AWAY: Journey To The Unexpected Review | Mit Stock über Stein im Anime-Style

Wenn Anime auf First-Person trifft, wenn wirre Charaktere knallbunte Landschaften ihr Zuhause nennen, wenn Absurdität und Humor Händchen halten, dann haben Künstler Aurélien Regard und Rayman Level-Designer Jean-Matthieu Gennisson ein Spiel gemacht.

„Hallo, ich wohne hier in dieser wundervollen Idylle mit meinen Großeltern! Meine Eltern sind seit einiger Zeit auf einer mysteriösen Reise. Wohin und warum konnten sie mir nicht sagen. Wenn ich recht überlege, sind sie sogar schon ziemlich lange weg. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert?“ Kaboooom, schon knallt es im Keller des Hauses. Vom Frosch in der Toilette bekommst du gleich mal einen Glücksstein geschenkt, damit er in Ruhe weiter baden kann. Dein Opa schickt dich vorsichtshalber mal runter, um nachzusehen was passiert sein könnte. Immerhin der Hund des Hauses denkt nach und überreicht dir einen formschönen Stock (naja, eigentlich eher einen Zweig), den du zur Verteidigung einsetzen kannst.

Ich bin dann mal weg!

Natürlich besitzt der Keller jetzt ein riesiges Loch, durch das du hinaus in die weite Welt gelangst. Aber nicht, ohne die ersten Gefahren mit deinem Stock abwehren zu müssen. Etwas ungelenk wedelst du ihn vor deinem Gesicht hin und her, während dir die seltsam aussehenden aber witzigen Kreaturen auf den Kopf zu springen scheinen. Naja, ein fertiger Held bist du eben nicht. Nur der Sohn deiner verschwundenen Eltern. Und nun ist es deine Aufgabe diese zu retten? Mit einem Stock?

Das klappt dann in den ersten Versuchen auch genauso gut, wie es sich anhört. Die Ich-Perspektive in AWAY bereitet dir Probleme in der Abschätzung von Entfernungen. Nie weißt du so genau, wann du deinen „robusten Stock“ auf den Schädel der Gegner schlagen sollst, damit diese zu Manga-Comic Staubwolken zerplatzen. Die Folge? Du fällst auf die Seite und darfst erneut im Haus deiner Großeltern starten. Frei nach Bojack Horsemans täglich joggendem Vorbild. „Es wird einfacher. Du musst es nur jeden Tag machen. Aber es wird einfacher!“ Wiederholung, um Wiederholung, um Wiederholung.

There is no I in Team

Und genau deshalb haben Regard und Gennisson in den so bunt gestalteten Welten weitere skurrile Charaktere, Goldmünzen, Shopbetreiber und Kisten verteilt. Denn in AWAY geht es schließlich nicht darum allein die Welt zu retten, sondern Freunde zu finden. Hast du diese erst einmal von deiner Rettungsaktion überzeugt, kannst du auf weitere Unterstüzer auf deinem Weg durch die verschiedenen, abgegrenzten Dungeons und Areale zählen. Allesamt mit unterschiedlichsten Fähigkeiten und eigenen Energiebalken, die deine Ausdauer und dein Durchhaltevermögen enorm bereichern. Mit ihnen ist auch der Kampf gegen die großen Arealbosse wesentlich einfacher zu absolvieren. Doch deine Kumpanen verschwinden ebenfalls immer wieder, sobald du im Haus neu starten musst. Nicht sehr treu diese Figuren.

 

 

So stirbst du zwar immer noch in unregelmäßigen Abständen und kannst wieder einmal von vorne beginnen. Aber mit jedem weiteren Tod und jeder weiteren Erkundung eines neuen Abschnitts, erhälst du Erfahrungspunkte und Sterne, die weitere Bereiche öffnen, deinen Protagonisten mit zusätzlichen Lebensherzen oder Gegenständen ausstatten, permanente Öffnungen von Portalen ermöglichen und Zugang zu neuen Verhandlungen und potentiellen Mitstreitern bereithalten. Ein erfolgreicher Retter zu werden ist eben kein Sonntagabendspaziergang an der Ruhr.

It will get easier, but you gotta do it every day!

AWAY: Journey to the Unexpected ist eine popkulturelle Gemischte-Tüte von der Bude nebenan. Wenn du die nicht selber zusammenstellst, ist halt auch immer was Ekelhaftes mit drin. AWAY ist allein durch die Verwendung der Ich-Perspektive in einem knalligen Anime-Abenteuer einzigartig. Ein bisschen so, als würde Minecraft mit Prinzessin Mononoke fusionieren und ihre Protagonist_innen auf Rayman 2 Erkundungstour schicken. Dort warten dann die denkbar absurdesten Charakter-Kreationen der gesamten popkulturellen Geschichte auf dich und feuern wie Bud Spencer und Terence Hill einen Klopper nach dem anderen heraus.

Das Abenteuer ist Anfangs gerade durch die gehäuften Tode und die schwierig einzuschätzende Perspektive ein wenig ernüchternd. Immerhin wirst du dafür Trophäen- und Erfolgsmäßig belohnt. Aber immer wieder taucht dieser eine Gedanke auf, dass dir AWAY mit einem zu sehenden Protagonisten vor der Nase sicher mehr Spaß machen würde und – dank visueller Einschränkungen bei Nebencharakteren und wackliger Kamera – magenschonender wäre. Das ist dann aber eben auch nicht mehr AWAY, sondern ein weiteres gängiges Third-Person-Adventure. Durch die First-Person Perspektive wirkt der Umstand, sich nur mit einem Ast bewaffnet in die Ungewissheit zu begeben, wesentlich drastischer. Zudem erscheinen die liebevoll gestalteten Charaktere und Monster in voller Pracht. Das Adventure würde an Eindringlichkeit verlieren, seine pure kreative Energie verschweigen. Zwar zum Wohle der Präzision, aber zum Preise des Verlustes der Eigenheit. In den sich ständig wiederholenden Passagen scheint AWAY außerdem recht ermüdend und repetitiv. Aber genau das ist eigentlich auch die Prämisse und der Witz des Spiels. Das mag dich vielleicht total anöden, laufen musst du aber auch jeden Tag. Ein Abenteuerer fällt eben nicht aus dem Kinderzimmer. Ein Paradoxon, das entweder deinen Spielspaß pusht oder dich schreiend wegrennen lässt.

Im Kern ist AWAY ein kurzes, außergewöhnliches Abenteuer, das deine Hartnäckigkeit  immer wieder mit neuen künstlerischen Gestaltungsergüssen, einem tollen Wechsel-/Zusammenspiel der verschiedenen Charaktere und witzigen Storyentwicklungen belohnt. Offenbar kann AWAY einfach nicht alles haben und muss in jede Richtung ein paar Bissen im Burger verkraften. In manchen Abschnitten ist es einfach nur repetitiv, ungenau und fad. In seinen  besten Phasen ist AWAY aber ein kurzweiliger, spielbarer, rasanter Manga, der sich durch seine Anime-inspirierte Musik in deinen Gehörgang frisst und dir mit seinen kreativen Welten genug Erkundungsfutter in dein Müslischälchen schüttet. AWAY ist genau dann ein kurzer, absurder, prickelnder, bunter Spaß für graue Stunden.

6/10 <3

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=LCHuae5Nr3w&w=560&h=315]

Developer: Aurélien Regard
Publisher: Playdius
Team: Aurélien Regard, Jean-Matthieu Gennisson
Veröffentlichung: 5. Februar 2019 (PS4), 7. Februar 2019 (Switch), 8. Februar 2019 Xbox One, 13. Februar 2019 (Steam & Utomik)

Autorin: Benja Hiller

 

Chefredakteurin | Website | + posts

Die Allround-Tante von WTLW. Trägt Kamera, trinkt Oatly Kakao und spielt alle narrativen Games mit gebrochenen Wesen und kaputten Persönlichkeiten. Gerne minimalistisch und völlig entsättigt. Hauptsache irgendwie eigen, mit dem nötigen Wahnwitz im Konzept. Außerdem fährt sie mit Leidenschaft im Kreis.

Kommentar verfassen