsame Näherkommen hin zu einer stimmigen Erklärung, es wurde ansprechend und vor allem kräftezehrend inszeniert. Doch mitunter verfestigt sich im Laufe der Zeit das Gefühl, dass du nie so wirklich richtig einsteigst oder ankommst. Deine innere Stimme ist zwar markant, jedoch nicht unbedingt eindringlich und schockierend. Dieses Gefühl legt sich dann auch auf das immer tiefere Graben nach weiteren Erinnerungen. Sie scheinen drastisch, transportieren jedoch leichte mitschwingende Emotionslosigkeit.

Doch Repressed besitzt einen recht schlauen Kniff, der dem Erforschen deiner inneren Gefühlswelt im echten Leben recht nahe kommt. Es formuliert deine unterbewusste Bereitschaft der Aufgabe. Repressed stellt immer wieder in Frage, ob du überhaupt in der Lage bist, diese schwerwiegende Erinnerung wieder ans Tageslicht zu befördern. Und genau dieser Fakt war es, der dann doch alle negativen Eigenschaften des Puzzlers von Sigur Studio bündelt und nahezu in Richtung Nichtigkeiten verschiebt.

Wenn es ein Werk schafft diesen unvorstellbaren Kraftaufwand den es braucht, diese Sensibilität, die schiere Unsicherheit und Angst zu transportieren, hat es am Ende doch mehr richtig gemacht als falsch. Repressed hat mich zum Nachdenken angeregt, mich aufgefordert es flux in zwei Sitzungen durchzuspielen, trotz anlagetechnischer Schwierigkeiten und emotionaler Vernebelung.

Repressed ist eine eigene künstlerische Interpretation des Kampfes mit Unterdrückungsmechanismen und Ängsten. Bei weitem absolut nicht für jede_n geeignet. Es ist eine gewagte, minimalistische, nicht immer strahlende oder glattgebügelte, am Ende aber doch wirkungsvolle Erfahrung. Und genau das ist es, was Kunst am Ende erreichen kann. Wirkung!

7/10 <3

Developer: Sigur Studio
Publisher: ARP Games
Veröffentlichung: 26. September 2019 (Steam)

Autorin: Benja Hiller
Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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