Papetura ist ein aus Papier handgefertigtes Abenteuer, das vor allem auf seine überwältigende Optik setzt.
Habt ihr als Kind Papierflieger gebastelt? Wahrscheinlich antworten die meisten von euch mit Ja, immerhin gehört ein Papierfliegerweitflugwettbewerb zu einem gelungenen Kindergeburtstag dazu. Aber vielleicht habt ihr es ja nicht dabei belassen, sondern mit Origami weitergemacht? Wer jetzt ja sagt, hat meinen vollen Respekt. Es gehört schon einiges an Papiermagie dazu, so ein Origami fehlerfrei hinzubekommen. Umso fassungsloser war ich, als ich von Papetura erfahren habe. Ein Spiel, komplett aus Papier? Die ersten Screenshots sahen fantastisch aus, zartes Licht scheint durch Skulpturen aus kunstvoll arrangierten Papierschnipseln. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen, und all das ist in Wirklichkeit entstanden.
Einem Miniaturwunderland gleich haben die Entwickler_innen, die in diesem Fall viel eher Bastler_innen zu nennen sind, die Welt von Pape zusammengebaut. Pape, das ist der mürrisch dreinschauende Hauptcharakter, der – wie auch sonst – ein Pergament ist. Ganz stilecht mit Rolle statt Tolle. Jede Szenerie ist handgefertigt und per Fotografie in Szene gesetzt. Diese Fotos werden im Spiel zusammengesetzt und mit Animationen ergänzt. Eine geniale Idee, deren Ergebnis ihresgleichen sucht. Alles, was ich betrachte, existiert wirklich und fühlt sich entsprechend zum Greifen nah an. Um die kreative Grundidee wurde eine Story mit Charakteren gestrickt, die eine weniger kreative Weltrettungsmission verfolgen. Ich bekomme ein Déjà-Vu.
Papier ist geduldig. Es könnte sogar die Wahrheit ertragen.
Pape ist also ein Stück Papier in einer papiernen Welt (ich entschuldige mich schon mal, falls ihr nach Lesen dieses Textes allergisch auf das Wort Papier reagiert, aber mir gehen die Alternativen aus). Sein Abenteuer beginnt in seiner Wohnhöhle, die wie ein Kokon geformt ist. Seine einzige Gesellschaft ist ein Glühwürmchen, das einen Kokon fallen lässt. Oder was auch immer das ist, so ganz sicher bin ich nicht. Mit diesem Stück habe ich jedenfalls eine Art Wasserbombenwerfer zur Verfügung, der kleine Larven verschießt. Ich kann ihn nutzen, um meine Höhle zum Leuchten zu bringen. Einmal illuminiert, erstrahlt meine geschwungene Unterkunft in sanften Orangetönen. Pape spaziert durch den Ausgang und begibt sich auf Reise. Und diese Reise ist von wunderschönen Papierhöhlen geprägt, in denen pflanzliche Formen dank warmen Lichts erstrahlen. Geformt aus Papier und Pappmaché öffnet sich mir eine texturierte Vielfalt, die von seltsamen Wesen bewohnt wird.
An dieser Stelle hake ich mal ein. Papetura ist ein wortlos erzähltes Spiel. Dank der Symbole in den Sprechblasen und des kryptischen Hilfesystems erinnert es erschreckend an Machinarium. Obwohl ich dessen Musik und Look liebe, war seine Mechanik ein konstanter Frustfaktor. An vielen Rätseln bin ich sang- und klanglos gescheitert, und das trotz per Minispiel integrierter Hilfen. Musste ich etwa fortgeschrittene Algebra studiert haben, um diesen Symbol-Kauderwelsch zu verstehen? Mir war selten das Ziel klar, geschweige der Weg dahin. Selbst mit Guide war Machinarium eine Tortur meiner Geduld. Und Papetura schlägt die gleiche Richtung ein. Alle Kreaturen, denen ich so begegne, fordern eine Gefälligkeit von mir, wofür ich im Gegenzug Zugang zu einem versperrten Weg oder einem Item erhalte. Wie ich das bekomme: Mir half nur Probieren. Ich habe fast alle Rätsel, für die ich keinen Guide benutzen musste, zufällig gelöst, und das war fast so frustrierend wie Nachschauen.
Die arme Tura!
Es gibt Spiele, die durch ihre wortlose Erzählung einen eigenen Sog entfalten. Einige davon habe ich gespielt. Zu diesen Spielen gehört für mich zwingend ein guter Soundtrack, der die Stille mit Leben füllt. Im Falle von Papetura muss ich auch da hilflos mit den Schultern zucken. Der Soundtrack kommt nur an wenigen Stellen überhaupt zum Tragen, setzt schlimmstenfalls in den manchen Momenten ganz aus. Ich erinnere mich, wie ich zum x-ten Mal in einem Teich nach einem ganz bestimmten Fisch angele und in völliger Stille auf den Köder starre, der langsam Richtung Grund sinkt. Mit den wenigen Musikschnipseln wird keine nachhaltige Stimmung erzeugt. Was schade ist, weil in einigen Momenten das Potential von Künstler_in Floex durchblitzt. Bedenkt, dass Papetura nur etwa eineinhalb Stunden lang ist! Gerade da muss jeder Einsatz, jeder Moment sitzen. Eine sorgfältige Orchestrierung meiner Emotionen hätte mir die einseitigen Puzzles vielleicht schmackhafter gemacht.
Ich bin großer Fan von gut designten Puzzles. Dazu gehört für mich eine Idee, wie ich weiterkomme, was ich eigentlich anstrebe. Papetura verpasst es, mir meine Motivation zu erklären. Ich verstehe lange Zeit nicht, wohin Pape überhaupt unterwegs ist. Eine zündelnde Bestie bedroht einen Ball aus Pappmaché, der Licht in sich einschließt. Dass es sich um die Lichtquelle der ganzen Welt handelt, wird mir erst am Ende klar. Mein Protagonist zieht also los und will sich der Bestie stellen. Warum wird gerade er zum Helden? Pape scheint kaum zu Emotionen fähig und guckt immer gleichermaßen grimmig drein. Als er auf eine kleine schwarze Katze (Tura) trifft, nimmt er sie mit. Fortan wird sie genutzt als lebendiges Inventar, Ruder und Angelrute, was eben gebraucht wird. Ich habe mich regelrecht erschrocken, wenn Tura während der Bootsfahrt mitleidserregend geröchelt hat, weil sie ständig ins Wasser getaucht wurde!
Papetura rammt den Rätsel-Eisberg
Alle Rätsel bedienen sich einer einzigen Mechanik, nämlich mit Katze Tura magische Bälle verschießen. Die Freundschaft zwischen Pape und Tura wird nicht aufgebaut, stattdessen verkommt die Begleiterin zum Allzweckwerkzeug. Deswegen lässt mich das dramatische Ende auch nur die Augen verdrehen. Meine Emotionalität ist leicht zu beschwören, doch Papes Geschichte rührt mich nicht. Stattdessen gibt es ein weiteres Kreuz in meinem Klischee-Bingo. Papetura hat sich nicht über die optische Eleganz der Papierwelt hinausgewagt, sondern ein generisches Abenteuer darauf gepfropft. Pape bleibt eindimensional (Ha, weil er ein Blatt Papier ist!) und Tura empfinde ich nur als gequälte Kreatur. Hier bleibt leider viel Potential liegen.
So genial die Idee mit der Papierumgebung ist und so schön die Welt von Papetura auch geworden ist: Das Point-and-Click Adventure hat mich nicht erreicht. Es ist zu kurz, zu still und zu flach, um mich wirklich hineinzuziehen. Ob es an der kruden Erzählweise liegt – ich kann es nicht beurteilen. Vielleicht hätte die gleiche Story mich mit einem eingeblendeten Erzähler zu Tränen gerührt? Ich fürchte allerdings, dass dem nicht so ist. Dabei wollte ich Papetura so gerne lieben. Ich bewundere zutiefst die mühsame Kleinarbeit, die jahrelang in die Gestaltung der Hintergründe geflossen ist. Darum komme ich nicht umhin, mich zu fragen, ob sie mit einem anderen Ansatz besser zur Geltung gekommen wären. Developer Petums hat sich tatsächlich von Machinarium und damit von Amanita Designs typischer Spielart inspirieren lassen. Mich hat diese abgehängt. Vielleicht habe ich bei wortlos erzählten Puzzlern tatsächlich einen blinden Fleck.
5/10 📜 🐈
Developer/Publisher: Petums
Genre: Point-and-Click-Adventure
Team: Tomasz Ostafin (Creation), Tomasz Dvorak/ Floex (Music), Juraj Mravec (Art)
Musik: Floex (Tomáš Dvořák)
Veröffentlichung: 7. Mai 2021 (Steam, GOG)
Die Naturwissenschaftlerin von WLTW. Sie recherchiert alles, was im Entferntesten nach Informationen riecht. Weil ihre Kreativität im Studium zu kurz kommt, hat sie Indie Games für sich entdeckt, am liebsten Point-and-Clicks. Aber im Prinzip kann man sie für alle Puzzler, RPGs oder Lebenssimulationen begeistern.