GRIP: Combat Racing – AirBlade Anti-Grav Update Review | Hermann fährt mit

Der spirituelle Nachfolger des 99er Arcade-Racers Rollcage ist eigentlich schon im November 2018 erschienen. Ein Update, das ein weiteres Anti-Gravity Genre im Spiel integriert, sorgt für erneute Aktualität. Doch was bringt die Fusion?

Hermann Tilke! Immer und immer wieder schwirrt mir dieser Name während des Spielens von GRIP im Kopf herum. Immer, wenn ich gerade unvorhersehbar an einem Mauervorsprung abpralle, ob der Streckenführung ungläubig den Kopf schüttle oder in einer heraustehenden Leitplanke hängen bleibe, Hermann Tilke. Vermutlich regt dieser Name bei dir nicht den Ansatz einer Emotion. Um Hermann Tilke im Gedächtnis abgespeichert zu haben, musst du vermutlich F1 interessiert sein, eventuell sogar tief verwurzelt in der Materie mit nahezu fanatisch anmutenden Zügen nach Informationsdrang. Hermann Tilke ist Bauingeneur.

Und das hat jetzt was mit F1 zu tun?

Hermann Tilke ist der Lieblingsstreckendesigner der FIA – dem Automobilen Weltverband – der nahezu alle Rennsportereignisse der Welt ausrichtet. So ziemlich jede neue Strecke im Formel 1 Kalender hat Tilke gebaut. Sepang, Bahrain und Shanghai entstammen seiner „kreativen“ Feder. Erweiterung Ost. Da der gute Hermann so gerne Rennstrecken zeichnet, hat er sich inzwischen einen praktischen Baukasten zugelegt. So scheinen bestimmte Streckenteile immer und immer wiederzukehren. Die langen Hermann Gedächtnisgeraden, die folgende enge Kehre, eine S-Kurven Folge mit exakt gleichem Radius, eine Hochgeschwindigkeitskurve und natürlich diverse variable 90 Grad Kurven, die den Kurs irgendwie wieder zusammenführen. Achso, dazu bastelt Hermann extravagant aussehende Gebäude für den Streckenrand und fertig ist der „Spaß“.

Eigentlich sollen diese neuen breiten Kurse mit langen Geraden, harten Bremspunkten und breiten Straßen die Rennaction fördern. Wenn du dir mal ein Rennen in Malaysia angeschaut hast spricht das sogar für den guten Hermann. Deshalb zieren in diesem Jahr ganze sechs seiner Rennstrecken den Rennkalender der F1. In Malaysia, also eine der gelungenen Strecken wird dieses Jahr aber gar nicht gefahren und der Indische Kurs wurde schon komplett für die Nutzung verworfen.
Kritiker und Rennfahrer behaupten, Hermanns Strecken seien langweilig immer wieder gleich, aus denselben exakten Radien bestehend, wenig anspruchsvoll, am Interesse der Zuschauer_innen vorbeigeplant und ohne Seele. Also schlicht das Gegenteil von Fahrspaß. Nanu? Wieso kann der liebe Hermann denn dann weiterhin Strecken bauen wenn sogar im Raum steht, dass er mit seinem neuen Streckendesign den markanten Hockenheimring zerstört hätte?

Und das hat jetzt was mit GRIP zu tun?

Nun mag manche Strecke tatsächlich noch gut für das Auge des_der Betrachter_in funktionieren. Wenn aber Rennfahrer_innen nicht wirklich Lust haben die immerzu selben Streckenbschnitte in verschiedenen Varianten zu fahren und sich wie bekloppt auf Jahrzehnte alte Kurse freuen, auf denen Überholen eventuell unmöglich, aber vor allem Fahrspaß und Anspruch garantiert scheinen, stimmt vielleicht irgendetwas mit den Strecken nicht.

Was lernen wir also von Hermann? Hermann baut den reichen Menschen der Welt vielleicht prachtvolle Gebäude am Rande der Strecke, über die sie dann fachsimpeln können und im farbenprächtigen Lichtspiel der Nacht die imposante Szenerie auf Postkarten drucken können. Die Kurse selber sind aber so belanglos wie die A1 zwischen Hamburg und Bremen.
Rennstreckendesign ist also nicht ganz so einfach. Wenn es ein Bauingenieur und Spezialist für Rennstreckendesign nur in den seltensten Fällen gelingt, sich dann aber ständig wiederholen muss, warum sollten es dann also Videospieledesigner_innen überhaupt besser machen? Und genau jetzt sind wir bei GRIP angekommen.

Nun stehen zumindest auf den Rennstrecken der Welt zum Glück keine Felsen, Vorsprünge, Strommasten, Fässer oder sonstiger Kram herum. Wäre bei 330 km/h in der Spitze auch nicht ganz so angenehm. Allein der Effekt des plötzlichen Ausweichens ist in solchen Situationen, bei derartigen Geschwindigkeiten, wohl keine Frage des Könnens. Nun, in GRIP: Combat Racing musst du jederzeit mit unvorhergesehenen Dingen rechnen. Und das nicht etwa bei 330 km/h, sondern bei ca. 450 – 800 km/h und mehr. Während Tilke auf kalkulierbares Risiko setzt, ist in GRIP von Caged Element alles möglich, vieles jedoch unmöglich. In der Streckenanlage sind sich aber beide sehr ähnlich. Das Design der Umgebung scheint wichtiger als die Strecke selbst.

Das WipeOut Moment

Vor ca. einem Monat – am 9. Mai 2019 – bekam GRIP: Combat Racing ein umfassendes Update. Das AirBlades Anti-Grav Update brachte 15 neue Fahrzeuge, oder eher Flugzeuge? 15 raumschiffähnliche Speedraketen, die den Boden nahezu zu streifen scheinen und doch irgendwie schweben. Aus dem reinen Rollcage Nachfolger wurde ein Hybrid mit WipeOut Gedenkelement. Nun kannst du frei entscheiden, ob du lieber mit panzerartigen Fahrzeugen und übergroßen Rädern im Hot Wheels Style durch die futuristisch anmutenden Landstriche rasen willst oder per Äquivalent ganz ohne Räder elegant umherschiffst.

Während Wired Productions Geschäftsführer Leo Zullo von visionären Ideen und der Neudefinition des Racing-Genres spricht, bleibt deine Euphorie eher dort wo sich Rollcages und Airblades zumeist befinden. Auf dem Asphalt. Oder eben kurz drüber.
GRIP: Combat Racing schickt dich mit diesen unglaublich schnellen Gefährten auf die variantenreichen Strecken, dessen vorrangiges Rennspektakel von verschiedenen Rennmodi diktiert wird. Zwischen regulären Rennen mit Geschwindigkeitspowerup wechselt das Geschehen auch immer wieder zu itembasierten Rennen mit Waffen, Eleminierungsveranstaltungen, punktebasierten Varianten und kompletten Arena Deathmatches. Ob in einer Art Karriere, nur mal so zwischendurch zum Spaß, im Online Multiplayer oder auf der Couch mit Freund_innen. GRIP geht eigentlich immer. Zumindest sollte es das bei dieser Art der Auslegung. Doch, du erinnerst dich an den guten Hermann?

„Stau auf A1: Unbekannter Gegenstand zwischen Westhofener Kreuz und Kamener Kreuz.“

Egal ob Raumschiff oder vollverpanzerter Buggy. Ein variierendes Fahrverhalten der absolut unterschiedlich ausgelegten Vehikel ist nahezu nicht wahrnehmbar. Lenkung, Gefühl, Antrieb, Übermittlung? Ziemlich gleich und absolut vage. Als hätten sie einfach die Räder abgeschraubt. Nur Unterschiede innerhalb der einzelnen Klassen kommen zum Tragen, wenn Beschleunigung, Höchstgeschwindigkeit und Fahrverhalten zu geringen Teilen die Auslegung des futuristischen Rennwagens beeinflussen.
Also ab auf die Strecke, Geschwindigkeit genießen. Während Herr Tilke sich nur auf die flache Ebene mit sanften Erhebungen konzentrieren musste, haben sich die Entwickler_innen bei Caged Element dreidimensional austoben können. Dank der hohen Geschwindigkeiten und der enormen Anziehungskraft trotzen die Gefährte der Schwerkraft, rasen an Wänden entlang, über Kopf, durch Loopings, Röhren und Korkenzieher. Vorbei an Ruinen, Städten, Felsen und Übertragungsmasten. Was auf dem schlichtesten Rundkurs nahezu ohne Hindernisse noch hinreißend funktioniert, Geschwindigkeit vermittelt und Spielspaß bereitet, vergeht mit zunehmender Komplexität und Verplanung der Streckenführung. Die Folge: Unvorhersehbarkeit, Kontrollverlust, Orientierungsverlust und Chaos.
Natürlich ist das GRIP Erlebnis genau auf diese Dinge geeicht. Doch wenn Streckenführungen viel zu lang erscheinen, absolut nicht nachvollzogen werden können und Hindernisse dich in deinem Hochgeschwindigkeitsracer ständig daran hindern schnell zu fahren, tritt der frühere Sonic-Effekt ein. Denn schon SEGA besaß in den frühen 90ern den Drang den schnellen blauen Igel immer und immer wieder in seinem sich gerade entwickelnden Geschwindigkeitsrausch zu stoppen. Anti-Entwicklungshilfe!

Noch immer Retro

Dabei ist es eher Enttäuschung die überwiegt, denn eigentlich besitzt GRIP gute spielerische Anlagen. Die Präsentation zeigt sich, abgesehen von den etwas beiläufig gestalteten Menüs, durchaus rund. Während der Ladebildschirme darfst du dir künstlerisch gestaltete Comic Varianten der Szenerie anschauen. Der Rollcage Stil wurde eigenwillig und konsequent weitergeführt, ohne sich grafischen Leistungsspitzen anzubidern. Die musikalische Ebene mag wohlwollend die Geschwindigkeit unterstützen, Landstriche und hoch aufgetürmte Städte vermitteln gewünschtes Ambiente. Atmosphärisch wirkt GRIP rund. Aber genau das vermitteln auch Hermanns durchgestylte Rennpaläste. Eigentlich willst du mehr Staub aus Kanada, mehr von diesem GRIP-Speedoval.

Befinden sich Chaos und Balancemomentum auf deiner Seite, entwickelt sich ein fließendes High, das du nur zu gerne auskosten würdest. Genau in diesen Phasen macht der Future-Racer am meisten Spaß. In diesen Momenten geht Geschwindigkeit Hand in Hand mit dem Geschehen. Doch schon im nächsten Moment prallst du unvorhergesehen irgendwo gegen, stürzt von der Strecke, fällst in ein Loch oder wirst eben von einem Renngegner mit Raketen gestoppt. Hier kommt dann die Balance des Spiels zum Tragen, die dich kaum noch aufschließen lässt. Anstatt sich auf imposante Bauten und Gängelungen auf der Straße zu konzentrieren, wäre eine fließende Streckenführung genau das was GRIP braucht. Wenn deine Fahrzeuge schon unglaublich schnell sind, brauchst du keine komplexen, undurchsichtigen Straßendesigns. Du brauchst eine weiche, überschaubare Anlage, die deinen Geschwindigkeitsrausch unterstützt, nicht behindert. Was du brauchst ist Fairness. Denn dann kannst du Waffenanggriffe durch Können ausgleichen, nicht durch Glück. Doch Fairness findest du auf den Rennstrecken im GRIP Universum leider nicht. GRIP bräuchte vielleicht ein umfassendes Streckenupdate. Ein Abrissunternehmen, das gefährliche Masten und Felsen entfernt, eine Räummaschine, die Fässer einräumt und ein Poliermaschine, die fiese Ecken glättet und Fluss ins Straßenbett zaubert, um mit 700 km/h sanft und vorbereitet dem Horizont entgegengleiten zu können. GRIP braucht nicht nur WipeOut Raumschiffe als Inspiration, sondern sollte sich auch die Streckenführungen noch mal näher anschauen.

Wahrscheinlich will GRIP Combat Racing das jedoch gar nicht. Fehlende Balance, Fairness, Verbindung zu den Fahrzeugen und zweifelhaftes Streckendesign gab es auch schon 1999 in Rollcage. Es ist eine klassische Weiterführung des Genres und keine moderne Interpretation. Als hättest du den damals schon behäbig wirkenden Vorgänger einfach in eine neue Hülle verfrachtet. Hattest du damals schon Spaß am unberechenbaren Chaos, wirst du es auch jetzt haben. Die positiven, flüssigen Elemente von WipeOut besitzt das GRIP Baby – das der Anti-Gravity-Race Klassiker laut Wired Productions mit Rollcage hatte – leider auch nach dem Update nicht. Eine gute Retroerfahrung mit deinen Freunden ist aber allemal drin. Mit Hermann als ständigem Begleiter und dem selbstauferlegten Zwang, alles Fließende zerstören zu wollen. Irgendwie ja doch ganz passend.

6/10 <3

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=fz5Hm-1wbqY&w=560&h=315]

Developer: Caged Element
Publisher: Wired Productions
Veröffentlichung: 6. November 2018 (Steam, PS4, Xbox One, Switch) | 9. Mai 2019 Kostenloses AirBlade Anti-Grav Update (Steam, PS4, Xbox One, Switch)

Autorin: Benja Hiller
Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

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