A Place for the Unwilling Review | Die Hoffnung stirbt zuerst

In A Place for the Unwilling erlebst du die letzten 21 Tage einer sterbenden Stadt. Hier stirbt jedoch etwas anderes.

Ein letzter Wunsch. Henry, dein Freund aus Kindheitstagen, hat in seinem Testament genau einen letzten Wunsch festgehalten. Er möchte, dass du in seine ehemalige Stadt ziehst und sein Unternehmen übernimmst. Aber warum? Ihr habt euch seit Jahrzehnten nicht gesehen.
Doch Henrys letzter Wunsch beinhaltet eine derartige emotionale Dringlichkeit, dass du seinen Wunsch annimmst. Nicht nur, um sein Unternehmen fortzuführen, sondern, um mehr über diese mysteriöse Stadt, seinen ehemaligen Alltag und die ganzen Menschen herauszufinden, mit denen er tagtäglich im Austausch stand. Nur dann ist es eventuell möglich, die Gründe seines Suizids zu lüften und zu begreifen.

Und am Anfang steht die völlige Unwissenheit

Das narrative Adventure A Place for the Unwilling lässt dich dem Wunsch von Henry – nach dem doch harten und emotionalen Einstieg im Intro – folgen. Du übernimmst sein Unternehmen und musst dich in einer völlig neuen Stadt zurechtfinden. Handelskontakte etablieren, Geld verdienen, Freunde und Vertraute gewinnen, dich um die Hinterbliebenen von Henry kümmern und eventuell in der Stadtgemeinschaft einbringen.
Klingt viel? Ist es auch! Denn in AI Pixel Games isometrischem Narrative tickt deine Taschenuhr in gnadenloser Präzision. Alles zu erledigen und mit jedem zu Reden ist schier unmöglich, gerade vor dem Hintergrund, dass du neu in der Stadt bist. Hallo Orientierung? Deine eingepackte Karte zeigt zwar die wichtigsten Straßen, jedoch nicht wo genau sich Orte und Menschen befinden. Du musst suchen und dir den Standort im besten Fall einprägen. Ziemlich organische Auslegung.

Zudem ähnelt sich das Stadtbild in den verschiedenen Bezirken enorm. Lediglich ein Fluss trennt das Viertel der Reichen von den Armen und setzt die Szenerie in ein düsteres rötliches und grünes Licht. Ein dichter Nebel durchzieht die schmalen Gassen die des Tags und des Nachts daher im schummrigen Schein der Straßenlaternen ihre lieblichen Konturen preisgeben.

Während Unbekannte auf den Straßen für immer einen Grauschleier mit sich herumtragen, lüften die erweiterten Charaktere von A Place for the Unwilling diesen nach Erstkontakt.
Doch so viel Wünsche sie auch an dich herantragen mögen, du musst dich entscheiden mit wem du engere Beziehungen eingehen willst. Auch mit verschärftem Blick auf dein tägliches Geschäft. Du kannst arbeiten, musst es aber nicht. Du kannst Freundschaften schließen oder Menschen helfen, nur wem? Wo liegen deine Prioritäten?

Du brauchst schließlich immer mindestens zwölf Stunden Schlaf pro Tag. Verschiebst du deinen Ausflug nach hinten, stehst du auch erst später auf. Gehst du jedoch zu der frühst möglichen Zeit, um 18:00 Uhr ins Bett, verlängert sich dein Schönheitsschlaf um drei Stunden. Aufstehen ist in diesem Fall immer um 9:00 Uhr. Verfluchte Zeit!

A Place for the Unwilling – Ein vorzüglich treffender Titel

Jede Entscheidung und jeder Kontakt hat daher eigene Auswirkungen innerhalb der Stadt, die in 21 Tagen das zeitliche segnen wird, und auf den Ausgang der Geschichte. Die unterschiedlichen Charaktere besitzen eigene Hintergrundgeschichten, die Abseits von Henry, der immer mal wieder in Traumsequenzen auftaucht, nie über den Punkt der netten Sidestory hinauskommen. Den meisten fehlt es schlicht an Tiefe und Bedeutung.

Eine Dickens inspirierte Welt ohne Dickens eigenwilligen, intensiven Charakteranspruch. In der Diversität dieses Umstandes variiert das Spektrum der Geschichten jedoch. Und vor allem auch in der Sympathie, die den Kontakt mit manchen Menschen in der Stadt dann doch lohnenswert erscheinen lassen. Der Kontakt zur verkappten französischen Mittelstandsverkäuferin mit Vorliebe zu Vorhängen zum Beispiel oder dem verschrobenen Buchladenbesitzer mit philosophischem Hang zur klassischen Literatur.

All das gestaltet sich vor dem liebenswerten, fasst schon knuffigen Design mit hohem Knollnasenfaktor zu Anfang dennoch interessant. Doch mit voranschreiten der Tage und der zunehmenden Erledigung der Aufgaben gibt es in dieser Welt immer weniger zu erleben. Vielleicht hätte ich fliehen sollen als Henry das empfohlen hatte, jedoch, ich wusste nicht wie.

Bekannte Menschen haben zunehmend nichts mehr zu berichten und auch absolut keine Zeit für dich. Vielleicht auch aus Frustration über deine Nicht-Erledigten Aufgaben.  Das Gefühl überträgt sich auf dein Erlebnis.
Angesprochene Hintergründe werden zunehmend vergessen, ganze Storystränge einfach abgewürgt. Es erscheint auch mit der Zeit schwierig, wirklich alle Menschen ausfindig zu machen mit denen du interagieren kannst und sollst. A Place for the Unwilling wird spielerisch zu dem Ort, den es auch namentlich vorgibt zu sein. Der Ort der Unwilligen. Reden will am Ende meines Spieldurchgangs niemand mehr. Vielleicht aufgrund meines Verhaltens, vielleicht weil 21 Tage einfach zu lang sind, vielleicht weil den Charakteren die Möglichkeiten fehlen. Ein weiterer Spieldurchgang würde das eventuell klären, jedoch die Hoffnung ist gänzlich gestorben dies irgendwann noch einmal in Angriff zu nehmen.

Die Kluft zwischen Anspruch und Ausführung

So sehr mich das Konzept der suggerierten Freiheit auch anspricht, das schier unendliche Äste der Entscheidungen zu anderen Verläufen der Story führen lassen soll. So arg ich mich in das anspruchsvolle Konzept, die hinreißende, naive Optik und die Geräuschkulisse der Stadt verliebt habe, allein die endlosen technischen Fehler innerhalb des Spiels halten mich davon ab es noch einmal zu versuchen.

Nach Abstürzen des Spiels und Hängenbleiben in der Welt vor der eigentlichen Veröffentlichung, wollte ich A Place for the Unwilling die Chance einräumen diese mit den ersten Patches zu begleichen. Lediglich das Hängenbleiben an Stühlen, Dingen oder Personen scheint bis jetzt nahezu beseitigt. Tag 15 musste ich auch nach Release ganze vier mal starten, um ihn endlich beenden zu können. Tag 21 lässt sich bis jetzt für mich nicht abschließen – oder nicht offensichtlich – und damit auch nicht das Spiel.

Es gibt nach wie vor Coding Probleme, die innerhalb der Texte offenlegen, wie sie im Ursprung aussahen. Es gibt Probleme in der Ansprache. Denn trotz gegenteilig gewählten Pronomen zu Anfang wirst du immer wieder mit einem anderen angesprochen. Viele kleine Dinge, die dich in der Summe völlig aus dem eigentlich netten Spielkonzept zerren.

In Kombination mit der dürftigen Aufgabenstruktur, die immer Hol- und Bringdienste bereithält und dem Verlieren des Fadens, der nach anfänglicher, akuter Dringlichkeit einfach so reißt und in der Belanglosigkeit endet, gibt es kaum Argumente A Place for the Unwilling vor etlichen weiteren Verbesserungen noch einmal eine Chance zu geben. Auch wenn sie bei all den Möglichkeiten des Spiels nur meinen eigenwilligen Weg durch das verzweigte Storyboard beeinflussen könnten. Die Komplexität des Aufbaus könnte andere Spielerlebnisse völlig unproblematisch und plausibel gestalten.

Und genau dieser Fakt schmerzt am Meisten. Es ist die fehlende Balance zwischen Anspruch des Konzepts und finaler Ausführung. Nicht die Ernsthaftigkeit in dem Umstand, dass diese so liebevolle, mysteriöse Stadt mit Fortschreiten des Minutenzeigers ihrem Ableben entgegen strebt. Auch nicht das durchaus spaßige Handelssystem, das mich irgendwann das Optimum des Gewinns ausklamüsern lies.

Atmosphärisch macht AI Pixel Games Adventure nichts falsch. Es sind die wenig aufreibenden Storyelemente und die fehlende Spannungskurve im Spielverlauf, die sogar Morde beiläufig erscheinen lässt. Es sind die vielen technischen Schwächen, die mich zusätzlich aus der trüben Stadt katapultieren. Es ist die in das Spielkonzept gesetzte Hoffnung, die mit jeder Stunde A Place for the Unwilling ein kleines bisschen stirbt.

Und das ist dann das tragischste Ereignis an einem Spielerlebnis. Denn es zerreist dir das Herz, ein optisch liebgewonnenes Spiel, in dem das unendliche Potenzial immer spürbar erscheint, nicht ausgeschöpft zu wissen. AI Pixel Games hätten durchaus noch ein wenig mehr Zeit gebrauchen können, um nicht nur technische Elemente zu polieren, sondern auch Handlungsstränge, Charaktere und Spielsystem zu verfeinern und zu vertiefen. Denn tief im Inneren der Dickens inspirierten Welt steckt ein comichafter Dickens mit Knollnase, der an die Oberfläche drängen will, aber von unsichtbaren Mächten zurückgehalten wird.

5/10 <3

Developer/Publisher: AI Pixel Games
Team: Luis Díaz, Rubén Calles, Celer Gutiérrez, Ángle Luis Sucasas, Miguel López-Bachiller, Martín Pane
Veröffentlichung: 25. Juli 2019 (Steam)

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=qm8cUigEHbM&w=560&h=315]

Autorin: Benja Hiller
Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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