Beasts Of Maravilla Island | Knips und Hopp

Eine Fototour führt mich in Beasts Of Maravilla Island auf jene sagenumwobene Insel mit üppiger Flora und Fauna.

Als Jugendliche hatte ich eine Phase, da bin ich nicht ohne meine Digitalkamera in Urlaub den gefahren. Alles musste festgehalten werden. Da kamen pro Urlaubswoche schon mal an die 200 Fotos zusammen, die am Ende des Ausflugs auf meiner Festplatte gelandet sind. Schön säuberlich beschriftet, mit Datum, Ort und in Jahresordnern sortiert. Ich war kein Fotografie-Talent und meine Fotos waren entsprechend oft unscharf, falsch fokussiert oder stümperhaft belichtet. Gut, letzteres lag an meiner Kamera, aber was erwarte ich von einer zitronengelben Nikon Coolpix UndeinpaarNummernhinterher? Jedenfalls ging es eher um das Festhalten von Momenten, die ich im Kopf behalten wollte, einen Fotowettbewerb hätte ich sicher nicht gewonnen. Masse statt Klasse war mein Motto, irgendein schönes Foto wird schon dabei sein. Und das war meist auch der Fall, die besten Fotos sind dann in irgendwelche Extra-Ordner gewandert.

Ich scheine diese Gewohnheiten nicht abgelegt zu haben. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich wieder eine Digitalkamera zur Hand genommen und direkt einen nostalgischen Schock bekommen. Virtuell natürlich, in Beasts Of Maravilla Island wandelt ein Mädchen auf den Spuren ihres Großvaters. Der Prolog lässt mich nach fünf Sekunden laut aufseufzen. Das Erbe eines Großvaters, der auf einer geheimnisvollen Insel Tagebuch geführt und es mir nun hinterlassen hat? Und ich, die mich nun auf eben jene Insel begibt, angeblich ohne zu wissen, was mich erwartet, aber mit jenem Tagebuch und einer Kamera im Gepäck? Diese Exposition ist bestenfalls schwachbrüstig. Schwupps, stehe ich am Strand einer Tropeninsel und bekomme leichte Madagaskar-Anwandlungen. Wenn gleich Marty oder Alex den Strand entlanghüpfen, würde ich nicht mal überrascht gucken.

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Von einem Löwen allerdings keine Spur, geschweige denn von einem schwarzen Zebra mit weißen Streifen, weswegen ich einen Versuch mache, den Strand entlangzugehen. Nope, nicht mit diesem Spiel. Ich laufe gegen eine unsichtbare Mauer, noch bevor ich die Steinhaufen überhaupt erreicht habe. Nach wenigen Metern ist auf beiden Seiten Schluss, die Bucht mündet ausschließlich in den Wald, da ist nix mit Strandspaziergang. Schade, denn ich werde das Meer nicht noch einmal zu Gesicht bekommen, nachdem ich in den Dschungel eingetaucht bin. Egal, ich bin ja nicht zum Schwimmen hier, sondern zum Knipsen! Was ich prompt tue, als ich auf einen roten Käfer stoße. Zack, Kamera gezückt, Foto geschossen. Wunderbar! Ich bekomme mitgeteilt, dass ich die Fotos in meinem Fotobuch aufrufen kann, da sie automatisch nach Spezies einsortiert werden. Ich darf auswählen welches Foto sichtbar ist. Praktisch, dass ich so auch sehe, was mir noch fehlt.

Nach zwei weiteren Schritten habe ich bereits vier Arten fotografiert und werde mit der Nase auf die fünfte gedrückt. Die namenlose Fotografin macht einen erstaunten Oh-Mund als ein geflügelter und mit prunkvollen Federn verzierter Affe vor mir auf dem Baum auftaucht. Ja, das Tier ist ein Paradiesvogel unter den Primaten, aber das erschrockene Japsen aus ihrem Mund verblüfft mich doch. Was hat sie denn erwartet? Bananenpalmen? Der Affe wirkt mangels Mimik unbeeindruckt von der Besucherin, verkrümelt sich aber sicherheitshalber in die Vegetation. Prompt „erinnert“ sich meine Protagonistin, dass eine gewisse Blume mit dem Blitzlicht der Kamera angeregt werden könne, um zu erblühen. Dann sendet sie einen Scheinwerferstrahl aus, der wiederum eine zweite Blume zum Blühen bringt, die eine blitzartig wachsende, meterhohe Ranke säumt. Ich komme mir vor wie Hans, der seine himmelhohe Bohnenranke erklimmt, nur leider lässt das Klettern komplett die Eleganz missen.

Bitte folgen Sie mir! Die Beasts von Maravilla Island erwarten Sie bereits.

Ächzend kraxelt meine Protagonistin an der grünen Säule hoch, hangelt sich einmal darum herum (mittlerweile schwebt sie in der Luft) und landet über einem Vorsprung. Oben angekommen kann ich loslassen, leider führt die Kameraführung aber dazu, dass ich noch zwei Mal an die Ranke hüpfe, bevor ich endlich in die andere Richtung weitergehen kann. Nicht das letzte Mal, wir erklimmen sehr eifrig alle Rosengatter, die unseren Weg kreuzen. Was daran liegen könnte, dass automatisch alle erkletterbaren Hindernisse auch erklettert werden. Für sich genommen verschmerzbar, es summiert sich jedoch mit den einfallslosen Animationen von Fotografin und Fauna. Mittlerweile auf dem Plateau angekommen, erspähe ich direkt den Affen, der auf einem Ast sitzt. Noch bevor ich meine Kamera zücken kann, läuft eine Cutscene ab und er verschwindet tiefer im Wald. Verdammt!

Ich folge ihm in den Wald und zücke erneut meine Kamera. Alles wird fotografiert, und so minimalistisch die Grafik ist, so hübsch sind die resultierenden Fotos. Leider fühle ich mich wie auf einer Fotosafari, wo stets ein Guide mit einem zusammengeklappten Regenschirm vorauseilt. „Bitte etwas schneller, meine Damen und Herren, dort vorne wartet unsere Hauptattraktion…“ Die Tiere sind nicht schwer zu sehen, zum einen, weil sie auf engem Raum zusammen vorkommen und zum anderen, weil ich ihnen zwangsläufig auf meinem Weg begegnen muss. Die Zonen sind vorwiegend schlauchartig gestaltet und führen mich an allen wichtigen Punkten vorbei. Sobald ich ein Gebiet betrete, folge ich dem Weg und knipse einfach alles, was mir als NEU! angezeigt wird und fülle so in Handumdrehen mein Fotobuch. Dabei geht der entdeckerische Reiz einer Safari zwangsläufig flöten.

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Apropos flöten: Durch Pfeifen kann ich manche Tiere anlocken oder zum Singen bringen. Eine nette Mechanik, die aber sehr sparsam eingesetzt wird. Sie existiert aus einem gewissen Grund, den ich nicht vorwegnehmen möchte, aber ich sage es mal so: Kollegin Nina würde sich über das Musikrätsel ganz bestimmt freuen. Zum Glück gibt es nur wenige solcher Rätsel, ich baue schon genug Frust auf, als ich durch die verzweigten Laubdächer irre. Zum Glück kann ich nicht herunterfallen, aber wie ein Baumwipfelpfad fühlt es sich auch nicht an. Stattdessen wandere ich wie ein kopfloses Huhn umher, weil alles gleich aussieht. Irgendwie löse ich die Hauptaufgabe des Levels nebenbei, während ich den Weg suche. In jedem Gebiet gibt es eine Spezies, die in mehreren Situationen fotografiert werden muss. Auch das ist keine Frage des Timings, sondern entspricht eher dem Löwen, der gehorsam Männchen macht, wenn der Guide mit einem Steak winkt.

Etwas desorientiert stolpere ich aus dem Dschungel in das nächste Gebiet. Plötzlich ist es Nacht und alles um mich herum fluoresziert. Oder besser gesagt, es luminesziert, denn Lebewesen verfügen stets über eine Biolumineszenz. Zum ersten Mal erfasst mich ein Moment des Staunens, der Guide ist kurz still und steckt den Regenschirm in die Tasche. Durch die Linse meiner Kamera erhasche ich einen Blick auf leuchtende Frösche und Pilze, deren blaues Schimmern die Umgebung erhellt. Von oben rieseln Pollen wie Lichtflocken auf mich herab und bedecken meine Schultern, als hätten mir radioaktive Tauben auf die Jacke gekackt. Ich gehe weiter und erreiche einen Teich, in dem ich bereits ein Wesen erspähe, das ich aus den Trailern kenne. Es ist ein schelmischer Wasserdrache, der mich mit Wasser bespuckt und mich zum Spielen auffordert. Ich werfe ihm ein paar Steinchen emtgegen, die er holen taucht, dann verliere ich die Lust und gehe weiter.

Vielen Dank für Ihre Tour durch Beasts Of Maravilla Island!

Dieses blau leuchtende Gebiet hat mir am besten gefallen. Die stellenweise sehr minimalistische Grafik fiel dort am wenigsten ins Gewicht, ich wurde kaum mit Cutscenes genervt und musste sogar ein nettes Rätsel lösen, das einen Haufen Glühwürmchen und eine riesige Schnecke involvierte. Doch ebenso abrupt, wie es begann, endete auch diese Episode wieder, und ich stolperte in das letzte Gebiet. Jap, das wars schon, nach einem sehr kurzen und etwas aus der Luft gegriffenen Finale endete meine Safari. Gut, es hatte sich bereits angedeutet, was passieren würde. Dafür musste ich nicht mal detektivisch kombinieren, ich hatte jedoch nicht erwartet, dass es derart lieblos inszeniert werden würde. Es mag auch an den teppichflachen Texturen liegen, aber mich hat das Geschehen kalt gelassen. Der emotionale Höhepunkt rund um Vergebung und Wiedergutmachung hat keine Träne aus mir herausquetschen können, geschweige denn einen runden Abschluss geboten.

Beasts Of Maravilla Island glich einer Tour durch das Sea Life®: Alles ist nah beieinander, in Häppchen vorportioniert, von klugen Kommentaren begleitet und viel zu schnell vorbei. Gerade, als ich mich mit der widerspenstigen Kamera arrangiert, mit den eckigen Animationen meinen Frieden geschlossen und die Insel zu bewundern begonnen hatte, endet die Tour auch schon. Angeblich habe ich fast alle der praktisch vorsortierten Arten fotografiert, aber ein Darwin’sches Triumphgefühl will sich nicht einstellen. Mit dem Tagebuch unter dem Arm steige ich wieder in das Boot und verstaue meine Kamera in ihrer Lederhülle. Also, nicht im Spiel, dort laufen noch die Credits. Aber ich setze meinen beigefarbenen Hut wieder ab und klappe das Abenteuer namens Beasts Of Maravilla Island wieder zu. Danke für die Tour, Banana Bird Studios. Ich hinterlasse natürlich gerne eine Bewertung. War mir ein kurzes Vergnügen.

6/10 🍌 📸

Developer: Banana Bird Studios
Publisher: Whitethorn Games
Genre: Puzzle-Adventure
Team: Michelle Olson (Direction), Skylar Kelley (Production), Sydney Lang (Production), Meha Magesh (Production), Eva Wierzbicki (Design), Atsina Corrington (Design), Sully Zack (Design), Sam Celeste (Design), Wesley Shang (Design), Preston Taylor (Engineering), Jaden Davis (Engineering), Maddie McKenzie (Engineering), Lily Pitts (Engineering), Will Gauthier (Engineering), Ysidro Hartzell (Engineering), Kyle Van Wiltenburg (Audio), Tavi Zeir (Audio), Blair Devereaux​ (Audio), Noah Haile, Soojung Choi, Patience Leigh Wade Oliver, Hang Luo (Art), Wan Lee (Art), Jojo Yu (Art), Ah Young Joo, Leslie Nguyen (Art), Chris Savely (Art), Yvette Hernandez (Art), Marshall Lee (Narration), Nicole Zhou (Marketing), Sam McKinnon (Marketing), Elizabeth Lehuta (Marketing), Samantha Cavalcanti (Voice Acting), Dave Rivas (Voice Acting)
Veröffentlichung: 12. Juni 2021 (Steam, Epic Games Store, Switch)


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Redakteurin | + posts

Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.

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