Teacup Review | Entschuldigung, ist das hier das Paradies?

Teacup ist ein entschleunigtes Abenteuer um Fröschin Teacup, die in ihrer idyllischen Welt auf die Suche nach Teezutaten geht.

Es gibt Leute, die steif und fest behaupten, ich hätte keine Kindheit gehabt. Völliger Unsinn, ich hatte als Kind natürlich Kinderbücher! Obwohl ich mich nicht an alle erinnere, zeugen Bücherstapel im Keller immer noch von meiner Lesewut. Woran ich mich sehr wohl erinnere sind drei Beispiele, die ich hier gerne anbringen möchte: Lars, der kleine Eisbär, Die kleine Raupe Nimmersatt und Der Regenbogenfisch. Klassiker, die in keinem Kinderzimmer fehlen dürfen. Und rein zufällig sind das sehr gute Beispiele für eine Botschaft, die alle drei verbindet. In allen geht es um eine Lehre, eine Reise, ein Wachstum. Selbst aus einer gefräßigen Raupe, die sich nach Blättern und Früchten auch durch dekadente Torten frisst, lässt sich noch eine Botschaft für die Jugend da draußen ableiten. Egal, wie klein ihr euch fühlt: „Ich kann auch groß werden.“ (Eric Carle, Schöpfer der kleinen Raupe Nimmersatt).

Teacup hat mich an diese Kinderbücher erinnert. Das fängt schon bei der Grafik an. Das narrative Abenteuer rund um Froschdame (Fröschin? Froschline? Mein Vater hat mich früher so genannt…) Teacup setzt auf leuchtende Pastellfarben und einen Sprühstil, der alles wie gesprenkelt aussehen lässt. Bei genauem Hinsehen entpuppt sich das Ganze als Pixelart, bewahrt sich aber einen handgezeichneten Flair. Durch Teacups kleine Welt zu laufen fühlte sich stets an, wie die steifen Seiten eines Buchs umzublättern und kleine Popups zu bewundern. Erinnert ihr euch an den Breitmaulfrosch, dessen namensgebende Fressluke sich über dem Buch aufspannte? Frösche gibt es jedenfalls zuhauf, nicht nur Teacup ist einer. Allerdings ist Vorsicht geboten, ein vermeintlicher Frosch korrigiert mich leicht eingeschnappt, er sei doch offensichtlich eine Kröte. Ist aber auch nicht so einfach, da alle Tiere einen humanoiden Körperbau und einen lässigen Kleidungsstil pflegen.

Ein Schritt vor die Tür

Und Teacup muss nun hinaus aus ihrem kleinen Heim. Ihr Teevorrat ist aufgebraucht und das kann nicht angehen, immerhin schmeißt sie in wenigen Tagen eine Teeparty mit all ihren Freund_innen. Noch schnell die Tee-Enzyklopädie eingepackt, dann geht es auch schon los. Teacup schultert ihren rosa Rucksack und beginnt, die verschiedenen Kräuter und Teesorten zu suchen. Was klingt wie ein klassisches Point-and-Click Adventure, ist tatsächlich ein Erkundungsspiel, in dem ich mehr oder weniger frei herumstreifen kann. Weniger, weil ich die Karte erst nach und nach freischalte. Mehr, weil ich die kleinen Aufträge in beliebiger Reihenfolge erledigen kann. Jede_r der Bewohner_innen hat etwas zu sagen. Manche haben sogar Tee oder Zutaten für mich. Allerdings nur gegen eine kleine Gegenleistung, und so sortiere ich Obstkisten, bewerfe wildgewordene Teppiche mit Pulver oder suche Gegenstände in einem Wimmelbild.

Nichts davon ist wirklich anspruchsvoll, aber die Minispiele sind abwechslungsreich und erinnern mich wieder an mein Kinderzimmer. Beispielsweise gleicht ein Schieberätsel, bei dem ich Briefmarken richtig zusammensetzen muss, meinen ersten Puzzlespielen. Sie würzen das Herumwandern in der Gegend und das Geplauder mit den Figuren, die mir kleine Geschichten erzählen oder mich daran erinnern, dass ich Zitat „fabulous“ bin. Teacup wird als introvertiert beschrieben, darum dürfte eine solche Ermutigung Balsam auf ihre Seele sein. Die Gespräche sind charmant geschrieben, allerdings manchmal etwas belanglos. Geplauder, das beschreibt es wohl am besten. Teacup ist ein typisches Wholesome Game, ein bekömmlicher Happen Feel-Good für einen Abend. Das fröhliche Klavierspiel erzeugt eine wohlige Atmosphäre, in der ich das dringende Bedürfnis bekomme, mich mit einer Tasse Tee auf dem Sofa einzukuscheln.

Go, Teacup, go!

Es sind solche Geschichten, die Heranwachsende brauchen. Eine Geschichte von Erkundung, Erfolg und Überwindung von Hindernissen. Um an eine Zutat zu kommen, muss Teacup einen Salamander namens Salamandro im Wettschwimmen schlagen. Das lockt Zuschauer an, die sie danach sogar auf ihren Sieg ansprechen. Es ist nicht schwer zu erahnen, welch ein Sprung ins kalte Wasser das für die schüchterne Teacup gewesen sein muss. Introvertierte haben es schwer in unserer lauten Welt, nehmen sie doch alles intensiver wahr. Teacup wertschätzt diese Wahrnehmung und schafft eine Idylle, in der weder Missgunst noch Streit existieren. Ein_e Freund_in der kleinen Clique rund um unsere Froschheldin stottert, und zwar umso weniger, je kleiner der Kreis um sie_ihn herum ist. Der Safe Space wirkt beinahe heilsam und der Reizüberflutung entgegen, die eine Überforderung auslösen kann.

Nun darf durchaus über die Notwendigkeit einer Geschichte bar jeder Herausforderung gesprochen werden. Ich vertrete die Ansicht, dass Spiele einen Mehrwert bieten sollten und kein reines Unterhaltungsmedium darstellen. Teacups Abenteuer ist nicht spannend. Es ist nicht schwierig, nicht fordernd und behandelt auch keine aktuellen Themen. Es ist nicht kritisch oder gar gruselig. Stattdessen lädt es dazu ein, kleine Neffen auf den Schoß zu setzen und den Figuren eine Stimme zu leihen, während Teacups Abenteuer gemeinsam erlebt wird. Ich will nicht sagen, Teacup ist nur für Kinder, aber die Analogie vom Anfang ist und bleibt mein Eindruck. Leider enthält die ganze Geschichte bei weitem zu viel Text, um tatsächlich für Kinder entworfen zu sein, dort stößt die Bilderbuchanalogie an ihre Grenzen. Der Mehrwert liegt ausschließlich in dem guten Gefühl, das während des Teesammelns bei mir erzeugt wird.

Peace, love and ice tea

Wenn selbst die Straßengangster-Waschbärbrüder wirklich nette und umgängliche Kerle sind, ist es nicht zu viel von in-Watte-packen zu reden. Ich unterstütze die Botschaft hinter Teacup: Du schaffst das. Große Themen werden behutsam angestupst und unter einer dicken Schicht Feelgoodness vergraben, wo sie darauf warten, von aufmerksamen Spieler_innen seziert zu werden. Alle anderen dürfen den beruhigenden Klängen lauschen und sich an einer lichtdurchfluteten Welt sattsehen, die wie eine Märchenwelt mit einer dicken Schicht Zuckerwatte wirkt. Und damit klappe ich das Buch zu und verstaue die Abenteuer von Frosch & Friends neben einigen lieb gewonnenen Kindheitserinnerungen, die gleichermaßen ein warmes Gefühl in mir auslösen.

6/10 🐸🧁

Developer: Smarto Club
Publisher: Whitethorn Games
Genre: Wholesome Game, Narrative Adventure, Exploration Game
Team: Francesca Melio (Art), Alonso Canales (Programming), Dani Rojas (Art), Mauricio Lopez (Sounddesign), Matias Gabler (Programming)
Musik: Juan Ignacio Ferrari
Veröffentlichung: 23. September 2021 (Steam, Epic Games Store, PS4, Xbox Series X|S)


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Redakteurin | + posts

Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.

1 Gedanke zu “Teacup Review | Entschuldigung, ist das hier das Paradies?

  1. Ich komme mittlerweile in ein Alter, wo ich froh bin, wenn ich keine großen Hürden nehmen muss, wenn ich mich nicht einen Wettkampf stellen muss und wenn eine positive Botschaft von dem ausgeht, womit ich mich beschäftige.
    Natürlich mag auch ich das Gefühl, etwas erreicht zu haben, und dies ist auch nicht eine Frage des Ehrgeizes. Aber wenn ich eine ansprechende, positive Geschichte erleben kann, mit Aufgaben, die ich häufig beim ersten Versuch mit ein wenig Nachdenken schaffe, dann reicht mir das an Herausforderung völlig aus.
    Vielleicht ist das etwas, was man in den „mittleren Jahren“ ein wenig aus den Augen verliert: das es nicht immer nur darum geht, an seine Grenzen zu gelangen, sondern man manchmal einfach nur „sein“ möchte, ohne großen Kampf, Wettstreit oder dem Lösen heftiger Kopfnüsse.
    Ja, irgendwann möchte man vielleicht einfach nur eine kleine Geschichte erleben, und so hat man dann mit seinem Neffen/Enkel durchaus was gemeinsam.
    Danke für dieses Review. Der Artikel kommt zumindest auf meine Wishlist.

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