Coffee Noir – Business Detective Game Review | Das unverwechselbare Aroma von Kaffee

Das schwarze Gebräu im Zentrum eines Detektivspiels? Erstaunlich, aber wahr. Coffee Noirs Konzept geht, mit kleineren Abstrichen, auf.

Ich liebe Kaffee, obwohl meine erste Begegnung mit dem braunen Gebräu gar nicht so positiv verlief. Wie ein erstes Date musste mein erstes Nippen am Kaffee erst gründlich schiefgehen, bevor unsere Liebe erblühte. Mag auch daran liegen, dass der erste Kaffee, den ich je probierte, der lösliche Kaffee war, den mein Vater immer in den Urlaub mitnimmt. Bis heute hat er diese seltsame Angewohnheit nicht abgelegt, dabei besitzen meine Eltern einen Vollautomaten, der wirklich guten Kaffee macht. (Bevor wahre Barista mir an die Kehle springen und mich mit vorgehaltenem Messer zwingen diese Aussage zu revidieren: Ja, ich kenne den Unterschied zwischen professionell gebrautem Kaffee und dem Produkt eines auf dem Markt erhältlichen Vollautomaten.) Aber so eine Höllenmaschine passt nun mal schwer in einen Koffer, dementsprechend muss dann die S.A.A., die Schlimmste Anzunehmende Alternative, herhalten. Jenes Gesöff zu trinken, kommt einem GAU gefährlich nahe.

Aber als ich es das nächste Mal probierte, war die Sache anders gelagert. Ich war etwas älter, verzweifelt und meine Eltern hatten sich gerade einen schicken Vollautomaten zugelegt. Also gab ich dem Kaffee eine zweite Chance und bin seither dem Koffein verfallen. Wobei, eigentlich trinke ich Kaffee nicht wegen des Koffeins, sondern wegen des einzigartigen Aromas und Geruchs. Mit Milch, ohne Milch, als Eiskaffee (und damit meine ich nicht diese furchtbaren Kreationen mit Vanilleeis und Sahne, sondern mit einem Schuss kalter Milch und ein paar Eiswürfeln) oder als Cold Brew, ich genieße Kaffee je nach Jahreszeit in der passenden Form. Auch wenn ich mittlerweile allein wohne und Abstriche machen muss, ist das schwarze Gold mein ständiger Begleiter. Mittlerweile gerne selbstgemahlener mit Hafermilch, wie ein echter Hipster.

Kannst du die Aromen riechen?

Ach, was könnte ich an Anekdoten zu Kaffee erzählen, aber so kämen wir nie zum Spiel. Und ich will euch schließlich keinen Kaffee verkaufen, sondern von einem Spiel berichten, in dem Protagonist Arthur Oliver genau das tun muss. Als Ex-Cop und Privatdetektiv liegt der Verkauf und Handel mit Waren eigentlich nicht in seinem Erfahrungsgebiet, aber in einer Welt, in der Kaffee DAS Handelsgut schlechthin ist, bietet es ihm Zugang in die interessanten Kreise. Neo-London, eine fiktive Stadt, hängt ganz am Tropf der aufgebrühten Bohnen. Coffee Noir spielt in einem alternativen 2021 in einer Stadt, die den britischen Flair atmet, aber statt Tee wird hier eben Kaffee getrunken. Da würden selbst die Amerikaner blass vor Neid, die sage und schreibe 3389 Coffee Shops in New York vorweisen können. Von London selbst sehe ich aber in Coffee Noir nur ein paar verregnete Straßen.

Das hat den Grund, dass das Abenteuer in Comic-Panels und gezeichneten Hintergründen erzählt wird. Trotz der Menge an Kaffee, die im Laufe des Spiels über die Theke geht, ist die Story um Oliver und seine Undercover-Ermittlungen entschleunigt und passt dank des jazzigen Soundtracks perfekt zu einer tragischen Geschichte um einen gebeutelten Ermittler. Denn Oliver hat die Polizei verlassen, als seine Geliebte Katherine während eines undurchsichtigen Deals erschossen wurde. Seitdem wandelt er als klassischer Noir-Detektiv durch die Welt, der traumwandlerisch alle Klischees abhakt: Trenchcoat? Check. Fedora-Hut? Check. Verregnete Straßen? Check. Selbstgespräche voller Schuld und Rachegefühlen? Check. Denn statt sich selbst die Schuld an dem tragischen Vorfall zu geben, macht er den Geschäftsmann Richard Kersey dafür verantwortlich.

Coffee makes the world go round

Ausgerechnet dessen Verschwinden zwingt Oliver nun zurück in die Stadt, die ihm seine Wunden zugefügt hat. Ich nehme ihm die Rolle als ewig Trauernder allerdings nicht ganz ab. Dafür verhält der Ermittler sich zu professionell und zu wenig getroffen. Immerhin wird er von der Tochter Kerseys höchstpersönlich angeheuert den verschwundenen Vater zu finden. Oliver sieht das als Gelegenheit für seine Rache, denn seine Geliebte Katherine war Kerseys Frau und er sieht besagten Geschäftsmann als den Verursacher des Problems, das letztlich zu Katherines Ermordung geführt hat. Es fällt mir schwer, mich mit seiner Rolle zu identifizieren, ich finde seine Auftraggeberin und Richards Tochter Claribel viel nachvollziehbarer. Dazu kommt, dass Arthurs Sprecher, so professionell und gut er auch sein mag, stets fröhlich und beinahe jovial wirkt. Das schafft eine Diskrepanz zwischen der Tragik des Erzählten und dem Erzähler.

Es kommt nahezu niemals vor, dass ich ein Spiel für ein Feature kritisiere, das dieses eigentlich besser macht. Die Vertonung von Figuren dient normalerweise der intensiveren Einbindung der Spieler_innen in die Geschichte, da Gespräche tatsächlich stattfinden. In diesem Fall sind beide Gesprächspartner_innen vertont, Arthur ebenso wie sein Gegenüber. Allerdings lässt die professionelle Vertonung an manchen Stellen diesen echten, dreckigen, rauen Touch vermissen, den ich aus vergleichbaren Genrevertretern kenne. Manchmal erinnert Arthur eher an einen Staubsaugervertreter als an einen auf Rache sinnenden Ermittler, dessen übergeordnetes Ziel die Sühne für ein erlittenes Trauma ist. Und auch seine Gesprächspartner_innen lassen manchmal den gewissen Touch Gespräch vermissen und sagen stattdessen ihren Text auf. Ich betone, das ist ein kleines Körnchen Sand im Getriebe und möglicherweise Geschmackssache, aber ich höre es bildlich gesprochen ständig knirschen.

Coffee Noir, der Gelee Royale aus der Porzellantasse

Was nicht knirscht, zum Glück, ist mein gut geöltes Business. Coffee Noir macht einen soliden Job mir seine komplizierten Mechaniken beizubringen. Ich weise Mitarbeiter_innen offenen Aufgaben zu, verwalte Röstung und Mahlen verschiedener Kaffeesorten, behalte meine Finanzen im Blick und verhandele mit Kund_innen über Lieferverträge. In diesen Gesprächen muss ich darauf achten, die Laune der Käufer_innen zu halten und sie am richtigen Punkt anzupacken. Ich stelle mich, so möchte ich sagen, gar nicht schlecht dabei an: Die professionelle Geschäftsführerin kommt direkt zum Punkt, bei ihr verhandele ich sachlich (soweit unser Scherzkeks Arthur das hinbekommt, sei gesagt). Der gut vernetzte, lebensfrohe Geschäftsmann, der eine Art Vaterfigur für Claribel darstellt, wird an seiner nostalgischen Seite gepackt und die Verhandlung mit ein paar Witzen aufgelockert. Ganz nebenher findet Arthur mehr über die Verstrickungen der Neo-Londoner Geschäftswelt heraus.

Alle potenziellen Kaffee-Abnehmer_innen kennen Kersey und sind irgendwie mit ihm verstrickt, sodass sich ein Haufen Hinweise ergibt, die von mir in Verbindung gesetzt werden wollen. Hinweise und Personen landen auf einem großen Board und warten dort auf meine Bearbeitung. Die erweist sich als eher umständlich, denn es müssen aus einer Auswahl an Hinweisen immer zwei in Verbindung gesetzt werden. Ich habe allerdings pro Geschäftswoche nur drei Versuche. Die Verbindungen sind zwar logisch, wirken aber willkürlich gesetzt. Habe ich beispielsweise mehrere Hinweise, die sich um ein mysteriöses Gemälde drehen, muss ich zwei davon miteinander verknüpfen, die anderen führen an andere Stellen. Das kann schon mal in ein wildes Ausprobieren ausarten. Oder ich bezahle Geld für die Lösung, aber wer wäre ich, wenn ich mich in einem Detektivspiel mit dem Geld aus dem Unternehmen aus der Klemme kaufe?! Fairerweise kam mit der Übung aber auch der Erfolg.

Für und wider auf der Kaffeewaage

Und ich gerate wirklich ins Grübeln. Ich kann Coffee Noir nur dafür loben, dass es mich wirklich zum Nachdenken bringt. Wo andere Detektivspiele allzu schnell von Schlussfolgerung zu Schlussfolgerung hetzen, nimmt dieses sich Zeit und lässt mich arbeiten. Das ist ein zentraler Aspekt, der sorgfältig betrachtet werden muss. Denn einerseits bin ich als Spielerin stärker involviert. Ich erlebe die Charaktere im direkten Gespräch und werde Teil ihrer Emotionen. Ich führe ein Geschäft und plane Produktionschargen, Lieferungen und Verträge mit sorgfältig ausgearbeiteten Persönlichkeiten. Andererseits fressen gerade die Verhandlungen und die Dialoge, bei denen ich wichtige Hinweise erfahre, extrem viel Zeit. Manche Figuren sprechen so langsam und pointiert, dass die Gespräche zur Qual werden. Ich habe keine Geduld mir drei Minuten lang einen Brief vorlesen zu lassen, den ich in wenigen Sekunden lesen kann.

Apropos lesen. Zu Lesen gibt es viel. Obwohl Coffee Noir auf einen Visual-Novel-Stil setzt und mir in wunderbar designten Comicpanels alles vorgekaut wird, was an Story passiert, muss gerade an der Pinnwand viel gelesen werden. Gleiches gilt für die Zahlenkolonnen, die meinen Umsatz und meinen Gewinn verschlüsseln. Zum Realismus dessen kann ich mich nicht auslassen, dazu kenne ich mich zu wenig aus. Die Tatsache, dass ich gut damit zurechtkam, dürfte aber für sich sprechen. Und wo wir schon beim Realismus sind: Wie beinahe zu erwarten, sind aufgrund einer stringent erzählten Story die Verhandlungsmöglichkeiten beschränkt. Ich meine damit, dass es darauf ankommt, die „richtigen“ Fragen zu stellen und sich der Situation angemessen zu präsentieren. Anfangs ist das noch banal und ein gutes Ergebnis leicht zu bekommen, am Ende beenden Partner_innen die Verhandlungen beim ersten falschen Satz.

Versöhnliches Ende gut, alles gut?

Der Noir-Aspekt in Coffee Noir wirkt ein wenig aufgesetzt, ebenso wie das Drama rund um Katherine und Arthur. Aber darunter verbirgt sich ein solides Detektivspiel, das zwar kaum Freiheiten in der Ermittlungsarbeit lässt, dafür aber einen komplexen Fall mit vielen Beteiligten ausrollt. Und der hält einige interessante Wendungen bereit. Obwohl ich dem sorgfältig ausgerollten roten Teppich folge, den die Entwickler_innen für mich ausgebreitet haben, schaffen es die Ereignisse mir nahe zu gehen. Das Ende – obwohl die kleine Prise drüber – hat es geschafft, mich vom Stuhl zu reißen, einfach, weil ich Arthur und Claribel so lange begleitet habe. Ich habe überall kleine Aspekte zu bemäkeln: steife Synchronsprecher, kleine Rechtschreib- und Transkriptionsfehler, kleinere Bugs und einen eintönigen Soundtrack, der aus ganzen vier Tracks in Dauerschleife besteht. Nichtsdestotrotz mochte ich das entschleunigte Spielerlebnis, das die Entwickler_innen von doji mir bereitet haben.

7/10 ☕ 🕸️

Developer/ Publisher: Doji
Genre: Detektivspiel, Business-Simulation
Team: Szymon Truskolaski (Design, Writing), Łukasz Bryl (Design, Writing), Jakub Ryfa (Design, Production, Art), Maks Wawrzyniak (Design), Anita Sarna (Design, Writing), Karolina Stachowiak (PR), Aleksandra Ratajczak (Art), Justyna Majewska (Economic engine), Karol Kroplewski (Programming), Piotr Surmacz (Writing), Kamil Popielski (Design)
Musik: Michał Ratkowski
Veröffentlichung: 30. September 2021 (Steam, GOG)


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Redakteurin | + posts

Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.

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